Petra Ivanov & André Küttel: ‚Geräte, die Leben retten, können auch zur Gefahr werden‘
Mit «Kammerflimmern» liefern Petra Ivanov und André Küttel den zehnten Zürich-«Tatort». Im Zentrum steht ein Hackerangriff auf implantierte Defibrillatoren – ein Szenario, das erschreckend realistisch wirkt. Im Interview sprechen die Drehbuchautoren über ihre Recherchen, die Balance zwischen Thriller und gesellschaftlichem Warnsignal und warum Vertrauen in Technik immer auch ein Risiko bleibt.
Frau Ivanov, Herr Küttel, wie kam Ihnen die Idee, digitale Medizintechnologie und Cyberkriminalität in einem «Tatort» miteinander zu verbinden?
Petra Ivanov: Mich interessiert schon lange, wie stark unser Leben von Technik durchdrungen ist und wie verletzlich wir dadurch werden. In der Medizin zeigt sich das besonders deutlich. Geräte, die Leben retten sollen, können im Extremfall auch zur Gefahr werden. Der Gedanke, dass digitale Systeme in einem so sensiblen Bereich manipulierbar sind, hat sofort meine Fantasie angeregt.
André Küttel: Das Thema kam von Petra und auch ich spürte sofort das filmische Potenzial: Ein ruhiges Herbstwochenende, plötzlich fallen Leute um und es beginnt ein Rennen gegen die Zeit.
Implantierte Defibrillatoren, die durch Hacker manipuliert werden – das klingt wie Science-Fiction, ist aber technisch denkbar. Wie intensiv haben Sie mit Experten aus Medizin und IT-Sicherheit für das Drehbuch recherchiert?
Petra Ivanov: Ich habe mit Fachpersonen aus den Bereichen Kardiologie, IT-Forensik und Technik gesprochen. Dabei wurde mir klar, dass diese Szenarien keineswegs reine Fiktion sind, sondern durchaus möglich wären. Natürlich mussten wir im Drehbuch manche Details vereinfachen, aber die Grundlage ist real.
André Küttel: Petra ist sehr gründlich im Recherchieren. Da bewundere ich sie sehr. Es kam auch viel Material zusammen. Die Herausforderung danach war, zu entscheiden, welche Informationen Platz haben im Film. Zu viele Details können den Plot bremsen.
In Ihrem Drehbuch sterben Menschen durch eine Lücke in einem medizinischen System. Worum ging es Ihnen dabei stärker: um den Nervenkitzel oder um ein gesellschaftliches Warnsignal?
André Küttel: Mir persönlich geht es beim Drehbuchschreiben immer zuerst um Dramaturgie, Figuren und Momentum. Falls aber eine Botschaft drin verpackt werden kann, umso besser. Das Thema für diesen Tatort war sicher ideal dafür.
Petra Ivanov: Für mich gehört beides zusammen. Ein «Tatort» soll spannend sein, aber er darf auch Fragen aufwerfen. Ich muss allerdings präzisieren, dass Menschen nicht durch eine Lücke im medizinischen System sterben, sondern weil jemand in einer Firma, die implantierbare Defibrillatoren programmiert, die Software manipuliert. Mir ging es darum zu zeigen, wie fatal es sein kann, wenn wirtschaftliche Interessen oder kriminelle Energie über Sicherheitsstandards gestellt werden und zugleich einen Thriller zu erzählen, der unter die Haut geht.
Gerade bei medizinischen Themen ist Realismus entscheidend. Gab es Momente, in denen Sie sich bewusst für künstlerische Freiheit entschieden haben, um die Geschichte spannender zu machen?
Petra Ivanov und André Küttel: Ja, natürlich. Ein Hackerangriff verläuft in der Realität oft unspektakulär, manchmal dauert er Wochen oder Monate. Für einen Krimi braucht es dagegen Zuspitzungen und klare Wendepunkte. Wir haben die Vorgänge dramaturgisch verdichtet, ohne das Grundthema zu verfälschen.
