Eine junge Polizistin gerät zwischen die Fronten: In Anlehnung an den Mord an Michèle Kiesewetter zeigt Das Erste einen durchaus eingehenden Dramafilm.
Stab
Darsteller: Magdalena Laubisch, Max von der Groeben, Thorsten Merten, Sina Genschel, Nils Strunk, Aaron Hilmer
Musik: Dürbeck & Dohmen
Kamera: Clemens Baumeister
Drehbuch: Rolf Basedow und Nicole Armbruster
Regie: Dustin LooseEs ist ein heikles Terrain, das der Polizei-Thriller «Die Nichte des Polizisten» betritt – und zwar nicht nur, weil er sich inhaltlich an einem der schmerzhaftesten Kapitel jüngerer deutscher Polizeigeschichte orientiert. Der Film, der sich lose am Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn orientiert, wagt den Blick in ein Milieu, das sich selbst selten so schonungslos auf der Leinwand gespiegelt sieht. Regisseur Dustin Loose und das erfahrene Drehbuchtrio Rolf Basedow, Nicole Armbruster und Gabriela Sperl unternehmen den Versuch, nicht nur einen spannenden Thriller, sondern auch eine gesellschaftspolitische Diagnose zu liefern: Wie steht es um eine Institution, die für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stehen soll – und doch immer wieder durch rechte Netzwerke und Kameradschaften in die Schlagzeilen gerät?
Im Zentrum steht die junge Polizistin Rebecca Henselmann (Magdalena Laubisch), ehrgeizig, engagiert, voller Idealismus. Sie gehört zu einer Generation von Polizeianwärterinnen und -anwärtern, die ihre Loyalität gegenüber dem Staat noch beweisen müssen – und dabei allzu leicht in ein System geraten, das Härte und Kadavergehorsam oft höher bewertet als moralische Integrität. Ihr Kollege Christoph Laurin (Max von der Groeben) verkörpert den Typus des ambitionierten, aber innerlich zerrissenen Teamspielers; beide geraten in den Sog eines Apparats, der von Leistungsdruck, Misstrauen und autoritärer Männlichkeit geprägt ist.
Was Loose und seinen Drehbuchautoren hier gelingt, ist das sensible Ausloten einer institutionellen Grauzone. Die Bedrohung kommt nicht allein von außen – durch Drogenhändler, Waffenschieber, organisierte Kriminelle –, sondern von innen: durch jene, die den demokratischen Auftrag der Polizei unterwandern. Nils Strunk als Ausbilder Lars Menke verkörpert diesen Zwiespalt auf erschreckend plausible Weise.
Dabei ist «Die Nichte des Polizisten» kein agitatorischer Film, kein plakativer Abgesang auf die Polizei. Loose arbeitet mit Nuancen, mit Blicken und Schweigen, mit der nervösen Energie junger Menschen, die zwischen Pflichtgefühl und Zweifel taumeln. Clemens Baumeisters Kamera taucht tief in die kühlen, graublauen Räume des Ausbildungscamps und der Einsatzzentralen ein; die Farbdramaturgie spiegelt die zunehmende moralische Kälte wider. Die Musik von Dürbeck & Dohmen unterlegt das Geschehen mit einem zurückhaltenden, aber unheilvollen Puls, der das Unbehagen stetig verstärkt.
Magdalena Laubisch trägt den Film mit einer Mischung aus Entschlossenheit und Verletzlichkeit, die in manchen Momenten fast dokumentarisch wirkt. Ihre Rebecca ist keine Heldin im klassischen Sinne, sondern eine Suchende – zwischen Loyalität und Selbstachtung, zwischen dem Wunsch, „eine Gute“ zu sein, und der Erkenntnis, dass die Strukturen, denen sie dient, selbst Risse zeigen. Besonders stark sind jene Szenen, in denen sie begreift, dass der Kampf gegen das Böse nicht immer jenseits der Polizeimauern geführt wird, sondern in den Köpfen der Kollegen beginnt.

Kritisch anzumerken wäre, dass der Film – bei aller inszenatorischen Dichte – gelegentlich unter der Last seines Anspruchs ächzt. Die dramaturgische Spannung verliert sich bisweilen in der moralischen Argumentation, einige Nebenfiguren bleiben schemenhaft, fast emblematisch. Auch der Bezug zum realen Fall Kiesewetter bleibt eher atmosphärisch als konkret; der Film will keine Aufklärung liefern, sondern eine Mahnung formulieren. Das gelingt ihm – aber nicht immer subtil.
Und doch: Gerade in seiner Unbequemlichkeit entfaltet «Die Nichte des Polizisten» seine Stärke. Es ist ein Film, der nicht versöhnt, sondern beunruhigt, der die Zuschauer zwingt, das Verhältnis von Macht, Moral und Sicherheit neu zu denken.
Der Film «Die Nichte des Polizisten» wird am Mittwoch, den 8. Oktober um 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt.