Filme des Grauens: «Artemis Fowl»

Der Spielfilm sollte Disneys Antwort auf «Harry Potter» werden – geworden ist er eine Lehrstunde darin, wie man eine gefeierte Buchreihe in einen seelenlosen CGI-Schlamm verwandelt. Ein 125-Millionen-Dollar-Flop mit Ansage.

Wenn ein 125-Millionen-Dollar-Film von Kenneth Branagh nach zwei Jahren Entwicklungszeit direkt auf Disney+ landet, ist das selten ein gutes Zeichen. «Artemis Fowl», basierend auf der erfolgreichen Jugendbuchreihe von Eoin Colfer, sollte das nächste große Fantasy-Franchise für Disney werden – irgendwo zwischen «Harry Potter» und «Percy Jackson». Heraus kam in der Pandemie stattdessen eines der größten Desaster moderner Streaming-Geschichte: ein konfuses, liebloses und komplett seelenloses Stück Markenware, das nicht nur Fans, sondern auch Kritiker ratlos zurückließ.

Die Handlung: Artemis Fowl II (gespielt von Ferdia Shaw), ein zwölfjähriges Genie aus Irland, lebt mit seinem Vater (Colin Farrell) in einem Schloss voller Geheimnisse. Als sein Vater entführt wird, muss Artemis sich mit einem trollfressenden Zwerg (Josh Gad), der rebellischen Fee Holly Short (Lara McDonnell) und dem treuen Butler (Nonso Anozie) verbünden, um ein mächtiges Artefakt namens „Aculos“ zu finden. Dieses magische Objekt soll den Schlüssel zum Schicksal beider Welten – der menschlichen und der Feenwelt – darstellen. Was in Colfers Romanen eine Mischung aus cleverem Science-Fantasy, irischem Mythos und kindlichem Zynismus war, wird hier zu einem flachen Durcheinander aus CGI-Gewitter, belanglosen Dialogen und hektisch montierten Actionszenen.

Kenneth Branagh, eigentlich bekannt für Shakespeare-Adaptionen («Henry V», «Hamlet») und aufwendige Studioprojekte wie «Thor» oder «Mord im Orient Express», inszenierte den Film mit erstaunlicher Lustlosigkeit. Alles wirkt steril, als sei der Film in einem überbeleuchteten Themenpark entstanden. Die Farbpalette ist grell, die Szenen sind überladen, und die visuelle Magie bleibt auf der Strecke. Statt Atmosphäre gibt es grüne Lichter, fliegende Gadgets und eine bizarre Mischung aus Fantasy- und Agentenfilm. Patrick Doyles Musik plätschert, während der Zuschauer versucht, der Handlung zu folgen, die so wirkt, als hätte man aus vier Drehbüchern eines gemacht.

Dabei war «Artemis Fowl» ursprünglich als Kinoevent gedacht. Schon 2001 hatte Miramax – damals noch unter Disney – die Rechte an Colfers Buchreihe erworben. Doch über zwei Jahrzehnte hinweg blieb das Projekt in der berüchtigten „Entwicklungshölle“. Verschiedene Drehbuchautoren, Regisseure und Produzenten kamen und gingen – darunter Lawrence Guterman, Jim Sheridan und die Weinstein-Brüder. Erst 2015 übernahm Branagh, der versuchte, das erste und zweite Buch zu verschmelzen. Gedreht wurde 2018 in Irland, England und Vietnam, und eigentlich hätte der Film im Sommer 2019 ins Kino kommen sollen. Nach mehreren Verschiebungen kam dann die Pandemie – und Disney entschied, Artemis Fowl direkt auf die hauseigene Streamingplattform zu schieben.

