Henny Reents: ‚Kate Linville ist keine Superheldin‘

In «Einsame Nacht», dem neuen Charlotte-Link-Zweiteiler in der ARD, schlüpft Reents erneut in die Rolle der Ermittlerin Kate Linville. Die Figur ist verletzlich, empathisch und voller Widersprüche – und gerade deshalb für die Schauspielerin so reizvoll.

Frau Reents, Sie verkörpern erneut Detective Kate Linville. Was macht diese Figur für Sie so besonders, dass Sie sie immer wieder gerne spielen?
Die Ambivalenz der Figur ist das, was mich am meisten an ihr reizt. Kate Linville ist eine Ermittlerin, die so gar nicht dem klassischen Krimi-Klischee entspricht. Sie ist verletzlich, emphatisch, melancholisch und voller Unsicherheiten und genau das macht sie nahbar. Sie ist keine Superheldin, sondern eine Frau, die viel trägt, jedoch nicht in Selbstmitleid badet, immer wieder aufsteht und ihrer inneren Stimme und ihrer Mission folgt. Diese Mischung aus Zartheit und Entschlossenheit, aus Einsamkeit und unerschütterlichem Pflichtbewusstsein macht die Figur für mich so einzigartig und berührend.

«Einsame Nacht» basiert auf einem Charlotte-Link-Bestseller. Wie sehr orientieren Sie sich als Schauspielerin an der literarischen Vorlage – und wo schaffen Sie bewusst eigenen Raum für Ihre Interpretation?
Ich lese den Roman Monate vor den Dreharbeiten, um ein Gefühl für die Geschichte und die Figur zu bekommen – aber nicht zu nah dran zu bleiben, damit sich die Informationen nicht vermischen. Mir geht es vor allem darum, die Essenz von Kate Linville herauszufiltern: ihre Eigenschaften, ihre Zerrissenheit, ihre Verletzlichkeit. Am Ende orientiere ich mich natürlich am Drehbuch, aber diese Grundsubstanz der Figur und ihrer Konflikte trage ich in die Rolle hinein. So bleibt sie ihrer literarischen Vorlage treu und bekommt gleichzeitig Raum für meine eigene Interpretation.

Die Geschichte verknüpft einen grausamen Cold Case mit einer aktuellen Mordserie. Wie haben Sie sich auf diese psychologisch anspruchsvolle Doppelspur vorbereitet?
Für mich bedeutet die Vorbereitung auf eine so komplexe Geschichte vor allem, sehr genau zu verstehen und hinzuspüren: Was macht dieser Cold Case mit Kate, wie sehr belasten sie die Bilder und Erinnerungen, und wie schafft sie es gleichzeitig, in der aktuellen Mordserie klar zu funktionieren? Ich versuche, mich in diese psychologische Doppelbelastung hineinzuversetzen und sie spürbar zu machen – die innere Zerrissenheit ebenso wie die enorme Disziplin, die sie aufbringen muss. Das ist herausfordernd, aber genau darin liegt für mich der Reiz dieser Rolle.

Ihre Figur ist in diesem Zweiteiler neuen Herausforderungen ausgesetzt – etwa der Zusammenarbeit mit einer neuen Chefin, gespielt von Helene Grass. Wie haben Sie das Zusammenspiel erlebt?
Es ist immer spannend, wenn eine neue Figur und damit auch eine neue Energie ins Spiel kommt. Mit Helene Grass als neuer Chefin entsteht sofort eine besondere Dynamik – zwei Frauen, die sehr unterschiedlich sind, aber beide Haltung zeigen. Für mich war es faszinierend zu sehen, wie Helene ihre eigene Energie und Kraft in die Figur bringt. Daraus entwickelt sich eine Verbindung, die von gegenseitigem Respekt geprägt ist und die Geschichte noch einmal auf eine neue Ebene hebt.

Der Dreh fand an Originalschauplätzen an Englands Nordseeküste statt. Wie sehr prägen diese atmosphärischen Orte Ihr Spiel und den gesamten Look des Films?
Die Außenaufnahmen an Englands Nordseeküste fanden tatsächlich erst nach den eigentlichen Dreharbeiten statt, in einem sehr kleinen Team. Wir selbst haben in der Hebst bis Vorweihnachtszeit in der Umgebung von Leeds gedreht.

Die Schauplätze prägen das Spiel enorm. Diese Landschaft hat etwas Geheimnisvolles, Düsteres, manchmal auch Melancholisches – und das spiegelt die innere Zerrissenheit der Figuren wider. Man spürt förmlich, wie sehr die Natur Teil der Geschichte ist. Das macht etwas mit einem, es beeinflusst die Stimmung am Set und gibt der ganzen Erzählung eine besondere Tiefe und Schönheit.

