«Die Spur» – was das ZDF richtig (und falsch) macht

Mit der Doku-Reihe versucht das ZDF, investigative Tiefenrecherche in den späten Abend zu bringen – mal mit beachtlichen Quoten, mal mit ernüchternden Ergebnissen. Welche Themen zünden, zeigt eine genaue Analyse.

Seit Frühjahr 2022 liefert das ZDF unter der Marke «Die Spur» regelmäßig Dokus, die gesellschaftliche Missstände, Machtstrukturen und verborgene Mechanismen offenlegen. Das Format hat sich zu einer festen Marke im investigativen Spätabend des Senders entwickelt. Doch die Analyse der Quoten zeigt: Nicht jedes Thema trifft den Nerv des Publikums. Zwischen herausragenden Erfolgen und deutlich schwächeren Ausgaben liegen oft Welten – inhaltlich wie in der Reichweite.

Schon die erste Runde im Frühjahr 2022 verdeutlichte die Gratwanderung zwischen Aufklärung und Unterhaltung. Besonders stark startete die Folge „Das System Tönnies“: Mit gut 2,1 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern und einem Marktanteil von über 10 Prozent lag sie klar über Senderschnitt. Das Thema Fleischindustrie, Arbeitsbedingungen und Machtstrukturen in deutschen Großkonzernen erwies sich als ideale Mischung aus damals gesellschaftlicher Relevanz, Skandalpotenzial und emotionaler Nähe. Das Publikum liebt die Doku, wenn sie klare Täter, greifbare Verantwortliche und persönliche Schicksale zeigt – klassische ZDF-Kost mit investigativem Anspruch.

Schon eine Woche später folgte jedoch ein Rückschlag: „Xavier Naidoo“ erreichte nur rund 1,8 Millionen Zuschauer. Obwohl der Musiker zu diesem Zeitpunkt bereits durch seine Verschwörungstheorien polarisiert hatte, blieb die Resonanz verhalten. Themen wie Popkultur, Ideologie oder Medienkritik erzielen offenbar im ZDF-Spätabend nicht die Zugkraft wie Wirtschaftskriminalität oder Skandale aus der realen Arbeitswelt. Das zeigt sich auch in späteren Ausgaben über Influencer, politische Bewegungen oder die Gaming-Szene – stets solide, aber selten über 1,5 Millionen Zuschauer.

Ein wiederkehrendes Muster: Je konkreter und greifbarer das Thema, desto stärker die Quote. Gesellschaftliche Problemfelder mit persönlicher Betroffenheit – etwa Pflege, Wohnen oder Konsum – funktionieren am besten. Abstraktere Themen, die mehr Reflexion als Empörung bieten, fallen dagegen ab. Das gilt etwa für die Ausgaben über „Organisierte Prostitution in Deutschland“ oder über „Der Preis der Mode“, die beide zwar journalistisch stark, aber mit etwa 1,4 bis 1,6 Millionen Zuschauern deutlich unter den stärksten Folgen blieben. Das Interesse an moralisch aufgeladenen, aber wenig personalisierten Themen scheint im linearen Fernsehen begrenzt.

Politisch brisante Folgen dagegen können regelrecht durch die Decke gehen. So erreichte die Ausgabe über „Russlands Netzwerk in Deutschland“ im Sommer 2023 über 2,5 Millionen Zuschauer und fast 14 Prozent Marktanteil – ein Spitzenwert für den späten Mittwochabend. Offenbar profitiert das Format, wenn es sich an die aktuelle Nachrichtenlage anlehnt. Gleiches galt für Dokus rund um Energiepolitik, Korruption und Lobbyismus. Die Zuschauer goutieren, wenn sie die journalistische Arbeit als unmittelbare Ergänzung zur Tagesaktualität empfinden.

Auffällig ist auch die hohe thematische Bandbreite, die dem Format sowohl Chancen als auch Risiken bietet. Von Wirtschaft über Politik bis hin zu Sport und Gesellschaft deckt «Die Spur» ein breites Spektrum ab. Doch nicht jedes Experiment geht auf. Die Ausgabe über Sport und Macht im Profi-Fußball etwa erreichte nur knapp 1,3 Millionen Zuschauer – trotz prominenter Namen und eines bekannten Umfelds. Offenbar konkurriert man hier stärker mit Reportageformaten von ARD, RTL oder Sky, die das Sportpublikum direkter ansprechen. Ähnliche Schwächen zeigen sich bei Lifestyle- oder Boulevardthemen, etwa bei Folgen über Doping im Freizeitbereich oder Fitness-Influencer. Das ZDF-Publikum erwartet offenbar Relevanz, keine Popkultur.

