Melika Foroutan und Edin Hasanovic wühlen sich im neuen Frankfurter «Tatort» durch alte Fälle: und erfinden dabei gleich den Sonntagabend im Ersten neu.
Stab
Darsteller: Melika Foroutan, Edin Hasanovic, Judith Engel, Gordana Boban, Mieke Schymura, Anna Drexler
Musik: Johannes Lehniger und Sebastian Damerius
Kamera: Yunus Roy Imer
Drehbuch: Senad Halilbasic, Stefan Schaller und Erol Yesilkaya
Regie: Stefan SchallerIn der langen Geschichte des «Tatorts» hat es immer wieder Episoden gegeben, die sich vom Krimialltag der Reihe abheben – durch ihre formale Strenge, ihre erzählerische Raffinesse oder durch eine Bildsprache, die über das Gewohnte hinausweist. Regisseur Stefan Schallers «Tatort – Dunkelheit» ist eine dieser Episoden, die sich einreiht in die Tradition der großen, erinnerungswürdigen Fälle. Mit einem dramaturgischen Gespür, das gleichermaßen auf Spannung wie auf atmosphärische Dichte setzt, gelingt es Schaller und seinen beiden Co-Autoren Senad Halilbasic und Erol Yesilkaya, einen Film zu schaffen, der weit mehr ist als ein weiterer Krimi im Sonntagabendprogramm, sondern ein Stück deutsche Gegenwartserzählung, das die Mechanismen von Erinnerung, Trauma und öffentlicher Wahrnehmung in den Mittelpunkt stellt.
Schon die Eröffnung deutet an, dass es hier weniger um den reinen Plot als um ein Gefühl geht: Mit einer Umzugskiste in den Händen steigt Hauptkommissar Hamza Kulina, gespielt von Edin Hasanovic, in den Keller des Polizeipräsidiums. Was wie eine schlichte Exposition beginnt, entpuppt sich rasch als Metapher für die Arbeit in der „Abteilung für Altfälle“ – ein Ort des Verborgenen, des Vergessenen, ein Raum, in dem das Verdrängte wieder ans Licht geholt wird. Die Begegnung mit Maryam Azadi (Melika Foroutan), die diese Abteilung leitet, verläuft zunächst spröde, beinahe distanziert. Doch schon in der knappen, aber präzisen Zeichnung dieser Figuren liegt eine große Stärke des Films: Er vertraut seinen Schauspielerinnen und Schauspielern, ohne sie mit klobigen Dialogen zu überfrachten.
Der Fall selbst beginnt harmlos, ja fast alltäglich: eine Wohnungsauflösung, ein unerwarteter Fund. Doch mit dem Auftauchen menschlicher Überreste entfaltet sich ein Sog, der Figuren wie Zuschauer gleichermaßen erfasst. Schaller inszeniert den folgenden Serienmörder-Plot nicht als sensationsheischende Effekthascherei, sondern als geduldige, geradezu archäologische Arbeit. Maryam und Hamza müssen tief in die Vergangenheit Frankfurts eintauchen, Kriminalakten durchforsten, sich durch Schichten von Schweigen und Verdrängung arbeiten. Dass ihnen dafür lediglich wenige Tage bleiben, verschärft den Druck und sorgt für eine bemerkenswerte innere Spannung, die in jeder Einstellung spürbar ist.
Besonders hervorzuheben ist die Bildgestaltung von Yunus Roy Imer. Seine Kamera meidet den Glanz moderner Polizeiserien und setzt stattdessen auf eine visuelle Sprache, die das Dunkle, das Unausgesprochene, das Brüchige betont. Gerade darin unterscheidet sich «Dunkelheit» von vielen anderen «Tatorten»: Die Stadt Frankfurt ist hier nicht nur Schauplatz, sondern ein eigener Akteur, voller Geschichten, die gehört werden wollen.
Dass der Film zugleich nie seine Figuren aus dem Blick verliert, ist auch das Verdienst der beiden Hauptdarsteller. Melika Foroutan gibt ihrer Maryam Azadi eine stoische, fast melancholische Würde, die sich nur selten in Offenheit verwandelt – und gerade deshalb so berührt. Hasanovic hingegen, der den jungen, noch etwas suchenden Kulina spielt, bringt eine energiegeladene Gegenbewegung ein. Das Aufeinandertreffen dieser beiden Temperamente erzeugt Funken, ohne je ins Klischee des Buddy-Krimis zu verfallen. Vielmehr entsteht eine fragile Arbeitsbeziehung, die im Verlauf der Ermittlungen Tiefe und Glaubwürdigkeit gewinnt.

Am Ende steht nicht nur die Aufklärung eines Verbrechens. Am Ende geht es um die Kraft des Erinnerns – und um die Notwendigkeit, sich den dunklen Kapiteln der Vergangenheit zu stellen, selbst wenn sie schmerzhaft sind. «Tatort – Dunkelheit» gelingt damit etwas Seltenes: ein Krimi, der zugleich packend erzählt und tiefgründig reflektiert, der sein Publikum fordert, ohne es zu überfordern.
Es ist diese Balance zwischen Spannung und Ernsthaftigkeit, zwischen Unterhaltungswert und gesellschaftlicher Relevanz, die den Film auszeichnet. Man möchte fast sagen: Wenn der «Tatort» eine Zukunft hat, dann liegt sie in solchen Episoden. In ihrer filmischen Konsequenz, ihrer erzählerischen Vielschichtigkeit und ihrem Mut, die Finsternis nicht zu scheuen, zeigt sich, dass das Genre noch immer zu Überraschungen fähig ist.
Der Film «Tatort – Dunkelheit» wird am Sonntag, den 5. Oktober um 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt.