Christian Baumeister: ‚Nur was wir lieben, werden wir auch schützen‘
Mit «Faszination Europa» hat Christian Baumeister die bisher größte Naturfilmproduktion seines Lebens realisiert. Im Interview spricht der Tierfilmer über gefährliche Begegnungen mit Orcas, nächtliche Drehs am Vulkankrater und die politische Botschaft seiner Serie.
Herr Baumeister, Sie haben über drei Jahre lang in ganz Europa gedreht. Welcher Drehort hat Sie am meisten überrascht?
Einer der spannendsten Drehorte war für mich die Schlangeninsel, ein winziges, unbewohntes Eiland im Prespasee in Nordmazedonien, bewohnt von mehr als 5000 Schlangen. So etwas kannte ich bislang nur aus den Tropen. Es war nicht nur landschaftlich einmalig schön, man konnte auch kaum einen Meter laufen ohne Schlangen zu begegenen. Meist waren es ungiftige Würfelnattern, doch auch hochgiftige Hornnattern hatten sich hie und da darunter gemischt. Vorsicht war also geboten.
Die Serie zeigt eine enorme Bandbreite – von Eisbären in der Arktis bis zu Füchsen in Großstädten. Wie gelingt es, diese Vielfalt filmisch zusammenzuführen?
Genau das war unser Ziel, wir wollten nicht nur die letzten unberührten Wildnisse unseres Kontinents dokumentieren, sondern auch Wildtiere in unserer unmittelbaren Nachbarschaft zeigen. Auch wenn die settings unterschiedlicher nicht hätten sein können, haben wir sie filmisch gleich behandelt: wir haben zunächst spannende Tiergeschichten gesucht, und diese schliesslich in hochästhetischen Bildern erzählt. Für die Tiere spielt es letztlich keine Rolle, ob sie sich in unberührter Natur oder unserer Kulturlandschaft bewegen, sie kennen ja meist von Geburt an nichts anderes.
In „Extreme Küsten“ sehen wir spektakuläre Aufnahmen von Orcas und Buckelwalen in Norwegens Fjorden. Welche technischen und logistischen Herausforderungen gab es dabei?
Bei den Dreharbeiten gab es einige Herausfordrungen. Die größten Heringsansammlungen in Nordnorwegen bilden sich im Herbst und Winter, und dauern bis zum Frühling an. Leider ist das im hohen Norden auch die dunkelste Jahreszeit, so dass das tägliche Zeitfenster mit genügend Licht zum Filmen sehr kurz war. Zudem geht es recht hektisch zu, wenn Orcas und Buckelwale gemeinsam jagen. Und durch die vielen Heringe ist auch die Sicht begrenzt. Einer unserer Kameraleute wurde beim Filmen von einem Buckelwal gerammt, und wäre beinahe versehentlich von ihm verschluckt worden. Letztlich war es lediglich Glück, dass alles so glimpflich abgelaufen ist.
Sie haben 1.000 Drehtage an 50 Drehorten absolviert. Gab es Momente, in denen Sie dachten: „Das schaffen wir nicht“?
Der Drehzeitraum für eine derart aufwendige Naturfilmserie war mit knapp zwei Jahren sehr kurz. Und gerade anfangs braucht man sehr viel Optimismus, um zu glauben, dass alles schon irgendwie klappen wird. Wenn Krieg ausbricht, Corona das Reisen erschwert oder auch einfach nur die Tiere - oft aufgrund des Klimawandels - nicht zur üblichen Zeit an den Drehorten eintreffen, wird es schwierig. Gott sei Dank hat unser Team nicht nur sehr viel Ausdauer bewiesen, sondern war auch jederzeit zu kurzfristigen Planänderungen bereit. So haben wir es letztlich geschafft, fast alle geplanten Szenen in den Kasten zu bekommen. Manchmal, zugegebenermassen, auch mit ein wenig Glück.
Viele Tierarten, wie der Wisent in Polens Urwäldern, waren einst fast verschwunden. Wie wichtig ist es Ihnen, mit der Serie auch Naturschutzthemen anzusprechen?
Bei den Filmen ging es uns in erster Linie darum die ZuschauerInnen emotional zu erreichen, sie zum Staunen zu bringen, über die unglaubliche Vielfalt und Schönheit unserer Natur. Auch als Gegentwurf zu den oft schlechten Nachrichten, die man in der Tagesschau sieht. in Europa leben die meisten Menschen in Städten, haben keine Verbindung mehr zur Natur. Deshalb sind Tierfilme gerade in der heutigen Zeit unglaublich wichtig. Denn nur was uns Menschen begeistert, was wir lieben werden wir auch schützen. Das ist wohl die wichtigste Naturschutzbotschaft der Serie.
Die Folge „Wildnis Stadt“ zeigt Tiere mitten in urbanen Zentren. War es schwieriger, in der Wildnis oder in einer Großstadt zu drehen?
Beides hat seine eigenen Herausforderungen. In der Wildnis geht es oft darum, unserere Hauptdarsteller überhaupt zu finden und sich ihnen unbemerkt anzunähern. Das gilt für Blauwale in den Weiten des Atlantiks, genauso wie für Eisbären auf Spitzbergen, und erst Recht für persische Leoparden, von denen es in ganz Europa weniger als 50 Exemplare gibt.
