Der Fernsehfriedhof: Freuen Sie sich jetzt!

Christian Richter erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 2: Die „total abgefahrene Gameshow-Parodie“.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir des wahrscheinlich verrücktesten und skurrilsten TV-Programms der 90er Jahre.

«Halli Galli» wurde am 04. März 1993 in Sat.1 geboren und entstand zu einer Zeit, als das noch junge deutsche Privatfernsehen große Aufmerksamkeit sowie eine eigene Identität finden wollte und daher ständig auf der Suche nach neuen Ideen und frischen Gesichtern war. Während im Hause RTL Helmut Thoma die Einschaltquoten mit wilden Spielshows, absurder Comedy, frivolen Serien und rücksichtsloser Reality konstant steigern konnte, oblag diese Aufgabe beim Dauerkonkurrenten Sat.1 dem dortigen Unterhaltungschef Stefan Fuchs. Dieser brachte während seiner Amtszeit mit «Fort Boyard», «Geh' aufs Ganze», «Mann-O-Mann», «Bingo» , «Krypton-Faktor», «Cluedo - Das Mörderspiel» oder «Bitte melde Dich!» unzählige innovative, manchmal verrückte, manchmal kitschige, manchmal geschmacklose, aber stets unkonventionelle Formate auf den Schirm, die sich oft zu großen Publikumslieblingen entwickelten. Zudem holte er die damals schon beliebten Entertainer Karl Dall, Dieter Hallervorden, Chris Howland und Mike Krüger zu seinem Sender. Eine seiner letzten Amtshandlungen sollte schließlich die Umsetzung einer Neuauflage der WDR-Unterhaltungsshow «Donnerlippchen» werden. Zwischen 1986 und 1988 hatte darin Jürgen von der Lippe mit ahnungslosen Kandidaten nette Spielchen gemacht, die alle gemein hatten, dass den Teilnehmern ein entscheidender Faktor nicht bekannt war und sie deswegen nie gewinnen konnten.

Diese Idee wollte man nun in einer zeitgemäßeren und auffälligeren Variante wiederbeleben. Eine ähnliche Strategie vollzog man ebenso beim Rivalen RTL, wo der WDR-Klassiker «Am laufenden Band» unter dem Titel «Die Post geht ab!» reanimiert wurde. Während dort mit Rudi Carrell für das Remake der ursprüngliche Moderator erneut gewonnen werden konnte, ließ sich Jürgen von der Lippe nicht von einem Wechsel ins Privatfernsehen überzeugen. Stattdessen stieß man bei einem Casting auf den Zauberer Detlef Simon, der mit seinen witzigen und schnellen Nummern überzeugte. Obwohl dieser zwar über Bühnen-, aber keinerlei Fernseherfahrungen verfügte, sollte er die neue Produktion stemmen. Kein kleines Risiko, weil das Konzept fast vollständig aus Publikumsinteraktionen bestand. Doch Desimo, wie er sich selbst nannte, war dieser Aufgabe gewachsen und ein Großteil des Unterhaltungswerts basierte letztlich auf seiner lockeren und charmanten Art.

Jede Ausgabe bestand aus mehreren wiederkehrenden Elementen, von denen jedes für sich schon eine eigene Reihe hätte tragen können. So gab es neben kleineren Überraschungsaufgaben regelmäßig das „Geheime Training", in der eine Person heimlich eine besondere Fähigkeit erlernte und damit ihre Angehörigen überraschte. Beispielsweise trainierte eine 70jährge Oma unbemerkt Karate und streckte im Beisein ihrer Familie einen Stuntman zu Boden. Oder ein Feuerwehrmann sprang vor den Augen seiner unwissenden Ehefrau aus einem 18-Meter hohen Gebäude. Die Enthüllungen wurden meist in einem kurzen Film mit versteckter Kamera präsentiert. Eine andere, ebenso komische Rubrik war die sogenannte „Drachenbahn", in der sich Kandidaten an ihren Mitmenschen - meist den Ehepartnern - rächen konnten. Dazu traten beide Parteien in einem kurzen Duell gegeneinander an, in dem das Racheopfer nie gewinnen konnte. Als Strafe musste es anschließend auf der „Drachenbahn" Platz nehmen, die fortan zur „Rachebahn" wurde. Dabei handelte es sich um einen kleinen Wagen, der auf einer Empore im Studio an verschiedenen Stationen vorbei fuhr, wo es Schleim, Federn, Konfetti und anderes klebriges Zeug regnete, bevor die Fahrt in einem Pool endete.

