‚Die Wahrheit liegt dazwischen‘ – Jenny Schily über Wut, Heilung und familiäre Verantwortung

In «Im Haus meiner Eltern» spielt Jenny Schily die spirituelle Heilerin Holle, die an den Grenzen ihrer seelischen Belastbarkeit kämpft. Im Interview spricht sie über psychische Erkrankungen, familiäre Verantwortung, das Helferbild unserer Zeit – und warum die Wut ihrer Figur so vielschichtig ist.

Frau Schily, was hat Sie an der Figur der Holle gereizt – einer spirituellen Heilerin, die plötzlich mit harter Realität konfrontiert wird?
Der Film wird ganz aus Holles Perspektive erzählt und sie ist aus meiner Sicht eine sehr komplexe und auch widersprüchliche Figur. Es gab Einiges, mit dem ich anfangs gefremdelt habe. Das alles hat mich gereizt.

Der «Im Haus meiner Eltern» zeigt, wie eine Familie wegsieht, wenn psychische Krankheit zur Belastung wird. Welche Fragen wirft das Thema für Sie persönlich auf?
Verantwortung innerhalb der Familie ist, glaube ich, immer ein schwieriges Thema. Wie sehr möchte, sollte, muss - oder auch kann ich meinen Eltern, meinen Geschwistern oder Verwandten helfen, wenn sie Hilfe brauchen? Oder wie sehr sollte ich sie loslassen? Und bedenken, dass ich auch Teil des Problems sein könnte? In Bezug auf psychische Probleme ist diese Frage besonders schwer
zu be antworten.

Holle steht zwischen Selbstschutz, Verantwortung und Überforderung. Wie haben Sie sich dieser emotional komplexen Rolle angenähert?
Die Geschichte basiert auf persönlichen Hintergründen des Regisseurs und wir haben natürlich viel über seine Familie geredet. Vor allem aber habe ich mir diese Fragen -über Verantwortung und Loslassen- gestellt (wahrscheinlich ist Verantwortung auch, sich selbst immer mal eine Antwort zu geben und nicht darauf zu warten, dass andere das tun). Und ich habe immer wieder darüber nachgedacht, was ich an Holles Stelle denken, fühlen und tun würde. Und versucht, mit ihren Augen zu sehen, warum und wie sie in ihrer Situation und mit ihrer Konstitution agiert.

Inwiefern hat Sie die intensive Beziehung zwischen Holle und ihrem Bruder Sven auch beim Dreh berührt?
Es hat mich sehr berührt, zumal Jens Brock ein Laienschauspieler war, der zum ersten Mal spielte. Es war ein anderes Arbeiten miteinander und irgendwie dadurch auch ein Stück unkontrollierbarer.

Der Film ist Teil einer Sommerreihe über „wütende Frauen“. Wo würden Sie Holles Wut verorten – und worauf richtet sie sich eigentlich?
Holles Wut richtet sich auf den ersten Blick natürlich gegen die anderen Familienmitglieder, die ‘nichts machen’, insbesondere gegen ihre Mutter, von der Holle sich nicht gesehen fühlt, aber auch gegen ihren Mann, der sie nicht versteht. Vielleicht ist sie aber ein Stück weit auch wütend auf sich selbst, weil es ihr so schwerfällt, die anderen zu verstehen und einfach loszulassen.

Psychische Erkrankungen werden im deutschen Fernsehen oft mit Vorsicht behandelt. Glauben Sie, «Im Haus meiner Eltern» geht hier neue Wege?
Ich finde schön, dass es dem Film gelingt, niemanden zu be- oder gar verurteilen. In bestimmter Hinsicht kann man jede Figur verstehen, sogar Sven. Und ich mag, dass die Geschichte nicht überdramatisiert erzählt wird. Man schaut auf diese Geschichte, schaut zu, wie es immer komplizierter wird, sich mehr und mehr verhärtet und wird dennoch -oder vielleicht gerade deshalb- emotional mitgenommen.

Sie spielen eine Frau, die andere heilt – aber selbst tief verletzt ist. Was sagt das über das Helferbild unserer Zeit aus?
Ich finde es wichtig, helfen zu können. Im Grunde sollte jeder Mensch dazu in der Lage sein. Aber das ist nicht so einfach. Es braucht viel Kraft und Selbstliebe. Und vor allem die Fähigkeit, die anderen in ihrer Andersartigkeit wirklich sehen zu können und zu akzeptieren - und eben nicht nur die eigenen Gedanken/ Gefühle zu projizieren, denn das ist oft nicht hilfreich.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit dem jungen Regie- und Drehbuchteam erlebt – war da spürbar, dass dies ein Film aus dem „Jungen Kino“ ist?
Die Bedingungen waren - wie leider fast immer bei angehenden FilmemacherInnen - nicht ganz einfach, die finanziellen Mittel begrenzt. Die Leidenschaftlichkeit und Unbedingtheit, mit der trotz der widrigen Umstände gearbeitet und um die Dinge gerungen wurde, fand ich inspirierend und schön. Auch das Unmittelbare mochte ich, wir haben manches Mal Szenen spontan verändert oder improvisiert. Außerdem hatten wir trotz des ernsten Themas immer wieder Spaß. Das war erfrischend.

Gab es eine Szene im Film, die Ihnen besonders naheging – sei es emotional oder körperlich fordernd?
Es gab viele Momente, die emotional herausfordernd waren; besonders in Erinnerung ist mir die Szene, in der Sven (fast) das einzige Mal spricht, im Krankenhaus, und sagt, dass er mit seiner Familie seit Jahren nichts mehr zu tun hat. Es galt, Holles Emotionen zurückzuhalten, das war nicht ganz leicht. Die Heilerin-Szenen waren auch nicht einfach, da uns wichtig war, es nicht ins Lächerliche zu ziehen. Aber das war auch ein Ansporn.

Was wünschen Sie sich, dass Zuschauerinnen und Zuschauer nach dem Film über familiäre Verantwortung und seelische Gesundheit mitnehmen?
Der Film gibt absichtsvoll keine Antworten und hat, finde ich, auch ein offenes Ende - beides mag ich sehr. Er zeigt Menschen, die auf unterschiedliche Weise in der Konsequenz ihrer Haltungen gefangen sind. Das ist in gewisser Weise immer extrem oder zumindest starr. Ich würde mich freuen, wenn die Zuschauerinnen und Zuschauer darüber nachdächten, dass die Wahrheit -und auch die Freiheit- vielleicht irgendwo dazwischen liegt. Ich finde, das ist in unserer Zeit, die von Extremen geprägt ist, sehr wichtig.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

«Im Haus meiner Eltern» ist in der ZDFmediathek abrufbar.
11.08.2025 12:40 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/163539