Wer morgens oder nachts einen Blick in die Quoten-Tabellen wirft, erlebt manchmal Erstaunliches. Da erzielt ein Sender wie sixx um 4 Uhr früh plötzlich zweistellige Marktanteile, während er am Nachmittag kaum messbar ist.
Infobox: Was bedeutet ein Panel-Haushalt?
- In Deutschland misst die AGF Videoforschung die TV-Quoten über rund 5.400 Panel-Haushalte.
- Diese Haushalte repräsentieren mehr als 40 Millionen TV-Haushalte.
- Ein einzelner Panel-Haushalt steht damit im Schnitt für etwa 7.400 reale Haushalte – also rund 15.000 Zuschauer.
Die Einschaltquoten in Deutschland sind seit jeher das wichtigste Instrument, um über Erfolg und Misserfolg im linearen Fernsehen zu entscheiden. Doch ein genauer Blick auf die aktuellen Zahlen zeigt: Besonders im Tagesprogramm kleinerer Sender wie sixx, ProSieben Maxx, Nitro oder Sat.1 Gold geraten die Messungen zunehmend an ihre Grenzen. Immer häufiger tauchen Reichweiten auf, die bei nur wenigen Tausend Haushalten liegen – und damit kaum noch repräsentativ erscheinen.
Am Dienstagvormittag etwa kam sixx mit US-Serienklassikern wie «Grey’s Anatomy» oder «Gilmore Girls» auf Reichweiten von 20.000 bis 40.000 Zuschauern, teilweise sogar darunter. Das entspricht Hochrechnungen von unter einem Prozent Marktanteil. Auch bei NITRO, das tagsüber auf Serienwiederholungen wie «Matlock» oder «M.A.S.H.» setzt, schwanken die Werte extrem – mal werden knapp 100.000 Zuschauer erreicht, mal zeigen die Daten nicht einmal mehr eine nennenswerte Zuschauerschaft in der klassischen Zielgruppe. Selbst ProSieben Maxx, das mit Anime am Vorabend eigentlich ein klar definiertes Publikum hat, liegt in einzelnen Slots nur noch im Promille-Bereich.
Früher stabil, heute chaotisch
Das Verrückte: Vor 10 bis 15 Jahren war das noch anders. Kleine Sender wie VOX, Tele 5 oder eben sixx konnten im Tagesprogramm auf ein kleines, aber stabiles Stammpublikum zählen. Selbst Wiederholungen amerikanischer Serien erreichten damals konstant solide fünfstellige Zuschauerzahlen. Heute dagegen scheinen die Quoten von Stunde zu Stunde zu springen. Mal sind 0,1 Prozent Marktanteil messbar, mal 0,6 Prozent – ein Unterschied, der in absoluten Zahlen aber nur ein paar Tausend Zuschauer bedeutet.
Dass die Messung heute so ins Wanken gerät, liegt an den radikal veränderten Mediennutzungsgewohnheiten. Während früher das Wohnzimmer mit Fernseher Dreh- und Angelpunkt war, verbringen die Menschen heute Stunden auf ihrem Smartphone. TikTok, Instagram, YouTube, aber auch Streamingdienste wie Netflix oder Prime Video beanspruchen einen Großteil der täglichen Bildschirmzeit. Besonders die junge Zielgruppe zwischen 14 und 29 Jahren greift kaum noch zum klassischen TV-Programm, wenn sie unterhalten werden möchte. Damit verlieren kleine Sender nicht nur Zuschauer – auch die statistische Basis schrumpft.
Das Problem der Messung

Die AGF misst die Reichweiten anhand eines Panels von Haushalten. Doch je kleiner die Zuschauerzahl, desto anfälliger wird die Hochrechnung für Verzerrungen. Wenn bei einem Sender im Tagesprogramm faktisch nur wenige Tausend Menschen zuschauen, reicht es, dass ein Dutzend Panel-Haushalte umschaltet, um die Quote massiv in die Höhe oder Tiefe zu treiben. Genau das führt zu den kuriosen Schwankungen, die man inzwischen fast täglich in den Marktanteilen kleiner Sender beobachten kann.