Eine gewisse Stabilität bringt jedoch die Kombination aus gesellschaftlicher Relevanz und klarer Fallstruktur. Ausgaben, die wie Krimis erzählt sind – etwa «Die Spur der Clans» oder «Die Spur der Schlepper» – erreichen meist zwischen 1,8 und 2,2 Millionen Zuschauer und sichern damit überdurchschnittliche Marktanteile. Die narrative Struktur, das Aufdecken einer Täterspur und die dramaturgische Zuspitzung scheinen das klassische TV-Publikum stärker zu binden als abstrakte Analysen. Auch der visuelle Stil – oft mit Kameraaufnahmen in verregneten Städten, Behördenfluren und Untergrundmilieus – spielt dabei eine wichtige Rolle. Er vermittelt Seriosität, aber auch Spannung.

ZDF-intern dürfte die Reihe als solides, verlässliches Format gelten, das zwar nicht regelmäßig Ausreißer nach oben liefert, aber ein konstant interessiertes Publikum anspricht. Im Schnitt erreicht «Die Spur» rund 1,7 Millionen Zuschauer und neun bis zehn Prozent Marktanteil, mit deutlicher Dominanz beim älteren Publikum. Bei den 14- bis 49-Jährigen pendeln die Marktanteile meist zwischen vier und sieben Prozent, was angesichts der späten Sendezeit (oft nach 22.30 Uhr) respektabel ist. Besonders gut laufen die Folgen, wenn sie am Vorabend oder nach starken Formaten wie «heute-journal» oder «Markus Lanz» platziert sind – dann profitiert die Doku von hohen Restreichweiten.

Auffällig ist der Rückgang, sobald das ZDF weniger zugkräftige Themen oder experimentellere Erzählformen wagt. Episoden über „Künstliche Intelligenz“, „Onlinebetrug“ oder „Bürokratieversagen“ erzielten in den letzten Monaten kaum mehr als 1,2 Millionen Zuschauer – trotz relevanter Themen. Der Grund liegt möglicherweise in der fehlenden Emotionalisierung: Wenn keine erkennbaren Protagonisten oder Schicksale vorkommen, bleibt der Distanzfaktor hoch. Das lineare ZDF-Publikum scheint nach Nähe zu verlangen, nach Geschichten, nicht nach reiner Information.

Interessant ist zudem die Auswertung über Zeiträume hinweg: 2022 lag der Sendungsschnitt noch bei knapp 2 Millionen Zuschauern, 2023 fiel er auf etwa 1,8 Millionen, und 2024 sank der Durchschnitt erstmals unter 1,6 Millionen. Erst im Herbst 2025 konnte die Reihe mit Folgen über Skandale in der Pflege, Steuerbetrug und rechtsextreme Netzwerke in Behörden wieder zulegen. Das zeigt, dass das Format auf Aktualität angewiesen ist. Wenn ein Thema gesellschaftlich brennt, findet «Die Spur» ihr Publikum – wenn nicht, bleibt sie austauschbar.

Dabei darf man die digitale Komponente nicht unterschätzen. Viele Folgen erzielen in der ZDFmediathek und auf YouTube nochmals Hunderttausende Abrufe. Das Publikum der 20- bis 40-Jährigen scheint sich zunehmend von der linearen Ausstrahlung zu lösen, konsumiert aber gezielt einzelne Themen online. Besonders die Folgen über Menschenhandel, Missstände in der Fleischindustrie oder russische Einflussnetze zählen dort zu den Klickstärksten. Das Format funktioniert also auch als On-Demand-Investigativserie.

Inhaltlich bleibt «Die Spur» eine der wichtigsten Säulen des investigativen ZDF-Journalismus. Sie schafft es, komplexe Sachverhalte verständlich zu erzählen, ohne in Boulevard abzurutschen. Gleichwohl zeigt die Quotenanalyse, dass nicht jedes Thema massentauglich ist. Das Publikum reagiert auf Emotionalität, moralische Klarheit und Aktualitätsbezug – weniger auf technische oder theoretische Ansätze.
07.11.2025 12:22 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/165906