Tom Radisch: ‚Frank Weller kämpft zwischen Pragmatismus und starken Emotionen‘

Mit «Ostfriesenhölle» präsentiert die ZDF-Krimireihe einen besonders düsteren Fall, der politische Machtfragen, persönliche Verantwortung und extreme moralische Grenzlagen verhandelt.

Herr Radisch, «Ostfriesenhölle» ist einer der düstersten Fälle der Reihe. Wie haben Sie die Grundstimmung dieses Films beim Dreh wahrgenommen?
Ich würde schon sagen, dass eine gewisse Schwere über dieser Arbeit lag. Nicht im Sinne der Zusammenarbeit mit dem Team, die war ganz großartig. Wir hatten mit der Regisseurin Katrin Schmidt und ihrem Kameramann Simon Schmejkal eine wirklich starke Unterstützung.

Frank Weller steht diesmal unter enormem Druck – politisch, moralisch und emotional. Wie sehr verändert dieser Fall seine Haltung als Ermittler?
Da entsteht ein innerer Kampf im Umgang mit seiner Wut auf autoritäre Machtstrukturen, dem Gefühl der Ohnmacht gegen diese vorzugehen und andererseits dem Bemühen um Professionalität.

Der Film beginnt mit dem Tod eines Kindes und entwickelt daraus eine Eskalation von Schuld, Rache und Erpressung. Wie geht man als Schauspieler mit dieser Schwere um, ohne abzustumpfen?
Als Schauspieler muss ich diese Schwere nutzen und zur Quelle der kreativen Arbeit machen. Sie nicht draußen zu halten, setzt dann Kräfte frei, die fürs Spiel sehr wertvoll sein können. Empathie und Berührbarkeit sind für unsere Arbeit essenziell.

Das Machtgefälle zwischen Ermittlern und Politik spielt eine zentrale Rolle. Wie erleben Sie Weller im Umgang mit dem Innenminister Thomas Claudius?
Der Minister repräsentiert für Weller eine Form der Autorität, mit der er so stark kämpft. Das mag zwar paradox klingen, wenn man an seine Arbeit als Ermittler in einem hierarchisch strukturierten Polizeiapparat denkt. Er hat dort aber ein Team auf Augenhöhe um sich, auf das er sich verlassen kann. Bei Claudius ist das anders. Er begegnet ihm autoritär und lässt die Ermittler zu Beginn nicht an sich heran, für Weller ist es schwer, zu ihm durchzudringen.

Ann Kathrin Klaasen und Frank Weller sind ein eingespieltes Team. Was macht für Sie die Dynamik zwischen den beiden in «Ostfriesenhölle» besonders spannend?
Ann Kathrin Klaasen bleibt wesentlich analytischer und klarer, lässt sich weniger aufreiben. Das Spannungsfeld zwischen dieser Klarheit und Wellers Emotionalität ist das interessante für die beiden Figuren in «Ostfriesenhölle».

Weller wirkt oft pragmatischer und bodenständiger als seine Kollegin. War es in diesem Fall schwieriger, die Balance zwischen Rationalität und emotionaler Betroffenheit zu halten?
Interessant, dass sie das so empfinden. Das Weller bodenständiger ist, darin würde ich Ihnen Recht geben. Das hilft ihm, Ann Kathrin Klaasen zu halten und zu schützen, wenn sie sich in ihren Visionen zu verlieren droht. Aber ich denke, dass er sich in einem ständigen Kampf zwischen Pragmatismus und starken Emotionen, die er nur bis zu einem bestimmten Punkt gut kontrollieren kann, befindet. Deshalb ist für mich Wellers Ringen um Balance zwischen Rationalität und Emotionalität das spannende an der Figur.

Mit der Entführung Marvins verschiebt sich der Film stellenweise fast in Richtung Politthriller. Hat sich dadurch auch Ihre Spielweise verändert?
Nein, das kann ich nicht sagen. Das Genre ist jetzt nicht so elementar anders, als dass es meine Spielweise verändern würde. Zumal ich keinen Vergleich zu anderen Folgen habe. Für mich ist dieser Film mein erster Auftritt als Frank Weller. Davor hat Christian Erdmann die Figur viele Jahre verkörpert. Und natürlich werden auch viele neue Aspekte in die Figur mit einfließen, die mich als Mensch ausmachen.

Der Stoff berührt große Fragen: Schutz von V-Männern, staatliche Verantwortung, persönliche Opfer. Welche dieser Ebenen hat Sie beim Lesen des Drehbuchs am meisten beschäftigt?
Die Frage des Kontrollverlustes im System der V-Leute im Verfassungsschutz. Ein gutes Beispiel dazu ist der NSU-Komplex. Und natürlich auch die Sorge darum, wie schnell solche Systeme unterwandert und missbraucht werden können. Die Frage, was es wirklich braucht, friedliche Gesellschaften zu bilden und zu erhalten. Das Thema Waffenhandel und Produktion beschäftigt uns heute so unmittelbar wie seit Jahrzehnten nicht mehr, obschon der Handel mit Waffen immer ein lukratives Geschäft gewesen ist. Meine Jugendzeit war stark von der Wende und der Aufbruchsstimmung der Neunzigerjahre geprägt, in der man wirklich dachte, dass die Welt zu einem friedlicheren und besseren Ort werden könnte. Der Fall des Eisernen Vorhangs, das Ende der Apartheid in Südafrika, der Oslo-Friedensprozess zwischen Israel und Palästina. Dass wir uns seit 2001 wieder in einem Abwärtstrend befinden, war zwar immer offensichtlich, aber, dass unsere Gesellschaft gerade in den letzten fünf Jahren so extrem auseinander driftet, die Welt wieder so von Hass und Gewalt geprägt ist, hätte ich so nicht für möglich gehalten. Meine Hoffnung ist, dass es sich nur um einen kurzzeitigen Abstieg handelt, quasi ein letztes Aufbäumen alter Strukturen.

«Ostfriesenhölle» arbeitet stark mit Eskalation und Zeitdruck. Wie sehr hilft dieses dramaturgische Tempo beim Spielen – und wo wird es zur Herausforderung?
Dramaturgisches Tempo gibt dem Spiel Dringlichkeit. Das empfinde ich aber nicht als Herausforderung. Viel herausfordernder ist es, mit immer weniger Zeit Filme zu drehen und das Tempo, das dadurch am Set herrscht. Sich davon im Spiel nicht beeinflussen zu lassen, halte ich für eine große Kunst.

Wenn Sie auf den Film zurückblicken: Was sagt dieser Fall über Frank Weller aus, das man vorher so noch nicht von ihm gesehen hat?
Es zeigt ganz klar seine Haltung gegenüber solchen Geschäften. Das verschafft ihm auch im politischen Sinne ein wenig mehr Kontur.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

«Ostfriesenhölle» ist am Samstag, den 27. Dezember 2025, im ZDF zu sehen. Seit 17. Dezember ist der Krimi in der ZDFmediathek zu sehen.
26.12.2025 12:12 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/167431