‚Wir müssen aufhören, Trauer wie einen Wochenend-Workshop zu behandeln‘
Mit «Der Tod ist ein Arschloch» wagen Bestatter Eric Wrede und Regisseur Michael Schwarz einen radikal ehrlichen Blick auf Abschied, Trauer und die Menschen, die uns durch die dunkelsten Stunden begleiten. Ihr Film zeigt das echte Leben zwischen Krematorium, Wohnzimmer und stillem Humor.
Herr Wrede, Herr Schwarz, der Titel Ihres Films ist ungewöhnlich direkt – wie ist «Der Tod ist ein Arschloch» entstanden, und warum gerade dieser provokante Titel? Eric Wrede: Es ist, wie so oft, eine glückliche Fügung. Wir bekommen zwar regelmäßig Anfragen in diese Richtung, doch bisher hat sich das nie richtig angefühlt – zu oft waren die Ideen zu voyeuristisch oder reißerisch. Dank der bereits bestehenden Filme von Michael war jedoch schnell klar: Das ist das richtige Team, dem wir unsere Türen öffnen können – menschlich wie inhaltlich. Michael Schwarz: Ohne zu viel vorwegzunehmen: am Ende des Films wird der Titel von einer unserer Protagonistinnen aufgelöst und sehr nachvollziehbar erläutert. Wir hatten in der Postproduktion natürlich unterschiedliche Titelideen zum Film, «Der Tod ist ein Arschloch» war aber von Anfang an unser Favorit.
Der Film zeigt Momente zwischen Krematorien, Wohnzimmern und Trauergesprächen. Was war Ihnen beim Erzählen dieser Lebensrealität besonders wichtig? Michael Schwarz: Wenn man an Filme zum Thema denkt, hat man doch eher Standardsituationen wie die Obduktion im Krimi oder die epische Beerdigungsfeier im Kopf. Uns war es wichtig, präzise zu beobachten, was diese Lebensrealität tatsächlich ausmacht, und zwar sowohl für Angehörige als auch das Bestatter*innen-Team.
Warum, glauben Sie, fällt es unserer Gesellschaft so schwer, offen über den Tod zu sprechen – obwohl er uns alle betrifft?
Eric Wrede: Ich glaube, dieses Tabu ist eine Lüge. Alle wollen darüber sprechen, nur fehlen uns häufig der richtige Moment und die passende Sprache. Wir sind bei diesem Thema eher unsicher – nicht nur, weil es unsere tiefsten Sorgen und Ängste berührt, sondern auch, weil die Deutungshoheit darüber, was wir wollen dürfen, lange nicht in unseren Händen lag. Zum Glück ändert sich das gerade massiv. Und wir haben bei den Festivals, auf denen der Film bereits erfolgreich lief, gesehen, wie sehr auch dieser Film dabei hilft, genau dieses Gespräch zu führen.
Der Film hat viel Humor, aber auch Tiefe. Wie haben Sie beim Drehen die richtige Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Leichtigkeit gefunden?
Michael Schwarz: Die Gleichzeitigkeit von sehr tiefen, emotionalen Momenten, die trotzdem teilweise auch mit Humor gepaart sein können, habe ich bereits im Rahmen meiner langen Recherche zum Projekt erlebt. Mir war es wichtig, diese mögliche Gleichzeitigkeit auch im Film darzustellen. Beim dokumentarischen Dreh ist es immer wieder großartig, wenn das echte Leben Momente schafft, die so skurril sind, dass man sich das am PC nicht ausdenken könnte – wenn es gelingt, diese Momente dann auch entsprechend filmisch einzufangen, ist es ein großes Geschenk. Die Balance von Tiefe und Humor findet sich aber dann weniger beim Dreh als im Schnittprozess.
Herr Wrede, Sie gelten als „Deutschlands unkonventionellster Bestatter“. Was unterscheidet Ihre Arbeit konkret von klassischen Bestattungsunternehmen?
Eric Wrede: Solche Attribute verwirren mich meistens. Ich glaube, wir versuchen schlicht immer wieder aufs Neue, es zur Perfektion zu bringen, dass Menschen genau das bekommen, was sie in ihrer Trauer brauchen. Diese Bedürfnisse haben allerdings oft wenig mit dem zu tun, was klassische Bestatter anbieten. Nicht, weil dort jemand schlecht arbeitet, sondern weil die Fragestellungen häufig stark von Normen und Konventionen geprägt sind.
Mir ist es zum Beispiel völlig egal, welche Urne sich jemand am Ende aussucht. Und ich kann Ihnen sagen: Die meisten Menschen, die einen gesunden Trauerprozess durchlaufen, messen dieser Frage ohnehin kaum Bedeutung bei – weil sie am Ende schlicht nicht mehr relevant ist.
