‚Biathlon ist ein Kampf gegen sich selbst, gegen das Wetter – und gegen den Gegner‘
In «Biathlon Nation» begleitet Regisseur Christian Twente das deutsche Biathlon-Team durch ein Jahr voller Druck, Leidenschaft und existenzieller Entscheidungen.
Sie begleiten das deutsche Biathlon-Team durch ein komplettes Jahr voller Druck, Emotionen und Rückschläge. Was war Ihr wichtigster erzählerischer Ansatz, um diese extreme Saison greifbar zu machen?
Für das Publikum ist Biathlon ist ja deswegen ein so packender Sport, weil er in sich so gegensätzlich ist. Nach Full-power-Tempo in der Loipe müssen die AthletInnen am Schießstand Körper und Kopf zwingen, das Gegenteil von dem zu machen, was er will: Luft anhalten, volle Konzentration – und das bei rasendem Puls. Biathlon ist dreifacher Kampf: der Kampf gegen sich selbst, gegen Wind und Wetter und gegen den Gegner. Diesen packenden Kampf über eine Saison an einzelnen AthletInnen und des ganzen Teams zu erzählen – das ist der erzählerische Ansatz. Spannung ergibt sich durch die sportliche Gegensätzlichkeit, aber auch vor und nach dem Wettkampf: Denn die BiathletInnen sind in einer Mannschaft unterwegs, es ist jedoch eine Einzelsportart. Meine ZimmergenossIn ist am nächsten Tag mein direkter Konkurrent. Das hat – unabhängig von der Sportart – ein hohes dramatisches Potential.
Der Zugang zu den Athletinnen und Athleten war außergewöhnlich nah. Welche Voraussetzungen mussten geschaffen werden, damit das Team Ihnen wirklich vertraut und auch heikle Momente zulässt?
Natürlich geht es um Vertrauen. Dieses Vertrauen kann über intensive Vorgespräche mit allen Beteiligten entstehen, sich wirklich entwickeln kann es jedoch nur beim Dreh selbst. Meiner Erfahrung nach vergessen die Akteure bei einer so intensiven Kamerabegleitung irgendwann, dass eine oder zwei Kameras dabei sind. Umso wichtiger ist es dann jedoch, von Filmer-Seite her das Fingerspitzengefühl zu entwickeln, wann man sich auch mal zurückziehen muss. Diese Balance ist nicht einfach zu finden. Am wichtigsten ist jedoch aus meiner Sicht: In dieser modernen Art des Storytellings zeigen wir reale Personen, denen wir emotional folgen sollen. Umso wichtiger ist es, sie in ihren Rollen, die ich ihnen dramaturgisch zuweise, ernst zu nehmen und sie zu keinem Zeitpunkt bloßzustellen oder mich über sie lustig zu machen. Ich muss mit der Story meiner HeldInnen respektvoll umgehen, im Erfolg wie im Scheitern.
In der Serie spielt Franziska Preuß eine zentrale Rolle – sowohl sportlich als auch dramaturgisch. Wie hat sich ihre Geschichte während des Drehs verändert oder zugespitzt?
Franziska Preuss Karriere ist ja im Laufe von über 10 Jahren immer wieder von Krankheit und Verletzungen ausgebremst worden. Sie ist immer wieder angelaufen, hat es aber nie richtig auf den Zenit geschafft. Tragisch. Insofern hat sich die letzte Saison wie ein Spiegelbild ihrer Gesamtkarriere entwickelt. Ein dramaturgischer Glücksfall, wie ihn man sich für einen fiktionalen Film nicht besser hätte ausdenken können. Start der Saison – direkt krank. Dann lief es aber konstant bergauf, seit dem dem 2. Weltcup ist sie bereits im gelben Trikot der Weltcupführenden. Nach 2/3 der Saison kommt aber ihre stärkste Konkurrentin immer näher. Die Französin Luc Jeanmonnot gewinnt und gewinnt, und Franziska zeigt plötzlich Nerven. So kommt es dann zum Showndown beim letzten Weltcup in Oslo im Kampf um die Biathlon-Krone. Und zu einem Jahrhundertrennen zwischen den beiden im letzten Rennen. Wie gesagt: Kann man sich nicht besser ausdenken.
Besonders spannend: Bei den Männern läuft vieles schief, inklusive interner Konflikte. Wie haben Sie entschieden, wie viel Nähe und Offenheit Sie zeigen können, ohne Grenzen zu überschreiten?
