Die 90er: Talkshows

Talksendungen waren ein großer Trend in den 90er-Jahren. Quotenmeter.de blickt auf ein Genre zurück, dessen Revival von Experten schon lange vorausgesagt wird. Eingetroffen ist es bis heute nicht. Benjamin Müller begibt sich auf eine Zeitreise in ein anderes Jahrzehnt.



In den 90ern blühte das mal wieder von den Amerikanern kopierte, neue Genre der Talkshows richtig auf. Kein Wort hört man in diesen Shows mehr als den berühmt berüchtigten Vaterschaftstest, doch wurde wirklich immer nur dieses Thema behandelt oder gab’s auch noch etwas anderes zu besprechen. Schauen wir mal, was es damals und vielleicht auch noch heute zu bieten gab.



Den Start machte 1992 RTL mit der «Hans Meiser»-Show, die vom gleichnamigen Moderator präsentiert wurde. Das neue Format kam sofort beim Publikum an und konnte zu Spitzenzeiten einen unglaublichen Marktanteil von über 40 Prozent erreichen und das im Nachmittagsprogramm. Wie die meisten nachfolgenden Talkshows beschäftigte sich auch diese mit eher alltäglichen Themen, anstatt irgendwelche Promis etc. einzuladen. Doch auch Hans Meisers Erfolg hielt nicht ewig und als Konsequenz für schlechte Quoten wurde seine Daily-Talkshow 2001 komplett von RTL aus dem Programm genommen. Trotzdem war sie mit rund 1700 Folgen eine der meistgesehen Talkshows aller Zeiten und erhielt zudem noch mehrere renommierte Auszeichnungen wie die «Goldene Kamera» oder den «Bambi».



Ein Jahr später, 1993, startete RTL eine weitere Talkshow, die ebenfalls wieder nach ihrer Moderatorin benannt wurde: «Ilona Christen». Bekannt wurde die Moderatorin nicht nur durch ihre Talkshow, sondern auch durch ihre ausgefallenen Brillenkonstruktionen. Grundlegendes hat sich an dem bewährten „Hans Meiser-Konzept“ nicht geändert, so gab es nun nur eine weibliche Moderatorin, die jedoch mit ihren direkten Ansprachen und Themen eher die weiblichen Zuschauer in den Bann zog. Orientiert hat man sich bei «Ilona Christen» an der US-Talkshow von «Sally Jessy Raphael», die ebenfalls sehr provokant an ihre Themen heranging und zudem auch mehr oder weniger ausgefallene Brillen trug.








Der Doppelpack aus «Hans Meiser» und «Ilona Christen», die eine Stunde vor erst genanntem ausgestrahlt wurde, hielt jedoch nur sechs Jahre, da das Publikum einfach zu alt wurde. So verließ Ilona Christen mit ihrer Talkshow den 13 Uhr Sendeplatz endgültig 1999, worüber sie auch sichtlich erfreut war, wie sie später zugab, da sie die zunehmende Provokation und Skandale in den Talkshows nicht mehr mitmachen wollte.

Lange schaute die Konkurrenz dem Talkshow-Erfolg bei RTL natürlich nicht zu und so wachte auch ProSieben auf und entwickelte eine eigene Talkshow: «Arabella». Die von Arabella Kiesbauer moderierte Show wurde ab 1994 beim Sender mit der roten Sieben ausgestrahlt und erhielt zwischen 1996 und 1997 sogar eine eigene Spätabendvariante namens «Arabella Night».



Vorbild von Deutschlands erster farbiger Talkmasterin war dabei Amerikas Talkqueen Oprah Winfrey. Anders als bei RTL hatte ProSieben die jungen Leute als Zielgruppe, was sich in den Quoten durchaus bestätigte. Wahrscheinlich lag es auch einfach daran, dass es in ihrer Show neben schnelleren Kamerafahrten auch einfach ein wenig mehr Action gab. So erhielt Frau Kiesbauer, laut ProSieben, 25 Drohbriefe wegen ihrer Hautfarbe und bekam auch eine Briefbombe ins Studio geschickt, welche eine Assistentin leicht verletzte. Manche Skeptiker meinen sogar, dies sei ein Teil der Marketingkampagne gewesen. Zudem entwickelte sich «Arabella» immer mehr in Richtung „Krawallshow“, in welcher sich die Gäste nur noch anschrien und obszöne Geständnisse machten.



Nachdem Arabella erst «Die Abschlussklasse» und später dann «Das Geständnis» in die Show integrierte, war es mehr oder weniger vorbei mit den guten Talkshow-Quoten und Arabella Kiesbauer verließ ProSieben nach dem zehnjährigen Jubiläum ihrer Show im Streit um „Laiendarsteller oder nicht“.



Auch geprägt durch das Talkshow-Fernsehen wurde Bärbel Schäfer, die die ebenfalls nach ihr benannte Talkshow «Bärbel Schäfer» moderierte. Frau Schäfer konnte man von 1995 bis 2002 unter dem Motto "Jung, frech und direkt" auf RTL begutachten. «Bärbel Schäfer» bildete mit ihrer dritten Talkshow den Talkblock auf RTL und stand in direkter Konkurrenz zu «Arabella», indem sie nicht nur auf demselben Sendeplatz war, sondern auch dasselbe junge Publikum ansprach. Anders als Arabella Kiesbauer fand man Bärbel Schäfer eher im Publikum als bei ihren Gästen und sie thematisierte direkt die Probleme dieser, anstatt erst auf die Lebenssituation einzugehen.



