Daniel Christensen: ‚Die Rolle hat immer recht‘

Mit «Bis auf die Knochen» feiert «Ein Krimi aus Passau» ein besonderes Jubiläum – und Daniel Christensen sorgt dabei für Gänsehaut. Der Schauspieler, vielen bekannt als Flötzinger aus den Eberhofer-Krimis, spielt diesmal den Serienkiller Berti Ottensamer. Im Interview spricht Christensen über die psychologische Vorbereitung, die Zusammenarbeit mit Regisseur Jan Fehse und warum er nach dem Dreh eine gründliche „Reinigung“ brauchte.

Herr Christensen, viele Zuschauer kennen Sie bisher aus der Eberhofer-Krimi-Reihe als Ignaz Flötzinger. Nun verkörpern Sie in «Ein Krimi aus Passau» mit Berti Ottensamer eine deutlich düstere Figur. Wie war es für Sie, in diese völlig andere Rolle einzutauchen?
Viele TV-Zuschauer kennen mich in Hauptrollen vor allem auch als Kommissar Carlos Esteves aus der ARD-Reihe «Lost in Fuseta» und viele jüngere Zuseher aus der Amazon-Serie «Der Beischläfer». Es ist für mich ein großer Reiz in verschiedenen Genres die unterschiedlichsten Menschen zu verkörpern. Eine „dunkele" Figur vorzubereiten unterscheidet sich nicht von einer „hellen“. Als Schauspieler darf man nie über die Rolle urteilen oder sie sogar verurteilen. Egal was sie tut, der Figur muss ich immer recht geben. Auch wenn dieser Mensch bestialisch mordet. Die Rolle hat immer recht. Punkt. Sonst ist es nicht glaubwürdig.

Serienkiller im Film lieben Trophäen – Berti verarbeitet Körperteile seiner Opfer in Trachtenschmuck. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie dieses Detail im Drehbuch gelesen haben?
Ich stelle mir nur die Frage, was er davon hat. Was gibt es ihm? Für Berti sind die Trophäen ein Schritt hin zur Selbstermächtigung und ein Weg raus aus der Ohnmacht. Für eine Weile vergönnt ihm das innere Ruhe und Frieden. Trophäen zu sammeln, ist also aus seiner Perspektive durchaus folgerichtig.

Wie bereitet man sich als Schauspieler darauf vor, einen so verstörenden Charakter zu spielen, ohne dass er ins Klischeehafte abrutscht?
Ich habe zum Beispiel mit einem Psychologen und einem psychiatrischen Gutachten gearbeitet. Das Wichtigste ist, zu verstehen, warum die Figur so handelt wie sie es tut. Eigentlich sucht Berti so wie jeder Mensch einfach nur nach Liebe. Aufgrund seiner verstörenden Kindheitsgeschichte ist es ihm nicht gelungen, andere Wege zu erlernen, mit Frustration umzugehen. Es ist für die Gesellschaft immer einfach zu sagen, dieser Mensch ist ein Monster, aber in seiner Welt sind die Handlungen einfach nur folgerichtig und schlüssig.

In der Vorbereitung war eine Übung sehr spannend. Der Psychologe hat mich als „Berti“ im fiktiven Gefängnis interviewt und nach seiner Kindheit und seinen Taten befragt. Ich habe mich in die Rolle begeben und aus der Figur geantwortet. Das ging sicher 2 bis 3 Stunden. Es war erstaunlich, was aus Berti da alles heraus kam. Ich habe viel über ihn erfahren.

Ihre Figur wirkt nach außen wie ein traditionsbewusster Werkstattbesitzer – und entpuppt sich als grausamer Täter. Was hat Sie an dieser Doppelbödigkeit besonders gereizt?
Ich habe keine Doppelbödigkeit darin gesehen. Mörder sind einfach ganz normale Menschen — nach außen. Wie oft hört man, "Der? Der war doch so ein netter, ruhiger Nachbar!“ Es geht um das Innenleben eines solchen Menschen und um die Fähigkeit als Schauspieler nicht das leiseste Urteil über diesen Zustand zu fällen. Das ist interessant.