In der Stadt geht es mehr darum, die Tiere ins rechte Licht zurücken. Bei der Geschichte über die Mosquitos im Londoner U-Bahn-System – die ihr ganzes Leben unter Tage verbringen und gerade dabei sind, eine neue Art zu bilden – wurden die Aufnahmen vor Ort durch Studiosequenzen ergänzt. Erst so ließen sich die winzigen Tiere mit Makrolinsen formatfüllend ins Bild rücken und sogar Verhaltensweisen wie der Schlupf dokumentieren.
Die Serie wird von Benno Fürmann erzählt. Warum haben Sie ihn als Sprecher ausgewählt und wie war die Zusammenarbeit?
Benno Fürmann hat eine wunderbare Erzählstimme der man sehr gerne zuhört. Jede einzelne Textzeile interpretiert er dabei auf einzigartige Weise, so wird es nie langweilig und man hängt ihm unausweichlich an den Lippen. Zudem ist er ein großartiger Mensch, der die Natur liebt und sich immer wieder auch für den Naturschutz einsetzt. Dies war die gemeinsame Basis für unsere Zusammenarbeit.
Sie arbeiten seit vielen Jahren als Tierfilmer. Was macht Faszination Europa für Sie persönlich einzigartig im Vergleich zu anderen Projekten?
Es ist mit Abstand, das größte Projekt was ich je gemacht habe. Und die Bandbreite der erzählten Tiergeschichten ist riesig: von Schlangen die in Wasserfällen Fische jagen, bis zu Eisbären auf Rentierjagd, vom Massenschlupf winziger Eintagsfliegen, bis hin zum Kampf der Rothirsche in strömemdem Regen. Diese Vielfalt einzufangen, gelang nur dank eines hervorragenden Teams. Und es war schon beindruckend, was wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Ich war gleichzeitig kreativer Kopf des Ganzen, aber auch Motivator und Manager. Umso schöner ist es zu sehen, was am Ende dabei herausgekommen ist…
Welche Szene oder Begegnung hat Sie emotional am stärksten berührt?
Als wir auf Island einen Vulkanausbruch gefilmt haben, haben wir einige Nächte am Kraterrand verbracht, gewärmt von der Hitze des Vulkans. Und immer, wenn man aus dem Schlaf aufwachte, hatte man das Brodeln des Vulkans vor Augen. Ich habe mich gefühlt, als wäre ich bei der Geburt unseres Kontinents bzw. bei der Erdentstehung dabei. Das war sehr ergreifend. Und sicher, wenn auf einmal – nach wochenlangem Warten ein riesiger Blauwal aus den Weiten des Ozeans auftaucht, wird einem automatisch warm ums Herz. Die Natur ist voller Wunder, auch die Tierwelt unseres Kontinents.
Gerade Unterwasseraufnahmen – wie bei Quallen, Fischen oder Korallen – wirken extrem aufwendig. Wie haben Sie diese realisiert?
Das stimmt – insbesondere wenn Boote im Einsatz sind, zählen die Aufnahmen im Meer zu den teuersten Sequenzen beim Tierfilm. Unsere Taucher haben endlose Stunden unterwasser verbracht. Besonders schwierig waren die Unterwasseraufnahmen von Blauwalen. Diese reagieren nämlich sehr empfindlich auf Atemluft aus Tauchflaschen. Die Lösung: Free Diving. Mehr als 50 mal musste unser Kameramann ansetzen, um schließlich zwei brauchbare Bilder der Giganten zu machen. Die Aufnahmen in der Tiefsee, fast drei Kilometer tief, gelangen nur in Ko-operation mit einer erfahrenen U-boot-crew.
Haben Sie bei den Dreharbeiten etwas völlig Neues über Europas Tierwelt gelernt, das Sie vorher nicht wussten?
Ehrlich gesagt, war auch mir anfangs nicht klar, dass wir in Europa noch Leoparden haben. Auch andere Geschichten waren mir neu: In der Arktis jagen Eisbären, aufgrund des Klimawandels, immer öfter Rentiere. Ihre traditionelle Beute, Robben die sie an iher Atemlöchern auflauern, verschwinden zunehmend zusammen mit dem Meereis. Einige Szenen wurden von uns zum erstenmal überhaupt gefilmt, so etwa Fledermäuse die in einem alten Königspalast eine Bibliothek von Schadinsekten freihalten, oder Schlangen die sich springende Fische in Superzeitlupe aus einem Wasserfall schnappen.
Wenn Zuschauer nach der Serie nur eine Sache mitnehmen sollen – welche Botschaft wäre das?
Die Natur unseres Kontinents ist atemberaubend schön – wir müssen alles tun, um sie zu schützen. Und: Natur kennt keine Grenzen – auch dies könnte eine politische Botschaft sein, für ein Europa, das immer mehr zusammen wächst.
Vielen Dank für Ihre Zeit!
«Faszination Europa» startet am 8. September 2025 um 20.15 Uhr im Ersten. Die Sendung ist bereits seit 1. September 2025 in der ARD Mediathek abrufbar.