Diese Frage stellte sich so nicht. Alle AthletInnen sind mit uns – auch und gerade in Einzelinterviews nach diesen Konfliktmomenten – sehr offen und ehrlich umgegangen.
Und ich gebe ihnen durch diese Statements und die Art des Storytellings ja auch die Möglichkeit, das situativ aufgenommene zu bewerten und einzuordnen. So haben beide Seiten was davon. Die Menschen vor der Kamera werden ernst genommen – und ich habe die Bausteine für die Geschichte, die ich erzählen kann und will.
Für das Vertrauen aller Beteiligte kann ich mich trotzdem nur immer wieder bedanken, denn es ist natürlich nicht selbstverständlich. Aber hier haben alle Beteiligten einmal zu Beginn gesagt: OK, wir lassen das zu. Und haben das dann auch durchgehalten. Ist aber auch nicht selbstverständlich.
Der Biathlon-Weltcup ist eine der emotionalsten und zugleich härtesten Serien im Wintersport. Was unterscheidet ihn filmisch von anderen Sportarten, die Sie dokumentiert haben?
Bei anderen Sportarten wie im Fußball zum Beispiel bleiben die Protagonisten beim Wettkampf und auch im Training an einem Ort. Beim Biathlon laufen sie nach dem Schießen in den Wald, da ist es besonders beim Training schwierig, mit dem Kameras dabei zu bleiben.
Und dann kommt beim Biathlon dazu, dass es bei den Rennen im Grund ja um das gleiche geht: nämlich Ski laufen und Schießen. Dass es aber viele unterschiedliche Wettbewerbe gibt. Das ist so, als würde man beim Fußball ein Spiel auf zwei Tore machen, 90 Minuten lang, am nächsten Tag aber 40 Minuten dann auf drei Tore spielen und zum Schluss darf jeder nochmal Elfmeter schießen. Will sagen: Wir mussten uns auf einzelne Rennen konzentrieren im Schnitt, beim Dreh konnten wir natürlich nicht wissen, welches wie für uns wichtig wird. Daher hatten wir dann mit der Masse an Material nachher ganz schön zu kämpfen.
Episoden wie „Riskanter Plan“ oder „Showdown“ haben fast Spielfilm-Dramaturgie. Wie gelingt es, echte Ereignisse so zu erzählen, ohne künstlich zu inszenieren?
Indem man sich das Material genau unter dem Gesichtspunkt ansieht, was Sie mit „Spielfilm-Dramaturgie“ meinen. Das eigentliche Rennen, um das es geht, ist ja nur Ausgangspunkt oder Happy oder Sad end der Dramaturgie – und man kennt ja das Ergebnis bei Ausstrahlung ja auch. Wichtig ist die emotionale Erzählung unter dem Gesichtspunkt: Wie kam es dazu? Was passierte danach? Und das ist nicht in Chronistenmanier zu dokumentieren, sondern den Protagonisten muss man Rollen zuweisen, die sie ausfüllen können – und die man im dokumentarischen Material finden muss und aus diesem entwickeln. Missing links muss man dann mit Interviews füllen, in dem man die AkteurInnen nochmal vor der Kamera das Erlebte und ihre Wahrnehmung erzählen lässt. Hört sich einfach an, ist aber eine höllische Arbeit. Aber die macht Spaß…. besonders wenn es sich am Ende so fügt, wie in diesem Fall hoffentlich.
Vanessa Voigts Comeback, die jungen Athletinnen um Selina Grotian, die Neustarts bei den Männern: Welche Geschichte hat Sie persönlich am stärksten berührt?
Das kann ich so nicht beantworten. Ganz am Anfang haben wir ja direkt mitbekommen, wie bei der Qualifikation für den Weltcup von den Trainern entschieden wurde, wer dabei ist und wer nicht. Das erzählen wir in Episode 1. In diesem Moment dachte ich schon: Wow, Athletinnen wie Marion Wiesensarter oder Athleten wie Lucas Fratscher, die sich das ganze Jahr lang gequält haben, um es hierher zu schaffen, scheitern so knapp vor dem Ziel. Und machen trotzdem weiter. Greifen wieder an. Lassen sich nicht entmutigen. Chapeau. Im Laufe der Saison ist mir dann aufgefallen, dass das allen so geht, Rennen für Rennen. Weltcup für Weltcup. Abhaken – weitermachen.
Aber wenn ich einen Moment benennen müsste, dann ist es die Geschichte der Männer-Staffel bei der WM in Lenzerheide in Episode 4 und Franziska Preuß Triumph in Oslo und das, was dann im Ziel geschah – Episode 5.
