Jo Müller über Roland Emmerich: ‚Er hat sich nie verbiegen lassen‘
Seit über 30 Jahren begleitet Jo Müller den wohl erfolgreichsten deutschen Regisseur in Hollywood: Roland Emmerich. In seiner neuen ARD-Dokumentation «Meister der Apokalypse» zeigt der Filmemacher den Blockbuster-Macher von einer ungewohnt persönlichen Seite – als Visionär, Kämpfer und bodenständigen Menschen.
Herr Müller, Sie haben Roland Emmerich über drei Jahrzehnte lang begleitet. Wann war für Sie klar, dass daraus einmal ein Dokumentarfilm entstehen sollte?
Die Idee existierte schon sehr lange. Ich habe ja schon im Laufe der Jahre mehrere Dokumentationen über Roland Emmerich für verschiedene Sender gedreht und wollte das alles noch einmal zusammenfassen und diese Erlebnisse mit dem Hollywoodregisseur in einer großen, allesumfassenden Doku destillieren. Einer Doku, die viele Jahre umspannt und eine wirklich facettenreiche Sicht auf die Person Roland Emmerich gewährt, eine in der man ihm wirklich nahekommt und die eben nicht nur auf dem schönen Glanz der Oberfläche verweilt oder zum hundertsten Mal seine Filme analysiert.
Der Titel «Meister der Apokalypse» klingt nach großem Kino – aber Ihr Film zeigt auch sehr persönliche Seiten. Wie haben Sie die Balance zwischen Mythos und Mensch gefunden?
Der Mythos nährt sich ja im Grunde aus dem Menschen. Und was Roland Emmerich angeht: Er war und ist absolut authentisch! Er selbst sagt im Film, dass er glaubt, seine Karriere sei so verlaufen wie sie ist, weil er stets bei sich geblieben ist. Sich hat nicht verbiegen lassen, eben „immer seine eigenen Filme“ gemacht hat. Deshalb glaube ich, den Mythos gibt es nur, weil der Mensch sich treu geblieben ist.
Sie kannten Emmerich bereits in einer Zeit, als er in Deutschland noch belächelt wurde. Wie haben Sie seinen Wandel vom unterschätzten Außenseiter zum Hollywood-Schwergewicht erlebt?
Ich hatte mich mit ihm in einer Stuttgarter Kneipe getroffen, nach dem Start von «Moon 44», als er mir eröffnete, nach Hollywood zu gehen, um ein Projekt mit Sylvester Stallone zu drehen. Sein Frust über die Häme und den Spott, gerade der deutschen und besonders der schwäbischen Presse, war ihm anzumerken. In der Traumfabrik galt er als Shooting Star, bei der deutschen Presse der Möchtegern-Hollywood-Filmer. Dass er aber, was die visuelle Gestaltung der Filme angeht, ein riesiges Talent hatte, wollte niemand sehen. Seine unglaubliche Professionalität und sein brillanter visueller Einfallsreichtum waren aber bereits schon bei seinen frühen Werken wie «Das Arche Noah Prinzip», «Joey» oder «Moon 44» zu sehen – auch wenn diese Filme freilich recht simpel gestrickt waren. Seinem Stil, großes Unterhaltungskino zu inszenieren, blieb er die ganzen Jahre treu. Am Set gab er sich bei den frühen Filmen genauso wie bei seinen späteren Hollywoodblockbustern – nur da eben noch professioneller, noch erfahrener. Was sich auch nie geändert hat und in Hollywood gar nicht gern gesehen wird: er legt auch gerne selbst Hand an, wenn er etwas an den Requisiten oder am Set verändert haben möchte.
In Ihren Aufnahmen sieht man Emmerich nicht nur als Regisseur, sondern auch als Privatmensch – etwa in seinem Haus oder im Kreis seiner Freunde. Wie offen war er für solche intimen Einblicke?
Er war extrem offen, weil das Vertrauen und der gegenseitige Respekt einfach über die Jahre gewachsen ist. Er mischt sich da nie ein, hat nie versucht gefilmtes Material zurückzufordern. Z.B. wollte er auch nie die Biografie, die ich über ihn geschrieben habe, zur Kontrolle gegenlesen. Vertrauen gegen Vertrauen.
Viele Ihrer Filme leben von Emotionen und Nähe. Wie schafft man es, einem international erfolgreichen Regisseur wie Emmerich so nahe zu kommen, ohne dass es voyeuristisch wirkt?
In dem man sich empathisch, respektvoll und höflich verhält. So wie man das normalerweise immer tun sollte. Wichtig ist, auf Augenhöhe zu agieren und sich nicht eitel selbst in den Mittelpunkt zu rücken.
Emmerich hat mit «The Day After Tomorrow» früh Themen wie Klimawandel und Verantwortung in den Mainstream gebracht. Wie sehr versteht er sich selbst als politischer Filmemacher?
