Lou Strenger: ‚Eine Hauptfigur, um die es im Grunde nicht wirklich geht‘
In der neuen ARD-Serie «David und Goliath» spielt Strenger die Psychotherapeutin Dina Schwarz, die für über 4.000 Klinikmitarbeitende zuständig ist. Im Interview spricht sie über die Widersprüche ihrer Figur, den Drahtseilakt zwischen Präsenz und Geheimnis – und warum die Serie nicht nur ein Klinikdrama, sondern auch ein politisches Statement ist.
Frau Strenger, Sie verkörpern Dina Schwarz – eine Psychotherapeutin, die plötzlich für die psychosoziale Betreuung von über 4.000 Klinikmitarbeitenden zuständig ist. Was hat Sie an dieser Figur sofort gereizt?
Die Widersprüchlichkeit, die sich durch fast alle Bereiche dieser Figur durchzieht. Dina Schwarz führt den Zuschauer in fast jedem Bild der Filme durch diesen Kosmos und trotzdem erfährt man von ihr selbst kaum etwas. Eine Figur die unglaublich präsent ist, aber kaum über oder von sich spricht. Einiges wird angedeutet, vieles bleibt offen. Eine Hauptfigur, um die es im Grunde nicht wirklich geht. Dieses Feld fein zu zeichnen, ohne den Fokus zu sehr darauf zu lenken oder blass zu bleiben, war ein Drahtseilakt. Nach den zwei Monaten hatte ich ein Gefühl für sie, verstehen tu ich sie aber an vielen Punkten nicht unbedingt. Ihr diesen Raum und ein Geheimnis zu lassen, ohne sie bis in die letzte Ecke zu psychologisieren war für mich eine Herausforderung.
Zwischen Casting-Entscheidung und Drehbeginn hatten Sie nur wenige Wochen Vorbereitungszeit. Wie haben Sie sich in dieser kurzen Zeit Dina genähert?
Wie jemand der sich verknallt hat. Mit größter Neugier, maximalem Interesse, jede Brotkrume dankend annehmen und einfach jeden freien Moment mit ihr verbringen.
Erster Gedanke am Morgen, letzter am Abend und alle zwischendrin.
Dina ist neugierig, will alles über andere wissen, bleibt selbst aber lieber im Hintergrund. Welche Ambivalenz dieser Figur hat Sie am meisten fasziniert?
Beim Lesen hatte ich das Gefühl, die ist eine die am Liebsten alles allein machen möchte und so ganz dringend eigentlich jemand bräuchte, der auf sie aufpasst.
Ist, dass noch selbstaufopferndes Verantwortungsbewusstsein oder schon egoistisches Kompensationsverhalten um von sich abzulenken?
Toll ist, dass Maike Rasch, die Autorin mit der Figur Kiki in ihrer undiplomatischen Ehrlichkeit ihr einen gnadenlosen Spiegel vorsetzt.
Ihre Figur ist Psychotherapeutin, gleichzeitig aber selbst voller innerer Widersprüche. Wie sind Sie damit umgegangen, dass Dina anderen helfen soll, obwohl sie selbst Hilfe brauchen könnte?
Die Frage, ob wir Menschen wirklich hilfreich für andere sein können, wenn wir selbst eigentlich Hilfe benötigen, ist sicherlich eine nicht leicht zu beantwortende. Ich erinnere mich, dass ich in der Anfangszeit, in der ich zu praktizieren begonnen habe große innere Zweifel hatte. Ich hatte dieses Ideal im Kopf, alles für mich gelöst haben zu müssen um wirklich andere unterstützen zu können. Bis mir eine ältere Kollegin irgendwann sagte: “Du musst jeweils nur einen Schritt weiter sein, als der Patient.“
Das stimmt und trotzdem muss man den Faktor Zeit mitberechnen. Es ist klar, dass Dina auf lange Sicht crashen wird, wenn sie nicht anfängt, sich ihren eigenen Dämonen zu stellen. Auch ist sie vielleicht an der ein oder anderen Stelle zu unaufgeräumt um wirklich objektiv und damit professionell eine Situation einschätzen zu können. Je geklärter wir selbst sind, desto eher können wir unser Gegenüber wirklich sehen.
Sie haben eine eigene therapeutische Ausbildung absolviert. Wie sehr hat Ihnen dieses Wissen geholfen, um Dina glaubwürdig zu spielen – und wo haben Sie bewusst Abstand zwischen Rolle und Realität gehalten?
Mir war das Spannungsverhältnis, in dem man sich Therapeutin gegenüber seinen Patienten befindet bewusst. Wenn es im Prozess ans Eingemachte geht, wird man erstmal mit allen Abwehrmechanismen, Widerstände und Projektionen des Klienten konfrontiert. Das war extrem hilfreich für die Sitzungs-Szenen. Da Dina aber an ganz vielen Stellen doch recht unorthodoxe Methoden verwendet, war der Erfahrungsschatz dann doch letzten Endes begrenzt.
«David und Goliath» dreht den Medical-Blick um: Nicht die Patienten stehen im Mittelpunkt, sondern das Krankenhauspersonal. Wie wichtig finden Sie diesen Perspektivwechsel?
