Lukas Rüppel: ‚Distanz verlieren ist der Job – und sie am Ende wiederzufinden auch‘
In «Und dann passiert das Leben» steht Rüppel erstmals gemeinsam mit Anke Engelke und Ulrich Tukur vor der Kamera – als Sohn eines Ehepaares, das durch ein unerwartetes Ereignis aus seiner Routine gerissen wird.
Im Interview spricht der Schauspieler über Aufregung vor großen Namen, die besondere Arbeitsweise von Regisseurin Neele Vollmar, das feine Gleichgewicht zwischen Humor und Melancholie – und warum Erwachsenwerden manchmal einfach bedeutet, das Leben geschehen zu lassen.
Herr Rüppel, Sie spielen den Sohn von Anke Engelke und Ulrich Tukur – zwei Schauspielgrößen. Wie war es, mit diesem Duo zu drehen, das für viele Zuschauer fast schon Kultstatus hat?
Ich bin bei meinen Kolleg*innen dafür bekannt absolut keine Angst zu haben, sei es kurzfristiges Einspringen mit Knopf im Ohr, irgendetwas ad hoc zu moderieren oder großen Namen zu begegnen. Ob diese Wahrnehmung mit meiner Innensicht übereinstimmt, verrate ich hier nicht, aber ich kann sagen: selten war ich so aufgeregt wie vor dieser ersten Leseprobe unseres Films.
Ich habe mir in der Vorbereitung mehrere Fotos von Anke und Ulrich ausgedruckt und sie mir in die Wohnung gehängt, weil ich unbedingt normalisieren wollte, dass diese zwei „Giganten“ bald meine Eltern spielen. Der Dreh selbst war dann aber völlig unkompliziert, beide sind gnadenlos professionell und super entgegenkommend. Und dass wir dann auch noch spielerisch so harmoniert haben, war ein wunderbares Gefühl.
Der Film handelt von Veränderungen, vom Älterwerden und davon, wie plötzliche Ereignisse eine eingespielte Routine erschüttern. Wie haben Sie sich dieser melancholisch-leisen Stimmung angenähert?
Meine Figur Tom kommt dankenswerterweise von außen dazu in diese wollene Stimmung im elterlichen Bungalow. Das bedeutet, dass ich in der Figur gelegentlich mit einer etwas zu hohen Energie anecken konnte. Jeder kennt ja so jemanden, der die Stimmung in einem Raum immer etwas zu spät kapiert. Dieses Verhältnis von Tom zu den unterschiedlichen Situationen, in die er geworfen wird war für mich schnell eine Triebfeder der Figur und hat mir bei der Ausgestaltung der Rolle sehr geholfen. Das Vakuum, in dem die Eltern sich eingerichtet haben ist ja immer da, eine Konstante in Toms Leben, die er mal zu durchbrechen versucht, mal wird er davon eingefangen und dann, wenn er alleine ist, muss er auch wieder über die zunehmende Kautzigkeit dieser Routinen lachen.
Ihre Figur Tom ist zwischen zwei Generationen gefangen – Kind und gleichzeitig Beobachter seiner Eltern. Wie haben Sie diesen emotionalen Zwischenraum angelegt?
Ich habe mich lange gefragt, wie erwachsen ich Tom anlegen will, bis ich schließlich festgestellt habe: Kind bleibt Kind - zumindest aus Sicht der Eltern.
Diesem Verhältnis zu entfliehen - oder besser: zu entwachsen - das ist das, was er will, was er um jeden Preis erreichen muss, weil er sonst niemals wirklich ein eigenes Leben haben wird - und es ist gleichzeitig das, was die Eltern ihm unmöglich machen. Dieser innere Kampf speist die unterschiedlichsten Konstellationen, denn es gibt auch Momente, in denen der Sohn der Erwachsene ist und sich die Eltern wie Kinder benehmen, Momente in denen er viel emotional zugänglicher ist als die Eltern, und andere in denen er aus Situationen fliehen muss, die er eigentlich Sekunden vorher noch erfolgreich entschärft hat.