Bei großen Formaten wie einem DFB-Pokalspiel im Ersten oder einer Primetime-Show auf RTL fallen diese Ungenauigkeiten nicht ins Gewicht. Millionen Zuschauer liefern eine solide Messbasis. Doch bei Sendern wie sixx oder NITRO, die nachmittags nur auf Reichweiten von 20.000 bis 50.000 kommen, sind Ausreißer fast schon vorprogrammiert. Im Grunde ist ein Großteil der Zahlen, die die AGF ihren Kunden verkauft, Zufall.
Folgen für die Sender
Für die Sender selbst ist das ein Dilemma. Einerseits wollen sie ihre Programme wirtschaftlich planen und Vermarktungspartnern gegenüber belastbare Daten liefern. Andererseits wissen auch die Verantwortlichen, dass ihre Quotenwerte im Tagesprogramm längst nicht mehr die Aussagekraft haben wie noch vor einigen Jahren. Die Konsequenz: Werbung wird eher auf die klaren Primetime-Leuchttürme fokussiert, während das Nachmittagsprogramm oft nur als Lückenfüller dient.
Ein Sender wie ProSieben Maxx punktet immerhin noch mit einem klaren Profil – etwa mit Anime-Serien wie «One Piece» oder Wrestling-Events am Abend. NITRO dagegen versucht mit alten Serien und Filmen, Nostalgiker anzusprechen. sixx setzt traditionell auf Lifestyle- und US-Serien, doch die Marke schwächelt sichtbar. Am Ende aber eint alle kleinen Sender dasselbe Problem: Ihr Publikum ist so fragmentiert, dass es kaum noch zuverlässig messbar ist.
Smartphone statt Wohnzimmer-TV

Die Ursache liegt nicht nur in der Statistik, sondern in der Lebensrealität der Zuschauer. Das klassische „Familienfernsehen“ am Nachmittag oder Vorabend ist weitgehend verschwunden. Jugendliche und junge Erwachsene verbringen täglich mehrere Stunden am Smartphone – scrollen durch TikTok, streamen Netflix-Serien oder zocken auf der Konsole. Für einen linearen Sender bleibt da wenig Platz. Früher war es selbstverständlich, dass man beim Nachhausekommen den Fernseher einschaltete und in die nächste «Gilmore Girls»-Wiederholung oder ein Nachmittagsmagazin zappte. Heute füllt das Handy diese Zeit. Das erklärt, warum Sender wie sixx oder NITRO in manchen Zeitschienen nur noch auf Reichweiten kommen, die eher an die Anfangstage des Privatfernsehens erinnern.
Fehlende Antworten der AGF
Hinzu kommt ein strukturelles Problem: Die AGF hat es in den vergangenen Jahren nicht geschafft, eine wirklich aussagekräftige Gesamtreichweite aufzubauen, die lineares Fernsehen, Streaming und Social Media zuverlässig zusammenführt. Vielleicht will man das auch gar nicht? Schließlich gehören die großen Fernsehsender selbst zu den Trägern der AGF. Würden die Messungen offenlegen, dass Millionen Menschen inzwischen mehr Zeit bei YouTube oder TikTok verbringen als bei RTL, Sat.1 oder ProSieben, würde das die Werbewirtschaft deutlich umdenken lassen. So bleibt die offizielle Reichweite fragmentiert – und das Fernsehen wirkt zumindest auf dem Papier relevanter, als es im Alltag vieler Menschen tatsächlich ist.
Fazit
Die Quoten im deutschen Fernsehen werden zunehmend zur Glückssache – zumindest für die kleinen Sender. Während große Events noch immer Millionen Zuschauer mobilisieren, wirken die Zahlen im Tagesprogramm von sixx, NITRO oder ProSieben Maxx wie ein Blick ins Zufallsprinzip. Das liegt weniger an schlechter Programmplanung, sondern vielmehr am fundamentalen Wandel der Mediennutzung. Solange die Menschen ihre Freizeit vor allem mit Smartphones und Streaming verbringen – und solange die AGF keine vollständigen Antworten auf diese Verschiebung liefert – wird das lineare Fernsehen im Tagesprogramm weiter an Stabilität verlieren.