Ich denke, das hat sich im Laufe der Jahre etwas verschoben. Früher schien er zum größten Teil nur am Unterhaltungswert der Filme interessiert zu sein. Seit «The Day After Tomorrow» hat sich das etwas gewandelt. Ein Film wie «Stonewall» ist aus meiner Sicht absolut politisch zu interpretieren!
In Ihrer Doku sprechen Sie auch über seine persönliche Geschichte – etwa über seine Homosexualität und die Entscheidung, sie lange geheim zu halten. Wie war es, dieses sensible Thema filmisch zu behandeln?
Emmerich hat das von sich aus thematisiert und steht zu seiner Homosexualität. Er hat sie geheim gehalten, um im Hollywood der 1990er Jahre Actionfilme drehen zu können und wollte auf gar keinen Fall in die Kategorie homosexueller Filmemacher wie z.B. Rosa von Praunheim gesteckt werden. Während es hierzulande noch ein großes Thema zu sein scheint, ist es in den USA überhaupt kein Gesprächsstoff.
Überraschte Sie etwas an Emmerichs Arbeitsweise oder Persönlichkeit, obwohl Sie ihn schon so lange kannten?
Dass er Mimosa mag.
Hollywood gilt als Welt der großen Egos. Wie hat sich Emmerich dort behauptet – und wie viel vom schwäbischen Tüftler steckt heute noch in ihm?
„Schwäbischer Tüftler“ klingt immer ein wenig herablassend. Aber er hat mit Sicherheit Durchsetzungsvermögen, Beharrlichkeit und Ideenreichtum von seinem Vater geerbt und den Drang etwas erschaffen zu wollen. Im Gegensatz zu anderen Hollywoodmachern umgibt er sich aber nicht mit einer großen Entourage, sondern ist sehr menschlich, loyal und freundlich geblieben. Damit ist er in der Traumfabrik eine Ausnahmeerscheinung. Ja, vielleicht ist er gerade wegen seiner schwäbischen Wurzeln so nett und bodenständig.
Der Film zeigt auch den Preis des Erfolgs: Druck, Krankheit, Einsamkeit. Wie schwer war es, diese dunkleren Kapitel zu erzählen, ohne in Pathos oder Tragik zu verfallen?
Auch das war nicht schwierig – da er automatisch auf diese Themen kommt, er ist Pragmatiker und hält nicht viel vom Jammern. Er sieht das Leben nicht als Ponyhof und weiß, dass es manchmal echt hart und ungerecht sein kann. Insofern habe ich mich nur darüber gewundert, wie leicht, locker und emotionslos er über die Zeit reden konnte, in der er knapp dem Tod entrann. Das zeugt von einem starken Lebenswillen!
Sie waren bei Dreharbeiten, Partys und in privaten Momenten dabei. Gab es Szenen oder Erlebnisse, die Sie bewusst nicht im Film zeigen wollten – aus Respekt oder Nähe?
Als Dokumentarfilmer habe ich eine große Verantwortung gegenüber meinen Protagonisten, dem Publikum und der gesellschaftlichen Wahrheit. Ich möchte in meinem dokumentarischen Arbeiten fair, ehrlich und respektvoll sein. Es geht im Dokumentarfilm nicht darum, alles zu zeigen, was man aufnehmen kann – oder im Nachgang darüber zu berichten, sondern das zu transportieren, was dem Thema und dem Menschen gerecht wird.
Was wünschen Sie sich, dass das Publikum nach dem Film über Roland Emmerich denkt – und vielleicht auch über das, was Erfolg wirklich bedeutet?
Es wäre schön, wenn die Doku grundsätzlich ein gewisses Maß an Nachdenklichkeit erzeugen könnte. Es geht schließlich auch um Vergänglichkeit und unser unausweichliches Ende. Am Beispiel von Roland Emmerich zeigt sich, dass es sich lohnt, an die eigenen Träume zu glauben und es möglich ist, diese zu verwirklichen. Mit harter Arbeit, viel Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen. Nichts fällt einem in den Schoß. Selbstmitleidiges Gejammer – das ist einfach! Aber sein Ziel zu verfolgen und sich davon nicht abbringen zu lassen, das erfordert verdammt viel, ist aber möglich. Das gilt auch für den Mikrokosmos dieser Dokumentation, für die ich lange Zeit gekämpft habe und die für mich jetzt endlich Wirklichkeit geworden ist.
«Moonfall» war für die Fachpresse enttäuschend, «Those About to Die» war auch bei Amazon kein Hit. Wird Roland Emmerich noch einmal Kinogeschichte schreiben wie zwischen 1992 und 2008?
Das ist alles relativ zu sehen: «Blade Runner» war für die Presse auch enttäuschend! Im übrigen war «Those About to Die» in Europa sehr erfolgreich. Leider nicht in den USA. Ich glaube Emmerich hat noch ein paar Projekte auf Lager, die so einige Leute – vor allem auch die Kritiker – in Erstaunen versetzen werden.
Danke für Ihre Arbeit!
«Meister der Apokalypse» ist seit 4. November in der ARD Mediathek abrufbar. Die Doku läuft auch am 10. November (23.35 Uhr) im Ersten.