«Kammerflimmern» ist bereits der zehnte Zürich-«Tatort». Wie wichtig war es Ihnen, die beiden Kommissarinnen Grandjean und Ott auch in einem sehr persönlichen Konflikt – etwa mit Tessas Mutter – zu zeigen?
André Küttel: Ein so technischer Stoff wie Kammerflimmern braucht unbedingt auch persönliche Storylines. Ansonsten bleibt die Geschichte zu abstrakt und zu diffus in der Bedrohung.
Parallel zum Cyberangriff erzählen Sie auch von Machtkämpfen im Unternehmen Lauber Cardio und einer ehrgeizigen Journalistin. Wie schwer war es, diese verschiedenen Ebenen von Wirtschaft, Medien und Privatem miteinander zu verweben?
Petra Ivanov und André Küttel: Das war eine Herausforderung, aber auch reizvoll. Wir wollten zeigen, dass Kriminalität selten isoliert stattfindet, sondern oft ein Geflecht aus Interessen, Macht und persönlichen Motiven ist. Diese Ebenen spiegeln einander und verstärken die Spannung.
Hackerangriffe und Erpressungen sind ein hochaktuelles Thema. Haben Sie bei Ihrer Arbeit Parallelen zu realen Fällen entdeckt?
Petra Ivanov und André Küttel: Ja, leider. Wir haben uns bewusst an reale Entwicklungen angelehnt, ohne einen konkreten Fall nachzuerzählen.
Ihre Figuren müssen unter hohem Zeitdruck Entscheidungen treffen, während Leben auf dem Spiel stehen. Wie haben Sie diesen dramaturgischen Wettlauf gegen die Zeit gestaltet?
André Küttel: Die Geschichte mit einer „ticking bomb“ zu erzählen, lag bei so einem Stoff auf der Hand. Im Laufe der Entwicklung haben wir den Zeitdruck sogar erhöht. Die Story war ursprünglich auf zwei Tage angelegt. Jetzt spielt sich alles innerhalb von 21 Stunden ab.
Der «Tatort» greift immer wieder brisante gesellschaftliche Fragen auf. Welche Diskussion wünschen Sie sich nach der Ausstrahlung von «Kammerflimmern» beim Publikum?
Petra Ivanov: Ich wünsche mir, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer über Vertrauen nachdenken. In Technologie, in die Gesundheitsversorgung, aber auch in Institutionen. Und dass sie vielleicht ein wenig kritischer fragen, wie sicher die Systeme sind, von denen unser Leben abhängt. Wichtig finde ich aber auch die Überlegung: Wie viel Sicherheit wollen wir eigentlich? Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Technische Geräte können nie völlig risikofrei sein, trotzdem sind sie wichtig und retten Leben. Entscheidend ist, dass wir informierte Entscheidungen treffen, statt blind der Technik zu vertrauen oder sie pauschal abzulehnen.
André Küttel: Da kann ich Petra nur beipflichten. Anfügen möchte ich vielleicht noch, dass im digitalen Bereich ganz allgemein zu viele Dinge zu stark in privater Hand liegen. Auch das muss diskutiert werden. Es geht um Konsumentenschutz, Transparenz und Marktmacht. In der EU geschieht da schon einiges. In der Schweiz überlässt man für meinen Geschmack die digitale Welt ganz allgemein noch zu oft dem privaten Sektor.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Wenn Sie selbst so ein medizinisches Implantat tragen würden – würden Sie der Technologie nach diesem Drehbuch noch vertrauen?
Petra Ivanov: Ich würde wahrscheinlich ein mulmiges Gefühl haben. Aber am Ende würde ich trotzdem darauf vertrauen, weil der Nutzen überwiegt – sofern ich ein solches Implantat auch wirklich brauche. Gleichzeitig würde ich hoffen, dass die Verantwortlichen die Risiken ernst nehmen und in die Sicherheit investieren.
André Küttel: Da geht es mir ähnlich. Sollte ich eines Tages so ein Gerät brauchen, bin ich sicher froh, dass die Technologie existiert.
Vielen Dank für Ihre Zeit!
Das Erste zeigt den «Tatort» mit dem Titel „Kammerflimmern“ am Sonntag, den 28. September, um 20.15 Uhr.