Zum Abschluss jeder Folge suchte das Team schließlich den "Halli Galli Helden". Dahinter verbarg sich eine wöchentlich wechselnde Mutprobe, die von einer Person aus dem Publikum zu bewältigen war. Etwa fungierte ein Mann als menschlicher Bolzen in einem großen Hau-den-Lukas-Spiel. Ein anderer ließ sich als menschliche Brausetablette in einem gigantischen Wasserglas auflösen und ein Dritter seine Kleidung durch Luftdruck vom Körper blasen. Wer die Herausforderung meistern konnte, wurde mit einer goldenen Medaille belohnt. Sämtliche Aktionen vereinte, dass sie zwar einen leichten Hang zur Schadenfreude hatten, jedoch immer harmlos blieben und die Menschen niemals bloßstellten. Darüber hinaus erhielten alle Teilnehmer als Entschädigung einen Preis (wie eine Kurzreise). Bei dessen Übergabe sagte Desimo als Running Gag den stets gleichen Satz „Bitte freuen Sie sich jetzt!" und warf dabei Konfetti aus seiner Sakko-Tasche in die Luft.

Neben jenen Studiospielen, die nahezu 90 Prozent der Sendezeit ausmachten, komplettierten kurze Streiche mit versteckter Kamera den Ablauf. Darin überraschte der unglaublich hässliche Schweizer Komiker Jürg Hügi als „Stan George“ ahnungslose Passanten, in dem er sich in einem Kopierer oder einer Gefriertruhe versteckte. In seinem bekanntesten Gag besprühte er seine Opfer von hinten mit einem Blumenbestäuber und rief laut „Hatschiiii", sodass diese dachten, angeniest zu werden. Garniert wurden die Filme und Aktionen zusätzlich mit kleinen gespielten Witzen, plumpen Lachnummern und aufwendigen Kostümen. Mal angelehnt an den Dschungel, mal an die Kirche, mal an Bayerisches Brauchtum und mal an den Zirkus. Jede Woche gab es also einen Kindergeburtstag mit wechselndem Motto.

Man merkt, die 60minütigen Ausgaben waren voll gepackt und glichen eher einer Kuriositätenausstellung als einer traditionellen Fernsehshow. Insofern war es nur konsequent, dass Moderator Desimo neben dem hässlichen Stan George mit der als Mann geborenen Künstlerin Miss Biggi und dem kleinwüchsigen Muammer Crrak alias "Goliath" weitere ungewöhnliche Assistenten erhielt. Dabei wies die Sendung ein ungeheures Tempo auf, verschwendete keine Zeit an überflüssige Ankündigungen oder Überleitungen und stolperte von einem Spiel ins nächste. Somit war dann auch der Titel «Halli Galli» überaus passend und unterstrich den dahinter steckenden satirischen Ansatz auf das Genre der Gameshows. Entsprechend bewarb man das Ergebnis als „total abgefahrene Gameshow-Parodie“.

Aufgezeichnet wurde das chaotische Treiben in den Münchner Bavaria Studios in einer ebenso aufwendigen wie bunten Kulisse, die jeweils passend zum Thema umgestaltet wurde. Angeblich soll all der Quatsch die Produktion sogar zur damals teuersten Show des Kanals gemacht haben. Obwohl die Sehbeteiligungen am Donnerstagabend um 21.15 Uhr zufriedenstellend waren, folgte dennoch kein Auftrag für eine zweite Staffel mehr. Wie sowohl Stefan Fuchs als auch Detlef Simon und Komiker Jürg Hügi später unabhängig voneinander angaben, hing die Absetzung mit machtpolitischen Entscheidungen innerhalb des Senders zusammen. Auf Drängen der Anteilseigener war Stefan Fuchs nämlich trotz einer hervorragenden Bilanz überraschend als Unterhaltungschef gekündigt worden und sein Nachfolger wollte dessen „Erbe", zu dem das durchgedrehte Unterhaltungsformat gehörte, schlicht nicht übernehmen. Welchen Stellenwert das Format tatsächlich intern hatte, beschrieb Detlef Simon im Jahr 2011 in einem Interview mit tv-kult.de. „Mir haben tatsächlich Leute berichtet, dass sie beim Sender nach Informationen zu «Halli Galli» gefragt hatten. Dort wurde dann behauptet, dass es die Show nie bei Sat.1 gegeben hat. Es ist also offensichtlich kein geliebtes Kind."

«Halli Galli» wurde am 20. Mai 1993 beerdigt und erreichte ein Alter von zwölf Folgen. Die Show hinterließ den Moderator Detlef Simon, der später hauptsächlich durch Messen und Veranstaltungen führte sowie in mehreren Soloprogrammen eine Mischung aus Stand-Up und Zauberer darbot. Seine Assistentin Miss Biggi tritt mittlerweile regelmäßig als Gloria Gray in Varieté-Abenden auf. Im Jahr 2010 versuchte sie zusätzlich für das Amt der Bürgermeisterin in ihrer Heimatstadt Zwiesel zu kandidieren, erhielt allerdings nicht genug Unterstützer. Der Komiker Jürg Hügi trat mit seiner Figur Stan George noch in anderen Versteckte-Kamera-Varianten auf, bevor er im Jahr 2009 starb.

Mögen er und die Show in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann einem pompösen Quiz voller Pannen.
18.09.2008 09:25 Uhr  •  Christian Richter Kurz-URL: qmde.de/29831