‚Zu absurd für die Leinwand?‘ – Igor Plischke über den echten Filmdiebstahl

Mit der Doku «Der talentierte Mr. F. – Die Jagd auf einen Filmdieb» erzählt Igor Plischke die wahre Geschichte eines gestohlenen Animationsfilms – irgendwo zwischen True Crime, Kulturjournalismus und Hochstapler-Drama. Im Interview spricht er über investigatives Arbeiten, absurde Momente am Set und die Frage, warum Kreative für ihre Arbeit einstehen müssen.

Herr Plischke, der Fall rund um den gestohlenen Animationsfilm «Butty» klingt fast zu absurd, um wahr zu sein. Was hat Sie überzeugt, daraus eine Dokumentation zu machen?
Als ich von diesem Fall hörte, war ich sofort gefesselt. Die Figur des Hochstaplers hat mich schon immer fasziniert. «Der talentierte Mr. Ripley» ist meine absolute Lieblingsfigur, und die Vorstellung, einen echten Betrüger im echten Leben zu treffen, zu stellen und vielleicht sogar zu entlarven, hat mich sehr gereizt. Die Chance, diesem Menschen über die Schulter zu blicken, während er noch nicht wusste, dass wir die Wahrheit über ihn kannten, war einfach zu verlockend. Ihn bei seinem Spiel, seiner Taktik und seinen Schachzügen zu beobachten. Natürlich war ich mir der großen Verantwortung bewusst, dass das Schicksal dieses Menschen auch ein Stück weit in unseren Händen lag. Deshalb wollte ich maximal respektvoll vorgehen. Irgendwie hatte ich sogar das Gefühl, dass wir uns in unseren Bestrebungen ähnlich waren: Er wollte den Film stehlen und davon profitieren, während wir ihn uns zurückholen wollten. Gleichzeitig war ich sofort von dem investigativen Charakter angezogen, der notwendig war, um sich Samuel zu nähern. Julius und Moritz dabei zu begleiten, wie sie sich auf die Suche nach dem Dieb ihres Films begeben, schien mir das perfekte Abenteuer zu sein, das ich mir nicht entgehen lassen wollte. Natürlich war mir auch klar, dass sich eine solche Gelegenheit nicht zweimal bietet.

Die Doku verbindet Kulturgeschichte mit True-Crime-Elementen. Wie haben Sie diesen besonderen Genre-Mix inszenatorisch umgesetzt?
Das Schöne daran war, dass wir lediglich unseren Protagonisten folgen mussten, um die Geschichte zu erzählen. Alles ereignete sich in Echtzeit, was den besonderen Reiz dieses Falls ausmachte. Er wies alle diese Zutaten bereits aus. Unsere Aufgabe war es, alles einzufangen. Um Samuel zu verstehen und schließlich zu treffen, mussten wir recherchieren. Die Absurdität ergab sich aus den vielen Dingen, die er tat, sowie dem Selbstbewusstsein, das er bei seinem Schwindel an den Tag legte. Um sicherzugehen, dass er sich mit uns trifft, gingen wir undercover und konnten so seine Lügen aufdecken. Die Geschichte schrieb sich praktisch von selbst. Es machte riesigen Spaß, dabei zu sein.

Julius und Moritz begeben s ich auf eine sehr persönliche, fast detektivische Reise. Wie haben Sie es geschafft, ihre Emotionen – Wut, Verzweiflung, Hoffnung – filmisch einzufangen?
Wir haben uns bereits lange vor dem Dreh getroffen und ausgetauscht. Das war mir besonders wichtig, denn nur, wenn wir ein Team werden, können wir diese Geschichte mit der gebührenden Ernsthaftigkeit, aber gleichzeitig auch mit Authentizität erzählen. Nur wenn ich wüsste, wie die Jungs „ticken”, könnte ich sie auch so einfangen. Bei den Gesprächen war uns sehr schnell klar, dass wir eine gemeinsame Vision für diesen Film haben. Und es ist ein großes Glück, dass Julius und Moritz so offen ihre Emotionen zeigen und uns mit der Kamera so nah an sich rangelassen haben.

Ein Teil der Geschichte spielt in den USA, wo der vermeintliche Filmdieb bereits als „neuer Walt Disney“ gefeiert wurde. Wie herausfordernd war es, dort zu drehen und Zugang zu dieser Szene zu bekommen?
Der Drehablauf war in den USA nicht wesentlich herausfordernder als in Deutschland. Die meisten von uns waren bereits zuvor in den USA und hatten daher einen eher natürlichen Übergang dorthin. Da unsere Protagonisten dieselben blieben, änderte sich nicht viel. Natürlich war unklar, ob und wie wir Samuel treffen würden und dabei hat uns Ian W. Ross, unser Strohmann und Helfer vor Ort sehr geholfen. Als Producer aus New York kennt er die Szene wie seine Hosentasche.