Charlotte-Links Stoffe zeichnen sich durch psychologischen Tiefgang und düstere Spannung aus. Was hat Sie an dieser speziellen Geschichte am meisten fasziniert?
An dieser Geschichte hat mich besonders berührt, wie Charlotte Link Mobbing, Ausgrenzung und Einsamkeit thematisiert – Themen, die in unserer Gesellschaft leider allgegenwärtig sind. Es wird deutlich, wie Opfer manchmal selbst zu Tätern werden, und dass Hass und Ausgrenzung niemals eine Lösung sein können. Gleichzeitig erinnert die Geschichte daran, dass wir Menschen Nähe und Austausch brauchen, dass wir soziale Wesen sind. Genau diese emotionale Tiefe und gesellschaftliche Relevanz haben mich an der Geschichte fasziniert.

Neben Ihnen ist ein starkes Ensemble dabei, u. a. Lucas Gregorowicz, Milena Tscharntke und Helene Grass. Welche Zusammenarbeit ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Die Zusammenarbeit mit Lukas Gregorowics hat mir wieder sehr viel Freude gemacht – wir drehen jetzt schon zum dritten Mal zusammen, und es ist immer etwas Besonderes, wenn er dabei ist. Mir ist außerdem aufgefallen, wie das gesamte Ensemble mit so viel Energie und Herzblut bei der Sache war – das bereichert die Reihe ungemein. Besonders beeindruckt hat mich meine junge Kollegin Lara Feith: Sie ist unglaublich menschlich, talentiert und spielt mit großem Feingefühl. Es war eine große Freude, mit allen zusammenzuarbeiten und ich hoffe sehr, dass sich die Gelegenheit ergibt, viele von Ihnen wiederzusehen und erneut gemeinsam zu arbeiten.

Ihre Figur Kate Linville muss in diesem Fall nicht nur ermitteln, sondern auch viel aushalten – emotional wie physisch. Gab es Szenen, die Sie persönlich besonders herausgefordert haben?
Dank der erneuten Zusammenarbeit mit Jörg Lühdorff, mit dem ich schon den Film ‚Verunsichert‘ drehen durfte, und Philipp Timme an der Kamera gab es ein sehr konzentriertes, warmes und vertrautes Umfeld, das es mir leicht gemacht hat, mich emotional zu öffnen. Physisch war das Finale im Wald besonders herausfordernd: Ich hatte noch eine Knieverletzung, die zum Glück inzwischen wieder gut verheilt ist, und musste nachts durchs hektisch auf der Flucht im Wald durch das Unterholz rennen, mich immer wieder fallen und habe dabei wirklich wenig gesehen. Die Verletzung immer wieder auszublenden, so zu tun, als hätte ich alles voll im Griff, das war physisch anstrengend, hat aber auch gleichzeitig die Intensität der Szene verstärkt. Ich neige manchmal dazu, einfach durchziehen, auch wenn es meinem Körper nicht immer guttut – da habe ich inzwischen gelernt, ein bisschen besser auf ihn zu hören.

Mit «Einsame Nacht» geht die Reihe um Kate Linville in die nächste Runde. Was glauben Sie: Warum übt gerade diese Mischung aus Krimi, Psychogramm und englischem Setting eine solche Faszination auf das Publikum aus?
Ich glaube, die Faszination liegt in der Mischung aus Spannung und Menschlichkeit. Die Krimi Handlung fesselt, aber die Figuren sind so vielschichtig, verletzlich und authentisch, dass man sich auf emotionaler Ebene verbunden fühlt. Dazu kommt das englische Setting – die Landschaften, das Wetter, diese besondere Atmosphäre – das verstärkt das Gefühl von Geheimnisvollem und Düsterem und zieht das Publikum noch tiefer in die Geschichte hinein.

Zum Schluss: Wenn Sie privat in Ihrer Freizeit zu einem Krimi greifen – eher Roman, Serie oder Film? Und was reizt Sie dabei besonders?
Ich liebe Bücher, ich liebe es zu lesen, aber ich schau mir auch sehr Filme an. Es kommt darauf an, wie viel Zeit ich gerade habe. Ehrlich gesagt ist es schon eine ganze Weile her, dass ich in meiner Freizeit zu einem Krimi gegriffen habe. Beruflich bin ich so viel in dieser Welt unterwegs, dass ich privat eher das Gegenteil suche: Leichtigkeit, Komödie, Beziehungsgeschichten – und ich halte immer Ausschau nach interessanten Frauenrollen, die mich inspirieren.

Danke für das Gespräch!

«Einsame Nacht» ist seit 30. September in der ARD Mediathek zu sehen. Das Erste strahlt am 2. und 3. Oktober den Zweiteiler aus.
30.09.2025 12:29 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/164913