Diese Entscheidung erwies sich als doppelt unglücklich: Zum einen wirkte der Film auf Disney+ wie ein Notprodukt, das man schnell loswerden wollte, zum anderen traf er mitten in der Hochphase der Streamingkritik auf ein Publikum, das anspruchsvollere Fantasy von Netflix & Co. gewohnt war. Das Urteil fiel vernichtend aus: Auf Rotten Tomatoes liegt der Film bei nur 8 Prozent, Metacritic vergab 31 Punkte. „Variety“ sprach von einem „torturously long 93 minutes“, IndieWire vergab ein „D+“, und Forbes bezeichnete ihn als „einen der schlechtesten Jugendfantasyfilme aller Zeiten“. Das größte Problem: Branagh und Disney verstanden offenbar nicht, was Colfers Bücher ausmachte. Die Romanvorlage lebte von ihrem moralisch ambivalenten Helden – ein kindlicher Antiheld, der eher Verbrecher als Retter ist. Im Film wird Artemis dagegen zum glatten Disney-Protagonisten ohne Kanten. Aus dem genialen, manipulativen Kriminellen wird ein netter Junge, der seinen Vater retten will. Das mag familienfreundlicher wirken, raubt der Figur aber jede Faszination. Fans der Buchreihe reagierten empört, viele bezeichneten den Film als „Verrat am Original“.

Hinzu kam eine Serie von Fehlentscheidungen in der Besetzung. Judi Dench als Commander Root, Anführerin der Feenpolizei, spricht in rauchiger Batman-Stimme und wirkt, als wolle sie das Drehbuch persönlich bestrafen. Josh Gad als Mulch Diggums kommentiert die Handlung in einer Art Dauer-Monolog und liefert mit seinen ständigen Körpergeräuschen einen Tiefpunkt moderner Fantasykomik. Die Casting-Kritik wurde noch verschärft, weil mehrere Figuren ethnisch falsch besetzt waren – darunter Holly Short, die in den Büchern als „dunkelhäutig“ beschrieben wird, im Film aber weiß gespielt wird. Auch der Versuch, visuelle Opulenz zu erzeugen, scheiterte. Statt immersiver Welt entstand ein generischer CGI-Brei: Die unterirdische Feenstadt Haven City sieht aus wie ein vergessenes «Star Wars»-Set, die Kreaturen bewegen sich zwischen Cartoon und Computerspiel, und die Action ist derart unübersichtlich geschnitten, dass selbst ein Trollangriff zur visuellen Zumutung wird. Branagh erklärte später, man habe „die Geschichte kindgerechter und positiver machen wollen“ – ein Ansatz, der die düstere Ironie des Buchs komplett zerstörte.

Die Kritiker waren sich selten so einig: «Artemis Fowl» ist kein schlechter Film im klassischen Sinne, sondern ein Beispiel dafür, wie eine Marke falsch verstanden wurde. Aus einem intelligenten, irischen Märchen über Macht und Moral wurde ein seelenloses Franchiseprodukt. „Variety“ schrieb: „Es ist, als würde man einen Trailer für einen Film sehen, der gar nicht existiert.“ Das „Guardian“-Urteil war ähnlich: „Ein Jugendfranchise nach Zahlen – seelenlos, chaotisch, überproduziert.“

Und was wurde aus den Beteiligten? Hauptdarsteller Ferdia Shaw, der Enkel von Robert Shaw («Der weiße Hai»), verschwand nach dem Film fast komplett aus der Öffentlichkeit. Kenneth Branagh machte schnell weiter und inszenierte 2021 das gefeierte «Belfast» – ein Film, der so persönlich und gelungen war, dass «Artemis Fowl» wie ein Ausrutscher wirkt. Judi Dench überstand das Desaster ebenso schadlos; sie hat in den letzten Jahren wohl schlimmere Drehbücher gesehen («Cats» lässt grüßen). Autor Eoin Colfer hingegen reagierte gelassen und meinte später ironisch: „Ich wusste, dass irgendwann jemand «Artemis Fowl» verfilmen würde. Ich hatte nur gehofft, es würde länger dauern.“

Kommerziell blieb der Film trotz Disney+ kein Erfolg. Er gehörte zwar zu den meistgestreamten Titeln des Jahres 2020, aber eher aus Neugier. Bereits 2023 wurde er wieder aus dem Streamingkatalog gelöscht – ein seltener Vorgang bei Disney.
27.12.2025 12:51 Uhr  •  Sebastian Schmitt Kurz-URL: qmde.de/166591