Die letzten Jahre zeigten, dass Biathlon-Übertragungen aus Kanada und den USA im TV-Publikum eher schwach liefen. Warum funktioniert der Sport hierzulande trotzdem so hervorragend – besonders am Wochenende am Nachmittag?
Ich glaube, die Faszination für Biathlon hat damit zu tun, dass dieser Sport durch die 2 in 1 – Disziplin so unberechenbar ist. Selbst wer auf der vorletzten Runde in der Loipe 20 Sekunden vorn liegt, kann den Platz auf dem Podium beim letzten Schießen durch Fehler noch verlieren. Warum man sich das gern am Wochenende nachmittags im TV ansieht? Vielleicht weil es einfach eine Art „Kaminfeuer“-Effekt im meist ja grauen und nicht schneeweißen Winter-Alltag erzeugt. Wohlige Winterstimmung bei knisternder Spannung. Vielleicht machts die Mischung. Und die wirkt am Nachmittag besser als am Abend. Vielleicht.
Die Fans sehen Biathlon als „Heimat-Sportart“, obwohl er international ist. Spüren Sie beim Drehen, wie groß die Fallhöhe zwischen Volksnähe und absoluter Hochleistung tatsächlich ist?
Ich habe erlebt, wie laut es im Stadion ist, wenn die Athletlnnen zum Schießstand kommen. Mit 180 Puls wohlgemerkt. Sich dann nur auf diese Scheibe zu konzentrieren, während hinter einem das Publikum lautstark jeden Treffer bejubelt oder jeden Fehlschuss deutlich betrauert – das ist eine unglaubliche Leistung. Ich kann mir vorstellen, in diesen Momenten wünscht sich der eine oder andere, die Zuschauer wären nicht da. Ansonsten lieben und genießen es die AthletInnen jedoch sehr, von den Massen gepusht zu werden. Insofern gibt es auch hier die Gegensätzlichkeit, die diese Sportart auszeichnet und so reizvoll macht.
Die Serie steht stark für Transparenz: Druck, Streit, Fehler, Verletzungen. Glauben Sie, dass zukünftige Sport-Dokus im ZDF und anderswo ebenfalls diesen mutigen Grad an Offenheit haben müssen?
Diese Offenheit ist Voraussetzung, um diese Art von emotional geführtem Storytelling anhand einzelner Charaktere erreichen zu können. Dabei geht es gar nicht darum, immer weiter in die Privatsphären der Protagonisten vordringen zu müssen, wenn es nicht auf die Geschichte einzahlt oder die XY. Traineransprache sehen zu können. Aber es geht um die Offenheit, Konflikte oder Probleme nicht auszuschließen, da sie das Salz in der Dramaturgie sind. Wichtig ist, dass sich dann alle Beteiligte vertrauen, das das Geschehene oder Gehörte angemessen eingeordnet und dramatisch verarbeitet werden kann. Insofern muss man (fast alles) drehen können - und dann im Schnitt sehen, wie man damit umgeht. Wichtig ist zu erkennen: Es geht in erster Linie um Spannung, Emotionen, Unterhaltung, nicht um journalistische Aufarbeitung.
Und zum Schluss: Hatten Sie beim Drehen einen Moment, bei dem Sie dachten: Genau deshalb ist Biathlon in Deutschland so beliebt – egal ob Sieg, Sturz oder Tränen?
Es war eher der Moment, als ich die Serie fertiggestellt hatte. Ich empfand Freude, Dankbarkeit und auch ein wenig Stolz darüber, dass uns die deutschen Biathletinnen und Biathleten ermöglicht haben zu erzählen, warum sie und ihre Sportart in Deutschland so beliebt sind. Es liegt nämlich nicht nur am Sport, an der Leistung und am Erfolg, sondern es sind einfach faszinierende Charaktere und liebenswerte Menschen, die diesen Sport professionell betreiben – und damit sicher keine Reichtümer anhäufen. Trotzdem tun sie sich diese Strapazen Jahr für Jahr an. Und wir können jetzt erstmals zeigen, was das heißt.
Danke für Ihre Zeit!
«Biathlon Nation - Ein Team. Eine Mission.» startet am heutigen Dienstag (gegen 17.25 Uhr) und wird am Mittwoch (17.30 Uhr) fortgesetzt. Die Doku-Reihe läuft im Anschluss an die Biathlon-Übertragungen vom ZDF. Alle Folgen sind seit vergangener Woche schon in der ZDFmediathek.