Axel Brüggemann ‚Putin hat Kultur immer als Waffe verstanden‘

In «Klang der Macht» zeigt Musikjournalist, wie Wladimir Putin seit seinen Dresdner Jahren Kultur für politische Zwecke instrumentalisiert – von der Freiheitsoper 1989 bis zu heutigen Netzwerken aus Musikern, Managern und Festivals. Im Interview erklärt er, warum gerade die Kunst ein ideales Feld für Putins Machtpolitik ist.

Herr Brüggemann, wie sind Sie persönlich an das Projekt «Klang der Macht» herangegangen – was hat Sie an der Verbindung von Musik, Politik und Machtstrukturen am meisten gereizt?
Musik – und Kultur generell – werden als treibende Kraft der Geschichte oft unterschätzt. Dabei sind sie eine wichtige, emotionale Grundlage der Politik: im Positiven wie im Negativen. Unser Podcast beginnt 1989, in der Zeit des Mauerfalls in Dresden. Die Regisseurin Christine Mielitz hat damals ein Gefängnis auf die Bühne gestellt, das wie der DDR-Grenzzaun aussah, der Stacheldraht beugte sich ins Publikum. Ein Symbol, das alle verstanden haben: ‚Ihr seid eingesperrt!‘. Und obwohl die Oper in die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR eingebunden war, spielte sie in Wahrheit den Soundtrack des Mauerfalls. Kultur kann aber auch die entgegengesetzte Rolle spielen, etwa, wenn sie von Diktaturen als Propagandawerkzeug genutzt wird. Beide Aspekte kommen in unserem Podcast vor.

In der ersten Folge verknüpfen Sie die Freiheitsoper Fidelio von 1989 mit Putins Ordensverleihung 2009 in der Semperoper. Wie haben Sie diese dramaturgische Klammer gefunden?
Putin erlebte den Mauerfall 1989 als KGB-Offizier in Dresden. Für ihn war das der Anfang vom Ende der Sowjetunion, eine traumatische Erfahrung. Heute als Präsident versucht er offensichtlich, möglichst viel von dem, was die Sowjetunion damals war, wiederherzustellen. Die Semperoper spielte bei all dem durchaus eine Rolle. So war es ausgerechnet dieses Haus, an dem Putin 20 Jahre nach dem Mauerfall geehrt wurde – ohne, dass seine KGB-Rolle zur Zeit des Mauerfalls thematisiert wurde. Und noch etwas passierte 2009: Putin lernte den Opernball-Organisator Hans-Joachim Frey kennen und auf der Bühne spielte sein Freund, der Cellist Sergej Roldugin – beide sind bis heute Schlüsselfiguren in Putins Kulturpolitik. Es lag also auf der Hand, die Semperoper, in der 1989 Fidelio gegeben wurde und in der Putin 2009 geehrt wurde, in den Mittelpunkt zu stellen.

Sie sprechen mit Zeitzeugen wie Christine Mielitz oder Wolfgang Berghofer. Gab es ein Interview, das Sie besonders bewegt oder überrascht hat?
Ich fand es spannend, dass die ehemaligen ‚Feinde‘ – auf der einen Seite Bürgermeister Berghofer, auf der anderen der Protest-Anführer Kaplan Frank Richter – heute einen ziemlich ähnlichen Blick auf die BRD haben. Ganz anders als Hans Modrow, der uns eines seiner letzten Interviews gab, bevor er starb und immer noch begeistert von Putin war. Ich fand auch die Erzählungen der Regisseurin Christine Mielitz spannend, die von einer Art ‚künstlerischer Naivität‘ berichtete, mit der sie damals ihre mutige Inszenierung stemmte. Und besonders aufschlussreich waren unsere Recherchen im Stasi-Unterlagen-Archiv, in dem wir einen vollkommen neuen Blick auf die Bedeutung der Kultur für die DDR-Politik bekommen haben.

Inwiefern unterscheidet sich Ihre journalistische Arbeit in diesem Podcast von Ihrer klassischen Musikberichterstattung?
Anders als im Sport, wo investigative Kollegen Dopingvorwürfen oder dubiosen Finanzgeschäften nachgehen, gibt es in der Kultur so gut wie keinen investigativen Journalismus. In der Kultur scheint alles immer dem Hehren und Guten zu folgen und Journalismus beschränkt sich oft auf Kritik: Wie hat der Sopran gesungen? Wie der Pianist gespielt? Umso wichtiger ist es, ausgerechnet in der Kultur investigativ zu werden. Denn solange es keinen Investigativ-Journalismus in der Kultur gibt, bleibt sie ein El Dorado für schmutzige Geschäfte und hemmungslose Propaganda.

