Hannah Emde: ‚Wir unterschätzen oft, wie wichtig Insekten für unser Überleben sind‘

Emde nimmt das Publikum in drei neuen Folgen von «Faszination Erde» mit nach Neuseeland, Kasachstan und Costa Rica – zu bedrohten Arten, gewaltigen Renaturierungsprojekten und Ökosystemen am Kipppunkt.

Frau Emde, Neuseeland, Kasachstan und Costa Rica – drei sehr unterschiedliche Regionen. Nach welchen Kriterien wählen Sie und das Team die Drehorte aus?
Gemeinsam überlegen wir in der «Terra X»-Wissenschaftsredaktion, welche Länder, Projekte oder Menschen uns faszinieren, welche neuen Erkenntnisse es in der Wissenschaft gibt oder wo die spannendsten Geschichten liegen. Ich kann dabei meine Erfahrungen und mein Netzwerk im Artenschutz einfließen lassen, das weiß ich sehr zu schätzen. Es ist jedes Mal ein spannender Prozess.

In Neuseeland stehen invasive Arten im Mittelpunkt. Welche Begegnung mit der bedrohten Tierwelt dort hat Sie persönlich am meisten berührt?
Neuseeland hat aufgrund seiner isolierten Lage eine besonders seltene, heimische Tierwelt entwickelt. Viele kennen zum Beispiel den Kiwi – ein kleiner, flugunfähiger, ulkiger Vogel. Die Abgeschiedenheit Neuseelands macht diese Tierwelt besonders angreifbar: Die Kiwis zum Beispiel hatten nie Fressfeinde auf den Inseln. Als im 18. Jahrhundert immer mehr europäische Siedler nach Neuseeland kamen, brachten sie auf ihren Schiffen Ratten, Hermeline und Katzen mit. Diese kleinen Raubtiere breiteten sich ohne natürliche Feinde extrem schnell aus und bedrohen nun alle heimischen Tierarten Neuseelands – vom berühmten Kiwi bis zur kleinen Eidechse. Die Neuseeländer haben nun ein Artenschutzprojekt ins Leben gerufen, mit dem sie die heimische Tierwelt vor dem Aussterben bewahren möchten. Das schauen wir uns in der «Terra X»-Folge genauer an.

In Kasachstan dokumentieren Sie ein großes Renaturierungsprojekt. Was hat Sie an den Dimensionen und der Zusammenarbeit vor Ort besonders beeindruckt?
Die Dimension des Schutz- und Wiederansiedlungsprojekt "Altyn Dala" in Kasachstan, hat mich sehr beeindruckt. Durch die Schutzmaßnahmen und die Wiederauswilderung der großen Pflanzenfresser, wie Przewalski-Pferde oder Kulane, Wildesel, soll das ganze Ökosystem Steppe wiederhergestellt werden – ein wertvoller Kohlenstoffspeicher für die ganze Welt. Und das geschieht gemeinsam mit den Menschen vor Ort, die aktiv in den Schutz und die Nutzung ihrer Landschaft eingebunden sind. Dieser Aspekt ist mir sehr wichtig. Nur wenn Wissenschaft, Politik, Entscheidungsträger und lokale Gemeinschaften zusammenarbeiten, können wir diese globalen Herausforderungen meistern – denn am Ende geht es um den Erhalt unserer gemeinsamen Lebensgrundlage.

Costa Rica gilt als Vorreiter im Naturschutz. Konnten Sie dort auch Widersprüche erleben zwischen dem grünen Image und der Realität?
Costa Rica ist in der Tat ein Vorzeigeland in Sachen Naturschutz. Schon früh wurden dort Schutzgebiete etabliert, um die Artenvielfalt zu erhalten, und mittlerweile sind wieder knapp 60 Prozent der Landesfläche von Wald bedeckt. Aber es läuft nicht alles so gut, wie es auf den ersten Blick scheint. Es gibt große Ananas-, Bananen- und Palmölplantagen, wo noch zu wenig auf ökologischen und nachhaltigen Anbau geachtet wird. Es werden große Mengen Pestizide eingesetzt, die so in der EU nicht erlaubt wären, wodurch Böden und Grundwasser weiterhin vergiftet werden. Tiere wie Tapir und Faultier sterben durch Zusammenstöße mit Autos an den vielen Straßen oder durch schlecht isolierte Stromleitungen. Und auch der Tourismus wird für die Wildtiere eine Gefahr, wenn die Menschen ihnen zu nahekommen.

Was mich bei den Dreharbeiten besonders geschockt hat: Die Meere und Küsten vor Costa Rica sind kaum geschützt, oder besser gesagt, der Schutz wird nicht kontrolliert. Die Haipopulation geht weiter drastisch zurück – dabei sind diese Tiere so wichtig für das gesamten Ökosystem. Zum Glück gibt es vor Ort Artenschützer*innen, die für das grüne Image von Costa Rica kämpfen und auch die Politik zur Rede stellen.