Janosch Chavez-Kreft hat immer von einer Anti-Medical Serie gesprochen. Da das Krankenhauspersonal ohnehin chronisch übersehen, ungehört und buchstäblich nur für Andere da ist, finde ich es nur konsequent diese Verhältnismäßigkeit umzudrehen.
Die Serie zeigt eindringlich, wie überlastet Ärztinnen, Pfleger und Angestellte im Klinikbetrieb sind. Hatten Sie den Eindruck, dass die Dreharbeiten auch ein politisches Statement gesetzt haben?
Kann Kunst überhaupt unpolitisch sein oder schwingt nicht bei allem was wir künstlerisch raussenden eine Botschaft mit, die so oder so politisch aufgefasst werden kann?
In erster Linie haben wir einen Film für die Menschen gemacht, die Teil dieses Systems sind. Glücklicherweise gerät dieses Thema durch die Darstellung wie in „Heldin“ oder der Serie „Krank“ mehr und mehr ins öffentliche Bewusstsein. «David und Goliath» wagt das Experiment zu schauen, was passieren würde, wenn man an diesen Gegebenheiten anfängt zu rütteln. Auf ganz menschlicher und auch struktureller Ebene.
Wir erzählen einen fiktiven Mikrokosmos und hoffen natürlich, dass er den realen Makrokosmos verändern kann. Das sind vielleicht große Ziele, aber ich glaube stark daran, dass die medialen Narrative unsere Perspektive maßgeblich formen. Und durch eine so nahbare, unaufgeregte Weise wie es in unseren Filmen geschieht, ist die Schwelle in die Köpfe und Herzen der Menschen vielleicht nicht ganz so groß. Und im besten Falle fühlt sich auch die Politik eingeladen.
Dina wirkt nach außen wie ein Stehaufmännchen, verbirgt aber eine eigene Dunkelheit. Welche Herausforderung war es für Sie, diese verschiedenen Schichten in einer Figur sichtbar zu machen?
Es gibt kaum Szenen und Situationen, in denen wir Dina privat erleben oder wirklich dramaturgisch etwas Einschneidendes passiert. Ihre Figur erzählt sich über zahlreiche Dialoge mit anderen, und sie selbst ist meist nicht Gegenstand dieser Unterhaltung. Ich konnte ihr also lediglich kleine Färbungen mitgeben, in der Art wie sie vielleicht unterschiedlich mit den jeweiligen anderen Figuren spricht und handelt. Kurze Momente vor Überblendung in eine andere Szene, die etwas preisgeben oder aufmachen könnten. Was ich spannend fand, dass Dina das Augenglas ist, durch die wir die Geschichte erleben und durch die Art wie sie schaut und wohin, natürlich selbst in den Fokus gerät. Ich hab mal gelesen “Du erfährst mehr über einen Menschen anhand der Fragen, die er stellt, anstatt über seine Antworten.“ Das ist definitiv Dina.
Viele Szenen entstanden im laufenden Klinikbetrieb. Wie war es für Sie, in dieser realen Umgebung zu drehen – hat das die Authentizität Ihrer Darstellung beeinflusst?
Wir haben in einem stillgelegten Teil des Krankenhauses gedreht und haben nur ausgewählt Berührungspunkte mit dem Personal dort gehabt. Trotzdem war die Verantwortung der Geschichte und den Figuren gegenüber allgegenwärtig. Beim Händewaschen auf der Toilette neben einer realen Pflegekraft zu stehen, die gerade einen kurzen Moment durchatmet bevor es wieder weiter um buchstäblich Leben und Tod geht, da fragt man sich nicht mehr warum man diesen Film dreht und ob die Fördergelder nicht sinnvoller ausgegeben werden könnten. Geh zurück ans Set und spiel dir die Seele aus dem Leib, das ist gerade dein Beitrag. Ich hab mich irgendwann im laufe der Dreharbeiten erwischt, wie ich eine Ärztin zur Sprechstunde einladen wollte, weil die so fertig aussah. Das war kurz skurril, weil ich so merkte wie die Grenzen verschwammen.
Wenn Sie auf die Themen der Serie schauen – Überlastung, Bürokratie, Solidarität: Was würden Sie sich wünschen, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer nach «David und Goliath» mit nach Hause nehmen?
Dass es keine Institution, keine Firma und kein Job der Welt wert ist, die eigene körperliche und mentale Gesundheit zu kompromittieren. Dass der Abbau von Scham über die eigene vermeintliche Schwäche immer nur im Dialog geschehen kann. In der Erkenntnis „Hey, meinem Gegenüber geht es ähnlich wie mir und ich bin damit nicht allein“. Und schaffe es vielleicht auch einfach nicht ohne Hilfe. Dieses mythische Bild von David und Goliath ist mit Kampf und Tod besetzt, aber lässt sich natürlich übertragen. Es braucht derweilen einen anderen, der die eigenen Widerstände und Hemmungen zu Fall bringt. Und manchmal bringt schon ein kleiner Stein viel ins Rollen.
Danke für Ihre Zeit!
«David und Goliath» ist am Mittwoch und Donnerstag im Ersten zu sehen. Der Zweiteiler ist seit 17. September in der ARD Mediathek.