Franziska Wulf: 'Ani wird aufgebrochen – und findet wieder zu sich selbst'
Wulf spricht im Interview über ihre Rolle in «Per Anhalter zur Ostsee», die besondere Chemie mit ihrer jungen Co-Darstellerin, das seltene Geschenk generationenübergreifender Frauenfiguren – und warum ein Dreh im kalten Meer für sie zum persönlichen Sprung über den eigenen Schatten wurde.
Frau Wulf, Sie spielen in «Per Anhalter zur Ostsee» die geheimnisvolle Schauspielerin Ani. Was hat Sie an dieser Rolle besonders gereizt?
Gereizt hat mich vor allem die Figurenanlage: Ani als jemand, der ziemlich einsam und Ich-bezogen seine Reise antritt und im Lauf der Geschichte immer mehr in Verbindung kommt, zu sich und dementsprechend dann auch zu den Menschen, die sie begleiten. Also die Geschichte von jemandem, der sich selbst so ein bisschen abhanden gekommen ist und wieder zu sich findet. Ein schöner Bogen.
Ani wird plötzlich von einem Kind aufgesucht, das glaubt, sie sei ihre Mutter. Wie haben Sie sich dieser sensiblen Ausgangssituation angenähert?
Ich hab mir eigentlich nur klar gemacht, wo meine Figur zum Zeitpunkt der Szene in ihrer Entwicklung steht und mich mit Maïmouna in diese Szene fallen lassen. Zusammen haben wir diese Begegnung dann einfach erspielt. - Das, was spontan im Miteinander entsteht, ist meiner Erfahrung nach eh oft komplexer und schöner, als das, was ich mir im Voraus hätte überlegen können.
Die Figur Ani wirkt nach außen sehr souverän, trägt innerlich aber einiges mit sich herum. Wie haben Sie diese innere Zerrissenheit gespielt?
Nacheinander. Viel gibt der Text schon her, wenn er gut geschrieben ist- und das ist er hier. Dann erzählt sich etwas, das im Nachgang wie eins wirkt-also eine Figur mit Ambivalenzen, dadurch, dass wir als Zuschauer die Figur in der einen Szene so, in der nächsten dann so erleben. In der einen Situation souverän Autogramme verteilen- in der nächsten mit einem Weinkrampf auf dem Klo. Ich brauchte mich da eigentlich nur auf etwas einlassen, was das Drehbuch schon vorgezeichnet hatte.
Der Film erzählt auch von verpassten Chancen, Schuldgefühlen und Annäherung. Was hat Sie persönlich an der Geschichte berührt?
Ich glaube, der Aufbruch. Jede der drei Figuren bricht ja in etwas Neues auf. Vordergründig bricht Nele auf, um ihre Mutter zu suchen, Steffi, um Nele zu suchen und Ani wird aufgebrochen. Alle Figuren lassen dafür etwas Bekanntes, vermeintlich sicheres, los und zu, dass es sich verändern darf: Nele den Sehnsuchtsraum, zu dem Warten oft wird. Steffi, die lähmenden Schuldgefühle gegenüber ihrer Tochter und Ani ihre selbst gewählte und schützende Isolation. Alle drei gehen durch diesen Prozess, mit allem, was sich dazu gesellt, hindurch und ein Stück weiter der inneren Freiheit entgegen. Das ist ein Vorgang, der mich immer wieder berührt, wenn er stattfindet. Im Drehbuch wie im Leben.
Die Dynamik zwischen Ani und der kleinen Nele ist sehr besonders. Wie war die Zusammenarbeit mit Maïmouna Mbacké?
Mit Spielpartner*innen, wie Maïmouna, habe ich oft den meisten Spaß, weil wirklich etwas aus dem Moment miteinander entstehen kann. Dazu braucht es Mut, sich einzulassen auf die Spielsituation und nicht irgendwelchen Ideen davon, wie es zu sein hat, hinterher zu jagen. Und es braucht Durchlässigkeit und Offenheit. Und all das hat Maïmouna mitgebracht. Das war einfach schön.
«Per Anhalter zur Ostsee» erzählt von drei Generationen Frauen. Wie wichtig war es Ihnen, Teil dieser generationenübergreifenden Erzählung zu sein?
Das hat mich extrem gefreut. Solche Bücher, die generationsübergreifend von Frauen erzählen, sind immer noch und wieder selten. Vielleicht auch, weil wir als Gesellschaft Alter lieber ausblenden, es tendenziell defizitär denken, als es würdig zu erzählen. Und damit viel an Erfahrung und Geschichtenreichtum verschenken. Gerade bei Frauen.
Haben Sie sich für Ihre Rolle in irgendeiner Weise vorbereitet – etwa durch Gespräche, Recherchen oder persönliche Erfahrungen?
Ich hab es so gemacht, wie eigentlich immer. Also das Buch gelesen, gefiltert welches allgemeingültige Thema verhandelt wird- Liebe, Trauer, Schuld, Verlust usw.). Und mir eine Facette für meine Figur, die mich spielerisch interessiert und die möglichst weit weg ist von mir als Person. -um den Abstand zu mir privat zu schaffen, der mich dann ins Gestalten bringt- bei Ani war das, das Fünkchen Diva. Und der Rest entsteht dann im Spiel, ist das Quäntchen Überraschung, das den Beruf so schön macht.
Der Film spielt an vielen unterschiedlichen Orten – von Hamburg bis zur Ostsee. Was war für Sie der eindrücklichste Drehmoment?
Der im Meer. Was persönliche Gründe hat, die nicht verraten werden.
Ani ist Schauspielerin in einer Serie, wird plötzlich mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Gibt es Parallelen zwischen Ihrer Rolle und Ihrem echten Berufsleben?
Ani und ich sind gleich alt – was wir mit vielen meiner Kolleginnen teilen: ab diesem Alter kommen Frauen in den Drehbüchern viel weniger vor und fallen eher vom Markt. Das hat nichts damit zu tun, dass es per se nichts über Frauen in dieser Lebensspanne zu erzählen gibt, im Gegenteil. Ich denke, es hat zum einen damit zu tun, dass Frauenfiguren immer noch und wieder seltener als “Subjekt”, und stattdessen eher über ihre Funktion erzählt werden: die emotionale, erotische oder familiäre Stütze für den männlichen Helden. Wofür eher junge Frauen funktionalisiert werden. Was denke ich wiederum mit dem Male Gaze, aber auch mit unseren problematischen Altersstereotypen zusammenhängt. Nach denen werden Männer charismatisch, erfahren, Frauen verlieren an Attraktivität, damit Wert und Intelligenz.
Zum anderen dann, mit der ungleichen Verteilung Männerrollen, Frauenrollen im Allgemeinen. - Manchmal stelle ich mir testweise für alle Filme, die mir grad einfallen, die männlichen Rollen in weiblicher Besetzung vor und andersrum. «Star Wars», «Blade Runner» usw., um mich mit der Absurdität dahinter bei Laune zu halten. Auch deshalb ist dieses Drehbuch von Kati Liers eine so erfrischende und schöne Ausnahme für mich-die ich Ani auch wünschen würde.
Der Film handelt auch davon, über den eigenen Schatten zu springen. Gab es während des Drehs Momente, in denen Sie das selbst auch mussten?
Bei 18 Grad Wassertemperatur in die Ostsee zu steigen, lag tendenziell schon eher jenseits meiner Komfortzone.
Danke für Ihre Zeit!
«Per Anhalter zur Ostsee» ist am Freitag, den 22. August, im Ersten zu sehen. In der Mediathek ist der Film bereits ab Mittwoch.