Sich Toms Impulsen und Bewältigungsstrategien zu überlassen, war eine grandiose Aufgabe: Die Mutter im Nebensatz beleidigen, ohne es zu merken; hart bleiben wollen, aber sich einlullen lassen; mit Monster-SUV die Einfahrt hochrasen ohne erfolgreich Eindruck zu schinden; aber am Ende eben doch immer wieder als Familie zusammenzufinden.
Regisseurin Neele Vollmar hat den Film selbst geschrieben. Wie war ihre Arbeitsweise am Set – eher präzise in den Vorgaben oder offen für Improvisation und Zwischenräume?
Neele hat diese Mischung an sich, die sie als Regisseurin sehr angenehm macht: sie hat eine genaue Vorstellung davon, was sie will, freut sich trotzdem über Vorschläge, lässt sich mal überzeugen und mal überzeugt sie uns. Es ist ein Arbeiten auf Augenhöhe bei dem trotzdem nicht alles erlaubt ist (denn dann wäre ja alles egal!). Oft sind beim Dreh neue Fährten aufgegangen, die wir dann konsequent verfolgt haben. Und so ein befreiter Arbeitsraum ist kein Zufall - der muss aktiv geschaffen werden, wofür ich Neele sehr dankbar bin.
«Und dann passiert das Leben» klingt fast wie ein Motto – oder auch eine Warnung. Was bedeutet dieser Titel für Sie persönlich?
Ich finde den Titel sehr spannend, weil er etwas aufgreift, das für die Figuren lange im Dunkeln bleibt, für die Zuschauenden aber sofort glasklar sichtbar ist: während über diese drei Menschen ein Unglück hereinbricht, das sie selbst vielleicht als die größte Tragödie ihres Lebens bezeichnen würden, erwischen sich die Kinobesucher*innen bei dem Gedanken: „jetzt geht für diese Familie das Leben überhaupt erst wieder los!“
Außerdem ist der Titel ja auch absolut wahr: Das Leben passiert. Jeden Tag. Kann man machen, was man will.
Es gibt in der Geschichte einen schweren Unfall, der alles verändert. Wie haben Sie die Dreharbeiten zu diesen emotional aufgeladenen Szenen erlebt – und wie viel Distanz ist da als Schauspieler möglich?
Also zunächst mal: ich bin dankbar für diese Frage, weil ich beim roten Teppich nicht genau wusste, ob ich diesen Unfall überhaupt erwähnen darf. Aber meine schlaflose Nacht danach war offensichtlich unbegründet und ich werde kein Schreiben vom Anwalt bekommen. (lacht)
Ich war beim Unfalldreh selber nicht dabei, es gibt aber eine Szene, in der Rita ihrem Sohn Tom am Telefon vom Unfall berichtet. Normalerweise hätte man das mit einer Tonaufnahme von mir oder mit jemandem von der Crew als Anspielpartner gedreht, weil ich an dem Tag gar keine andere Szene hatte. Es war mir aber ganz wichtig anwesend zu sein, damit Anke, Neele und ich uns zwischen den Takes persönlich und mit Augenkontakt besprechen konnten. Und irgendwie auch, um nach dem Dreh die Kollegin in den Arm zu nehmen beziehungsweise in den Arm genommen zu werden. Es klingt blöd, das über eine Szene zu sagen in der ich nur zu hören bin, aber ich finde dieser Moment ist ganz ganz stark geworden und es hat sich absolut ausgezahlt so zu arbeiten. Distanz ist in solchen Momenten gar nicht mehr vorhanden, das bedeutet aber nicht, dass das zufällig so passiert - das ist eher erarbeitet, Distanz verlieren ist der Job - und: sie am Ende wiederzufinden übrigens auch!