Wie verändert sich Ihr eigener Blick auf Natur- und Artenschutz, wenn Sie Länder mit so verschiedenen Strategien bereisen?
Wir müssen im Natur- und Artenschutz viel stärker zusammenarbeiten. Die Biodiversitäts- und die Klimakrise sind eng miteinander verknüpft: Durch den rasanten Klimawandel beschleunigt sich das Artensterben, und wir verlieren wertvolle Lebensräume – Lebensgrundlagen, die nicht nur für Tiere, sondern auch für uns Menschen essenziell sind. Ich wünsche mir einen konstruktiven, lösungsorientierten Austausch zwischen Politik, Wissenschaft und der Bevölkerung, der nach vorne blickt und nicht nur die Probleme benennt.

Viele Zuschauer erleben Sie als Forscherin und Abenteurerin zugleich. Gab es bei den Dreharbeiten Momente, in denen Sie selbst an Grenzen gestoßen sind?
In Neuseeland musste ich durch einen enorm engen Höhlengang kriechen, ohne Ende in Sicht. Ich hatte Sorge, dass mir die Luft ausgeht oder ich stecken bleibe. In Kanada war ich ohne Trockentauchanzug bei unter 9 Grad Wassertemperatur im Kelpwald tauchen. In Südafrika saßen wir auf einem ausgewachsenen Krokodil, um es zu besendern. Und in Kasachstan haben wir einen Kulan, also einen Wildesel, narkotisiert, und das Tier hat zwischendurch aufgehört zu atmen. In so Momenten steigt das Adrenalin im Körper, jeder Handgriff muss sitzen und ich komme auch mal an meine Grenzen. Aber so entstehen eben auch die besten und eindrücklichsten Momente.

Wie sehr unterscheiden sich die Dreharbeiten, wenn Sie in hochentwickelten Ländern wie Neuseeland filmen im Vergleich zu Regionen mit schwächerer Infrastruktur wie der Steppe Kasachstans?
In Neuseeland begleitete ich die Forscherin für ihre Messungen im Helikopter auf den Gletscher. Wir schliefen in Motels und es gab jeden Morgen eine fantastische Kaffeeauswahl. In Kasachstan fuhren wir tagelang zusammengepfercht in den Jeeps über holprige Wege durch die Steppe. Wir übernachteten in Zelten, die Toilette war ein Loch im Boden und als Vegetarierin war die Essensauswahl für mich gering. Die Dreharbeiten unterscheiden sich immer sehr, aber genau das macht diesen Job so herausfordernd und spannend.

«Terra X: Faszination Erde» will nicht nur zeigen, sondern auch erklären. Welche wissenschaftliche Erkenntnis dieser Staffel war für Sie selbst am überraschendsten?
Die nächtliche Suche nach Insekten in Costa Rica war für mich faszinierend und erschreckend zugleich: Auf der einen Seite diese wunderschöne Vielfalt an Nachtfaltern und Käfern in den Lichtfallen zu entdecken – in allen Farben und Formen. Aber dann auch von dem Forscher Jim zu hören, wie sehr die Klimakrise die Insekten auch hier in den Tropen bedroht, hat mich schockiert. Durch den Klimawandel verändern sich die Regenmuster. Die Insekten schlüpfen früher oder später als die Pflanzen blühen. Geschieht das nicht mehr gleichzeitig, fehlt die Bestäubung. Es entstehen keine Samen, keine Früchte. Vögel und Säugetiere finden keine Nahrung und das Nahrungsnetz bekommt Löcher. Wir unterschätzen häufig, wie wichtig die Insekten für unser aller Überleben sind. Ihr Verschwinden kann ganze Ökosysteme zum Einsturz bringen.

Streaming startet nun wieder vor der TV-Ausstrahlung. Erleben Sie, dass Sie dadurch ein jüngeres Publikum erreichen?
Ich selbst schaue Dokumentationen, Serien und Filme nur noch über Streaming. In meinem Umfeld hat kaum noch jemand lineares Fernsehen, aber die Streamingangebote werden viel genutzt.

Wenn Sie auf die Dreharbeiten zurückblicken: Welcher Moment dieser Staffel bleibt Ihnen am stärksten im Gedächtnis – vielleicht einer, der es so gar nicht in die Sendung geschafft hat?
In Costa Rica habe ich zum ersten Mal einen wilden Jaguar nachts am Strand getroffen, das war für mich ein absolutes Highlight. Angst hatte ich nicht, aber Respekt vor so einer riesigen, kräftigen Raubkatze natürlich schon. Die Experten, mit denen wir unterwegs waren, achten genau darauf, wie nah man herangehen darf. Und am Ende entscheidet ja sowieso der Jaguar, wie nah wir kommen dürfen. (Dieser Moment hat es allerdings in die Sendung geschafft, das wollten wir euch nicht vorenthalten… 😀)

Vielen Dank für Ihre Zeit!

«Faszination Erde» ist am Sonntag um 19.30 Uhr zu sehen. Die neuen Folgen laufen am 7., 14. Und 21. Dezember 2025. Seit 1. Dezember sind alle Folgen in der ZDFmediathek.
05.12.2025 12:49 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/166884