1998 verschob RTL «Bärbel Schäfer» auf den 13 Uhr Sendeplatz und machte damit den Platz für die neue Talkshow «Birte Karalus» frei. 1999 tauschte RTL erneut den Sendeplatz aus, so dass Schäfer fortan um 15 Uhr talkte. Ab Herbst 2000 war sie wieder auf dem alten Sendeplatz zu sehen und berichtete zusätzlich von der 1. Staffel des TV-Kults «Big Brother». Nach sechs Jahren und mittlerweile deutlich gesunkenen Quoten stellte RTL die Show ein.



Besser spät als nie: Auch Sat.1 sprang auf den Talkshow-Zug auf und schickte 1996 seine Show «Kerner» ins Rennen. Der bis dahin eher unbekannte Moderator Johannes B. Kerner präsentierte dort seine später perfektionierte Haltung „Man wird doch noch mal fragen dürfen?“. Im Gegensatz zu den bisher gestarteten Talkshows ging es in Kerners Sendung verhältnismäßig ruhig zu. Es gab so gut wie keine Skandale. Doch das Format blieb nicht sonderlich lange auf dem Schirm. Ende 1997 verabschiedete sich «Kerner» auch schon wieder bei Sat.1 und ging zum ZDF.



Nicht nur «Kerner» ging bei SAT.1, wenn auch nur kurz, auf Sendung, so reservierte der Berliner Sender auch «Vera am Mittag» 1996 einen Sendeplatz. Die von Vera Int-Veen moderierte Show war bis zur Absetzung 2006 mit 2064 Sendungen eine der erfolgreichsten Talkshows und konnte als einzige an den Erfolg von «Hans Meiser» anknüpfen. Ganz so harmlos ging es bei ihr jedoch nicht zu. Denn durch einige obszöne Sendungen, in denen über „andere“ Sexpraktiken oder sexuelle Gewalthandlungen getalkt wurde, wurde Sat.1 von der rheinland-pfälzische Landesmedienanstalt wegen Verletzung des Jugendschutzes erfolgreich verklagt. Auch die Gäste waren nicht immer so normal wie bei anderen Talkshows. So war in einer Sendung eine selbsternannte Wahrsagerin zu Gast, die versuchte Kontakt zu den Toten aufzunehmen.







2006 wurde «Vera am Mittag» dann durch ein neues Format mit dem Namen «Sat.1 am Mittag» ersetzt, dass die Informationslücke am Mittag stopfen sollte. Geschafft hat es «Sat.1 am Mittag» jedoch nicht und wurde deshalb kurze Zeit später ebenfalls abgesetzt.



Eine weitere „klassische“ Talkshow präsentiere SAT.1 1997 mit «Sonja», die, wie soll es auch anders sein, von Sonja Zietlow präsentiert wurde. Auch wenn «Sonja» keine Höchstquoten erreichte, konnte sie einige Male über die Quoten von «Hans Meiser» kommen, was den Berliner Sender durchaus freute. Auch als mit der Jahrtausendwende das Talkshow-Boom abflachte, hielt sich «Sonja» wacker, bis sich Frau Zietlow entschied zu RTL zu wechseln, wodurch ihre Show auf Sat.1 Anfang 2001 eingestellt wurde.



Nachdem alle anderen Sender sich vom Talkshow-Kuchen ein Stück abgeschnitten hatten, schickte RTL als Ersatz für «Ilona Christen» ein weiteres neues Format ins Rennen: «Die Oliver Geissen Show». Sie ist die einzige Show, die die Jahrtausendwende überstanden hat und nicht direkt abgesetzt worden ist. Auch wenn das Format heute nicht mehr so erfolgreich ist, wie es die ganzen Jahre war, so erreicht sie dennoch weiterhin ihre junge Zielgruppe. Ende August wurde die Show optisch überarbeitet und zugunsten des Mittagsmagazins «Punkt 12» auf den 14 Uhr Sendeplatz verlegt. Lieblingsthema der «Oliver Geissen Show» ist nach wie vor der schon erwähnte Vaterschaftstest.



Wie sieht es heute mit den Talkshows aus? Sind neue Formate in Planung? Werden alte Formate aufpoliert und wieder eingeführt? Man kann diese Frage mit gutem Gewissen mit Nein beantworten. Viele Talkshows haben die Jahrtausendwende nicht überstanden, wenn doch gibt es keine neue Themen mehr, es dreht sich nur noch darum, „wer wen mit wem betrogen hat“ oder „wer der Vater von welchem Kind“ ist.



Von mindestens zehn Talkshows täglich in den 90ern ist der Trend deutlich abgesackt zu nur noch zwei Talkshows täglich und die Quoten fallen langsam aber sicher noch weiter. Heute gibt es neben der «Oliver Geissen Show» auf RTL nur noch die 2001 gestartete Show «Britt - Der Talk um eins» auf Sat.1, die dieselben Themen verfolgt wie das Pendant bei RTL. Neue Formate sind definitiv nicht in Sicht und werden mit großer Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft auch nicht in Sicht kommen. So versuchte RTL mit «Natascha Zuraw» dieses Jahr noch ein neues Talkshow-Format zu etablieren, blieb damit jedoch erfolglos.

27.10.2008 09:35 Uhr  •  Benjamin Müller Kurz-URL: qmde.de/30613