Gab es während des Drehs einen Moment, in dem Sie selbst emotional besonders berührt oder überrascht wurden? Eric Wrede: Nicht so sehr während des Drehs, eher beim ersten Anschauen des fertigen Films. Noch einmal die Intensität unseres Alltags zu sehen, hat mich stärker berührt, als ich erwartet hatte. Besonders der Fahrradkorso durch Potsdam ging mir nahe. Und meine Tochter meinte nur, ich sei im Film gar nicht so lustig wie sonst – vielleicht braucht es also noch eine Extended Version.
Sie sprechen viel darüber, wie Trauer Raum und Zeit braucht. Was sollte sich Ihrer Meinung nach in unserem gesellschaftlichen Umgang mit Trauer dringend ändern?
Eric Wrede: Wir sollten endlich aufhören, Trauer wie einen Wochenend-Workshop zu behandeln. Wir haben ja gar keine Wahl – wenn jemand stirbt, kommt die Trauer sowieso, ob wir sie einladen oder nicht. Und genau darin liegt ihre eigentliche Kraft.
Sie zwingt uns, langsamer zu werden, hinzusehen, zu fühlen. Wenn wir ihr wirklich Raum und Zeit geben – ohne Checklisten, ohne gut gemeinte Abkürzungen – kann sie uns verändern und sogar stärker machen, als wir es je erwartet hätten.
Herr Schwarz, wie war es für Sie als Regisseur, Eric Wrede und sein Team über so lange Zeit hinweg zu begleiten – auch in sehr intimen Momenten?
Michael Schwarz: Ich bin nach wie vor sehr dankbar, dass uns als gesamtes Filmteam so viel Vertrauen entgegengebracht wurde – das gilt einerseits natürlich für Eric Wrede und seine Kolleginnen, aber insbesondere auch für ihre Kund*innen. Ohne dieses Vertrauen und die enorme Offenheit aller Protagonist*innen wäre ein Film wie dieser schier undenkbar.
Der Film verzichtet auf übermäßige Dramatisierung. Welche filmischen Mittel haben Sie bewusst eingesetzt, um Nähe und Authentizität zu schaffen?
Michael Schwarz: Gerade bei dieser Thematik war es uns besonders wichtig, subtil und präzise zu erzählen und in keinem Fall übermäßig zu dramatisieren. Nähe und Authentizität sind für überzeugende Dokumentarfilme absolut essentiell – und entstehen nur, wenn sich alle Beteiligten vor und auch hinter der Kamera vertrauen. Dann war es im Schnitt nochmal die Herausforderung, aus dem vielen Rohmaterial insbesondere die Szenen zu verdichten und zu arrangieren, die uns mit unseren Protagonist*innen am stärksten in eine emotionale Verbindung setzen. Dafür war es sicher wichtig, nicht rein situativ zu erzählen, sondern auch mit Interviews zu arbeiten. Eine weitere klare Entscheidung war es, keine emotionalisierende Zusatzmusik einzusetzen, sondern ausschließlich mit Stücken zu arbeiten, die in den einzelnen Situationen auch tatsächlich inhaltlich relevant waren.
Was würden Sie sagen: Hat Sie die Arbeit an diesem Film persönlich verändert – im Umgang mit dem Thema Tod oder im Blick auf das eigene Leben?
Michael Schwarz: Ich bin mir durch die Arbeit an «Der Tod ist ein Arschloch» vielleicht noch bewusster geworden, was für ein tolles Privileg es ist, Filme machen zu dürfen, die einem selbst wirklich wichtig sind. Persönlich verändert habe ich mich glaube ich nicht, ich bin nach wie vor sehr dankbar, aktuell gesund zu sein und das machen zu dürfen, was ich für relevant erachte.
«Der Tod ist ein Arschloch» läuft ab Ende November im Kino – was wünschen Sie sich, was das Publikum nach dem Abspann mitnimmt?
Michael Schwarz: Die bisherigen Feedbacks und Filmgespräche haben gezeigt, dass es einen enormen Bedarf gibt, sich zum Thema moderne Trauer- und Abschiedskultur auszutauschen – wenn es dem Film gelingt, dass Zuschauer*innen hier entsprechend inspiriert werden und miteinander ins offene Gespräch kommen, würde ich mich sehr freuen. Eric Wrede: Ich wünsche mir, dass die Menschen nach dem Abspann nicht sofort in den Alltag flüchten, sondern den Impuls spüren, dranzubleiben – an den eigenen Fragen, an den Gesprächen mit anderen. Wenn der Film dafür sorgt, dass wir mutiger über Sterben, Tod und das, was danach kommt, reden, dann hat er schon unglaublich viel erreicht.
Eine letzte Frage: Was ist das Mutigste, das jemand im Angesicht von Abschied oder Tod tun kann?
Eric Wrede: Nicht wegschauen, sondern hingehen – auch wenn es weh tut. Am Ende wird es jedem guttun. Versprochen.
Vielen Dank!
«Der Tod ist ein Arschloch» ist ab 27. November im Kino zu sehen.