In einer Szene wird Berti enttarnt, als ihm sein „Charivari“ entrissen wird. Wie war es, diese Schlüsselmomente am Set zu drehen, in denen Fassade und Wahrheit aufeinanderprallen?
Berti ist in diesem Moment mit seiner Hilflosigkeit, seiner Ohnmacht konfrontiert. In diesen Situationen reagiert er wie ein neunjähriges Kind. Emotional hat er sich seit dieser Zeit nicht weiterentwickelt. Ihm wird das Charivari seines Vaters gestohlen und er erstarrt. Die Folgen allerdings werden verheerend sein.

Mia Bader verschwindet spurlos, nachdem sie das Beweisstück entdeckt hat. Wie haben Sie die Szenen mit Nadja Sabersky erlebt – und welche Dynamik entstand zwischen Ihren Figuren?

Mai passt nicht in sein Schema. Sie ist also im Grunde keine Beute im weitesten Sinne. Er will sie nicht töten. In weiterer Folge sehnt er sich sogar im Gegenteil nach ihrer Liebe. Nicht im erotischen aber im mütterlichen Sinne. Mia spürt das und versucht es zu nutzen, um frei zu kommen. Mein Schauspiel-Coach aus Los Angeles sagt immer: „Daniel, every scene is a love scene“. Das ist hier sehr klar. Ich habe in den Szenen mit Nadja versucht, dies herauszuarbeiten — Bertis Kampf um Liebe.

Viele Zuschauer werden Sie mit dem humorvollen Flötzinger aus Niederkaltenkirchen verbinden. Haben Sie bewusst nach einer Rolle gesucht, die dieses Bild einmal komplett auf den Kopf stellt?
In Bayern und Österreich verbinden mich die Leute in der Tendenz viel mit dieser Figur. Aber wer mich kennt, weiß, wie unterschiedlich die Rollen sind, die ich verkörpere. Es gibt von Haus aus eine sehr große Spannweite in meinem Portfolio.

In einem Krimi-Universum wie diesem: Ist es als Schauspieler eher eine Last oder ein Reiz, der „Bösewicht“ zu sein, von dem die Spannung maßgeblich abhängt?
Der Film wird in sehr vielen Phasen aus der Sicht meiner Figur erzählt. Das ist eigentlich das entscheidende. Figuren zu spielen aus deren Sicht die Handlung passiert. Weil damit kannst Du viel lenken und hast Platz die Rolle weiter zur Entfaltung zu bringen.

Regisseur Jan Fehse inszeniert den Film mit vielen Rückblenden und atmosphärischen Bildern. Wie hat er Sie bei der Entwicklung dieser extremen Figur unterstützt?
Ich liebe Jan Fehse. Ein ruhiger, sehr genauer Regisseur. Es war eine Wonne mit ihm zu arbeiten. Das, was er sehen will, ist notwendig auf dem Millimeter Papier zu spielen. Wir waren uns vom ersten Telefonat einig, wie wir die Figur betrachten und angehen wollen. Es war eher ein kleiner Kampf mit den Autoren. Denn Jan wollte die Rolle bewusst fast 20 Jahre jünger anlegen als im Skript. Ich musste die Rolle physisch und psychisch anpassen. Das ist bei den Autoren zunächst nicht auf Gegenliebe gestoßen. Aber wir haben einen Weg in unserer Kommunikation gefunden um es dann für alle gut zu lösen.

Wenn Sie zurückschauen: Was bleibt für Sie persönlich aus der Arbeit an dieser Rolle – eher die Faszination an der Figur oder die Erleichterung, Berti nach dem Dreh wieder ablegen zu können?
Zahnreinigung, Maniküre, Barbier, neuer Haarschnitt und Haarfarbe. Das hab ich mir als erstes gegönnt nach Drehschluss. Ich habe Berti in der Monatelangen Vorbereitung und den acht Wochen Dreh lieb gewonnen und ihn und sein Handeln in mir verteidigt, aber es war verdammt gut, ihn loszulassen und mich von ihm für immer zu verabschieden.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

Die Folge „Bis auf die Knochen“ von «Ein Krimi aus Passau» is am Donnerstag, den 25. September 2025, im Ersten zu sehen. Der Spielfilm ist seit 8. September in der ARD Mediathek.
23.09.2025 12:43 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/164737