Die Presse lobt das Feingefühl des Films, andere kritisieren seine Langsamkeit. Wie würden Sie den Ton des Films selbst beschreiben – eher zart, humorvoll oder schmerzhaft ehrlich?
Wenn man Anke, Ulrich und mich zusammen an ein Set stellt, kann man erstmal davon ausgehen, dass es lustig wird. Da wir uns aber qua Buch zwangsläufig mit ganz anderen Themen beschäftigen mussten und Neele diese mit ihrer feinfühligen Regie auch sehr aufrichtig und ernsthaft umgesetzt hat, ist ein Film entstanden, der den Humor eher einsetzt, um dieses Vakuum in einer Familie, die sich festgefahren hat, überhaupt zu ertragen.
Viele Zuschauer verbinden Anke Engelke mit Komik. Wie erleben Sie sie in dieser sehr ernsten Rolle – und wie prägt ihre Art die Atmosphäre am Set?
Als ich die Zusage für den Film bekam, habe ich mich tierisch gefreut mit Anke zu arbeiten. Und das nicht nur, weil der gesamtdeutsche Konsens völlig zurecht lautet: „sie ist die coolste und freundlichste Person alive“, sondern weil ich schon ahnte: die Frau gibt alles. Und trotzdem hat mir dieser Dreh nochmal mehr gezeigt, wie professionell, gütig, und gnadenlos aufrichtig mit sich selbst und anderen Anke ist. Wie ein Lauffeuer steckt ihre Energie das ganze Set an, strahlende Gesichter vor der Combo und nach dem Take Tränen. Da muss man wirklich erlebt haben.
Der Film spielt stark mit der Frage, wie man im Leben loslässt und weitergeht. Haben Sie beim Dreh selbst über solche Themen nachgedacht – über Familie, Abschied oder Veränderung?
Klar, wenn man einen solchen Film macht, kommt natürlich niemand umhin diese Themen an sich ranzulassen. Ich persönlich merke in Momenten des Abschieds oder Verlustes immer am deutlichsten, dass ich mit jedem Tag erwachsener werde. Das ist irgendwie schmerzhaft, aber es birgt auch die Chance auf Hoffnung, denn Veränderung ist grundsätzlich erstmal positiv zu bewerten.
Diese Gedanken, die aus dem Script in mein Leben treten und sich dann über die Dreharbeiten mit Impulsen aus der echten Welt in mir vermischen, das ist ein Teil der Arbeit den ich liebe - und gute Texte machen das. Immer.
Das Werk lief bereits auf Festivals in Zürich und Hamburg, bald startet er im Kino. Wie war die Publikumsresonanz dort – und was wünschen Sie sich für die Kinopremiere am 6. November?
Ich konnte beide Festivals leider nicht besuchen, weil ich in dieser Zeit in den Proben von «Der Untertan» am Residenztheater steckte - ich habe den Film tatsächlich erst bei der München-Premiere sehen können. Die Kolleg*innen und Neele haben mir aber berichtet, dass sie sehr gutes Feedback bekommen haben. Außerdem haben wir ja inzwischen auch schon „Bester internationaler Film“ beim 14. Evolution Mallorca International Film Festival gewonnen. Und ich kann am 5. November nochmal ein bisschen Festival nachholen: da fahren Anke und ich zur „Lichtspielliebe“ nach Ludwigsburg. Der Film löst eine ambivalente Mischung in einem aus: man will klatschen ist aber beim Abspann so sehr mit seinen eigenen Gedanken zum Thema Abschied beschäftigt, dass man sich dabei fast schuldig fühlt. Zuschauer*innen so zu bewegen, das ist ja das Ziel - und ich wünsche mir, dass uns das ab 6. November mit vielen Menschen gelingt.
Danke für Ihre Zeit!
«Und dann passiert das Leben» ist ab Donnerstag in den deutschen Kinos zu sehen.