Die Kritiker: «Meine Davidwache»

Inhalt
Der Blick hinter die Kulissen einer sündigen, verbotenen Welt – spätestens seit Jürgen Rolands Film «Polizeirevier Davidswache» von 1964 fasziniert das Polizeirevier im Hamburger Stadtteil St. Pauli die Menschen. In der Reportage «Meine Davidwache» kehrt der frühere Polizist Peter Reichard an „seine“ alte Wirkungsstätte zurück, wo er 1967 mit einem Alter von 21 Jahren der jüngste Polizist der Davidwache wurde.

Es werden historische Geschichten über diese Einrichtung von verschiedenen ehemaligen Polizisten erzählt. Und wenig überraschend dreht es sich dabei oft um Geschichten vom Hamburger Kiez, also hauptsächlich um Sex. Beispielsweise wird berichtet, wie sich Polizisten Erotikfilme anschauten, um zu prüfen, ob sie sittlich zu beanstanden sind. Heute geht es bei den Einsätzen weniger um die Sittlichkeit: Mittlerweile haben Gewalt und besonders Drogen höchste Priorität im Kampf gegen das Verbrechen.

Mit der Erzählung der Geschichte der Davidwache wird auch die Historie der Reeperbahn beleuchtet. So kam es mit der 1968er Revolution auch zu einer Veränderung des Kiez – in dieser Zeit wurde die Idee gegründet, ein sozialistisches Bordell zu führen, das die Besitzrechte an dem Laden verteilt. Bei der Idee blieb es aber – die Prostituierten wollten nicht mitziehen. Heute wie früher beschweren sich Freier über die mangelnden Dienstleistungen der Mädchen – ein Thema, das in der Davidwache alltäglich ist.

Schnell wird es aber auch ernst: Es wird über Zivilcourage von Unbeteiligten gesprochen, die Polizisten das Leben retteten, als sie sich gegen einen Verbrecher wandten und selber dafür sterben mussten. Oder auch über einen Polizisten, der mitten in der Wache durch einen Pistolenschuss sterben musste. Auch die großen Figuren des Kiez, wie dem „Paten von St. Pauli“, sind wichtige Personen in der Historie der Davidwache.

Kritik
Die großen und kleinen Geschichten des wohl berühmtesten Polizeireviers Deutschlands werden interessant und durch historisch wertvolle Videodokumente besonders emotional erzählt. Durch die teilweise schwarz-weißen Zeitdokumente aus den frühen Jahren in der Nachkriegszeit werfen einen besonders spannenden Blick auch auf die gesellschaftlichen Veränderungen auf der Hamburger Reeperbahn. Diese Videos werden durch zahlreiche Interviews von aktuellen oder ehemaligen Polizisten oder Funktionären der Wache unterstützt. Die Beteiligung des Reporters Reichard, der selber als früherer Polizist dieses Reviers oftmals eigene Geschichten erzählt, macht diese Sendung zu einer besonders emotionalen Reportage aus der Ich-Perspektive, weil über die gesamte Zeit der Reporter selbst aus seiner Perspektive die Historie der Wache erzählt.

Sehr spannend und unterhaltsam ist es, dass eben nicht nur die Historie der Davidwache selber, sondern auch die Geschichte von St. Pauli, die gesellschaftlichen Veränderungen der Jahrzehnte – die sich auch besonders auf den Hamburger Kiez auswirkten – und die Gegenwart erzählt wird. „Man muss schon einen Tick verrückt sein, um hier arbeiten zu wollen“, so fasst es der aktuelle Polizeioberkommissar Martin Schütt am Ende der Reportage zusammen und bringt es damit auf den Punkt: Denn auch die Geschichte der Davidwache ist verrückt, interessant und teilweise abstrus wie keine andere. Einziger Kritikpunkt ist, dass einige weniger spannende Geschichten in der 45-minütigen Sendung etwas zu detailliert und langatmig erzählt werden, was dem äußerst positiven Gesamteindruck aber nur einen geringen Abbruch tut.

Der NDR zeigt «Meine Davidwache» am Dienstag, 2. September 2008, um 21.45 Uhr.
31.08.2008 13:15 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/29459