In Ihrer Doku taucht auch ein „Strohmann“ auf, der den Verdächtigen zunächst unter Vorwand kontaktiert. Wie schwierig war es, solche investigativen Momente mit der Kamera zu begleiten, ohne die Authentizität zu verlieren?
Bei diesen Drehs waren wir natürlich besonders aufgeregt. Es war sehr wichtig, dass Samuel nichts merkte, denn mit einem falschen Wort oder Schritt hätten wir alles gefährden können. Es war definitiv nervenaufreibend. Meiner Meinung nach ergibt sich die Authentizität aus genau dieser Absurdität.

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf digitalen Ideenklau und Urheberrechtsverletzungen. Welche Botschaft möchten Sie damit vor allem jungen Kreativen mitgeben?
Eine so richtig klare Botschaft zu formulieren, ist schwer. Ebenso wichtig ist es, keine Täter-/Opfer-Umkehr zu betreiben. Nicht die Kreativen hätten etwas anders machen sollen, sondern der Dieb ist hier der Täter. Mir war es wichtig, klarzumachen, dass man für die eigene Arbeit einstehen und kämpfen muss, wenn sich jemand diese so dreist aneignet. Aber natürlich wollten wir auch ein Stück weit dafür sensibilisieren und aufzeigen, wie schnell so etwas passieren kann.

Welche Reaktionen haben Sie während der Dreharbeiten erlebt – etwa von Festivalmachern, Jurys oder Menschen aus der US -Filmszene, die plötzlich mit einem mutmaßlichen Plagiator konfrontiert wurden?
Die Reaktionen waren eigentlich immer sehr ähnlich. Sobald man die Geschichte erzählte, konnten es die meisten zuerst gar nicht glauben. Alle waren sehr erstaunt und geschockt, was den Fall betrifft. So etwas – in seiner Klarheit, Offenheit und Dreistigkeit – geschieht nicht häufig. Ein ganzer Film wurde heruntergeladen und mit ausgetauschtem Titel und Abspann veröffentlicht. Unser Anwalt meinte, er hätte so etwas noch nie erlebt. Diese Besonderheit war es, die die Leute nicht mehr losließ und ihre Augen zum Leuchten brachte.

Die Doku erzählt auch etwas über Selbstvermarktung in der heutigen Medienwelt. Glauben Sie, dass das Streben nach Aufmerksamkeit manchmal wichtiger geworden ist als die eigentliche kreative Leistung?
Kreative Leistung ist keine eng oder klar definierte Sache. Selbstvermarktung und das Streben nach Aufmerksamkeit können ebenso kreative Ansätze sein, die begeistern. Schon immer gab es Musen, Selbstdarsteller und Menschen, die durch ihre Persönlichkeit eine gewisse Anziehungskraft entfalteten. Der Unterschied ist nur, dass man es heute über Social Media leichter dokumentieren kann. Kreativität liegt also nicht immer nur in der Leistung selbst, sondern wird auch von denjenigen definiert, die sie als Kreation wahrnehmen. Ich bin offen für alle Formen kreativer Leistung.

Neben der True-Crime-Spannung ist «Der talentierte Mr. F.» auch eine Kultur-Doku. Wie haben Sie die Balance zwischen investigativer Recherche und kulturjournalistischem Anspruch gefunden?
Die Geschichte selbst ist in der Kultur-/ Filmszene passiert und ich kenne keinen vergleichbaren Fall in diesem Ausmaß. Diesem dann mit investigativem True Crime- Spirit nachzugehen, erzeugt automatisch die nötige Spannung. Und schließlich: Beim Diebstahl eines Kurzfilms eignet man sich die Arbeit anderer an und gibt damit gewissermaßen vor, jemand anderes zu sein. Das ist neben einer kriminellen Handlung auch eine spielerische, selbstinszenatorische und somit eine performative Handlung. Die Verbindung von Kultur-Doku und True-Crime-Spannung ergibt sich somit aus der Tat selbst, sodass wir diese beiden Aspekte nur noch einfangen mussten.

Wenn Sie zurückblicken: Gab es für Sie während des Projekts einen Moment, in dem Sie selbst überrascht oder emotional besonders berührt waren? Und würden Sie sagen, dieser Stoff hätte auch das Potenzial für eine längere Serie?
Auf die erste Frage würde ich definitiv sagen, dass mich Samuels Offenheit am Ende des Films sehr beeindruckt hat. Hier schloss sich für mich der Kreis, was meine Begeisterung für den talentierten Mr. Ripley angeht. In Samuels Tränen erkannte ich, dass wir alle etwas opfern müssen, wenn wir nach Großem streben. Vor allem, wenn wir es besonders schnell erreichen wollen. In Samuels Fall waren diese Träume riesig und weil er nicht bereit war, die nötige Arbeit zu investieren, war sein Opfer ebenso entsprechend gewaltig. Mit seinem Unterfangen, sich einen Namen zu machen, hat er diesen beschmutzt. Das hatte schon etwas Ironisches. Ikarus lässt grüßen. Sowohl der Fall als auch unsere Doku haben definitiv Potenzial für mehr. Die Reise der Jungs und ihre Suche nach dem Filmdieb würden einen tollen Spielfilm abgeben.

«Der talentierte Mr. F. – Die Jagd auf einen Filmdieb» ist seit 27. September in der ARD Mediathek.
29.09.2025 12:21 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/165005