«Klang der Macht» beleuchtet Putins Netzwerke über Kulturmanager, Musiker und Festivals. Wie schwer war es, diese Strukturen zu recherchieren und zu verifizieren?
Gemeinsam mit meiner Kollegin Jeanny Wasielewski habe ich intensiv recherchiert, wir haben viele Dokumente eingesehen, mit vielen Menschen gesprochen – und daraus hat sich Stück für Stück ein Bild ergeben. Ein spannender, neuer Blick auf die Zeit des Mauerfalls, aber auch ein Blick hinter die Kulissen der russischen Kulturpropaganda. Unsere Recherchen wurden zwischenzeitlich durch die Großoffensive Russlands auf die Ukraine erschwert, denn plötzlich hatte niemand mehr Interesse, über die Kultur-Kooperationen etwa von Nord Stream 2 zu sprechen. Gleichzeitig hat das Team von Alexander Nawalny aber auch großartige investigative Arbeit in Sachen Kultur betriebenen, indem es die Geldflüsse und die Putin-Nähe von Dirigent Valery Gergiev aufgedeckt hat. Das waren Recherchen, die auch uns sehr geholfen haben.

Eine zentrale Figur ist der Cellist Sergej Roldugin, Putins enger Vertrauter. Welche Rolle spielt er in diesem Kultur- und Machtgeflecht?
Roldugin – das haben wir im Zuge unserer Recherche herausgefunden – war nicht nur ein Jugendfreund Putins, sondern auch Taufpate von Putins Tochter. Seine erste Frau spielte später eine gewichtige Rolle in der Schweizer Kulturlandschaft, und Roldugin selbst flog dann in den Panama-Papieren auf, weil er in verschiedenen Firmen (oft unter dem Deckmantel der Musikschule in St. Petersburg) Milliarden versteckte. Seine eigene Konzertreihe, die ihm Hans-Joachim Frey später als Intendant am Brucknerhaus in Linz gab, wurde trotz aller Vorwürfe sogar vom österreichischen Kanzleramt unterstützt. Noch heute ist Roldugin ein wesentlicher Strippenzieher in der Kulturpolitik Putins.

Der Podcast schlägt einen Bogen von der DDR-Geschichte bis zu aktuellen geopolitischen Konflikten. Wie haben Sie es geschafft, diese zeitlichen Ebenen miteinander zu verweben, ohne die Hörer zu verlieren?
Wir haben versucht, möglichst viele Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen, um die einzelnen Ebenen auch durch ihre unterschiedlichen Erzählungen zu trennen. Außerdem haben wir für beide Ebenen unterschiedliche Musik komponieren lassen, um die Welten auch akustisch zu trennen. Erst wenn man 1989 und 2009 in den Dialog miteinander bringt, lässt sich die Bedeutung der russischen Kulturpropaganda viel besser verstehen.

Die Recherchen führen bis zu den Panama Papers. Welche Bedeutung hatten die Gespräche mit Investigativ-Journalisten wie Frederik Obermaier für Ihr Verständnis des Themas?
Frederik Obermaier erzählt uns im Podcast, wie erstaunt er war, welch Bedeutung die Kultur für das Geld in Panama gespielt hat. Für mich war es spannend zu hören, wie er uns erklärt, dass Kultur oft übersehen würde, eben, weil es kaum investigativen Kulturjournalismus gäbe und Kultur für viele Medienmenschen erst einmal das Gesicht der Unschuld trägt. Genau diese Fehleinschätzung aber war es, welche die Kultur für Roldugin zu einer so sicheren Fassade für seine dreckigen Geschäfte hat werden lassen.

Podcasts leben auch von der Atmosphäre und vom Erzählen. Wie haben Sie und Ihre Kollegin Jeanny Wasielewski die Balance zwischen Information, Erzählung und Dramaturgie gefunden?
Tatsächlich beschreiben wir zum großen Teil unsere Recherche und nehmen die Hörerinnen und Hörer mit, wenn wir versuchen, unsere Thesen zu beweisen, offene Fragen zu beantworten, fehlende Bausteine zu suchen oder dabei, die von uns gesponnenen Fäden wieder aufgeben müssen. Ein großes Vorbild dafür war der US-Podcast «Wind of Change». Der Podcast ist vielleicht auch ein Beispiel für die aufwändige Arbeit von Journalisten, für umfangreiche Recherche und am Ende vielleicht auch ein historischer Krimi, der bis in unsere Gegenwart spielt.

Wenn die Hörer alle sechs Folgen gehört haben: Welche Fragen oder Diskussionen wünschen Sie sich, dass sie danach weiterführen?
Ich hoffe, dass der Podcast uns die Naivität nimmt und wir erkennen, dass gerade die Kultur alles andere als unschuldig ist. Dass wir zweimal hinschauen und hinhören sollten – gerade, wenn die Kunst versucht, uns zu überwältigen! Ich würde mir sehr wünschen, dass wir in einer neuen Debatte die Bedeutung der Kunst und der Kultur für die Machtspiele in unserer Welt beleuchten.

Danke für Ihre Zeit!

«Klang der Macht» ist auf allen Plattformen erhältlich.
07.10.2025 11:19 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/165054