«Brick» bei Netflix: Wenn die eigenen vier Wände zur Falle werden
Regisseur Philip Koch spricht im Quotenmeter-Interview über die klaustrophobische Entstehungsgeschichte seines Mysterythrillers, die Macht der Metapher Mauer und das Zusammenspiel von Schweighöfer und Ruby O. Fee.
Herr Koch, Ihre Geschichte beginnt mit einer undurchdringlichen Wand mitten im Alltag – wie kamen Sie auf diese metaphorisch so aufgeladene Idee?
Die Idee ist tatsächlich während der Covid-Lockdowns entstanden, wo, glaube ich, jeder ein bisschen andocken kann, wie es ist, irgendwie zu Hause in den eigenen vier Wänden fast eingesperrt zu sein. In meinem oder unserem konkreten Fall war das tatsächlich so, dass unser Vermieter, dem das ganze Haus gehörte, auf die Idee kam, genau in der Zeit eine Fassadenrenovierung durchzuführen. Innerhalb von kürzester Zeit waren Baugerüst, Bauplane und sogar die Fenster abgeklebt. Und wir waren quasi buchstäblich, zumindest optisch, eingesperrt. Ich habe so eine leichte, klaustrophobische Veranlagung. Da ich als Autor auch viel zu Hause arbeite, war das eine Situation, die schon unbehaglich war. Gerade in dieser Zeit musste ich mir irgendeinen Ventil schaffen und bin dann auf diese Idee gekommen “Hey, was wäre eigentlich, wenn diese Komfortzone der eigenen Wohnung, des eigenen Zuhauses - was ist, wenn das plötzlich zu einer Falle, vielleicht sogar zu einer Todesfalle wird, von der man gar nicht weiß, was dahinter steckt?” Und so ist die Idee zu «Brick» entstanden.
Die räumliche Enge spielt bei «Brick» eine zentrale Rolle. Wie haben Sie beim Dreh Spannung erzeugt, obwohl das Setting so stark begrenzt ist?
«Brick» ist ein Kammerspiel, das bedeutet, dass wir die Geschichte wirklich nur mit den Figuren und der Situation erzählen, dass wir Figuren haben, die eingesperrt sind und nicht mal wissen, was passiert.
Das erzeugt natürlich schon per se in der Prämisse eine Spannung und auch ein großes Fragezeichen, was es mit der ganzen Geschichte auf sich hat. Auch der visuelle Aspekt, dass man nicht rausschauen kann, hat eine gewisse Spannung, die latent die ganze Zeit wirkt, selbst wenn man nur dialogische Szenen hat.
Deshalb ist alles schon mit einer Grundspannung aufgeladen, auch visuell – und zusätzlich dazu natürlich die ganzen Twists und die interpersonellen Konflikte.
Die Wand wirkt wie ein Symbol – für Isolation, Kontrollverlust, vielleicht auch unsere Zeit. Welche Deutung liegt Ihnen persönlich am nächsten?
Welche am nächsten ist, das ist natürlich eine spannende Frage, weil, wie Sie ja schon sagen, die Vielschichtigkeit der Interpretationsmöglichkeiten dieser Wand oder dieser Mauer enorm sind. Ich halte ehrlicherweise die Mauer gerade in unserer Zeit für wahrscheinlich die krasseste Metapher aktuell, aufgrund der Mauern in uns, zwischen uns und gerade auch die gesellschaftlichen Mauern, die wir zwischen verschiedenen Bubbles, zwischen verschiedenen Gruppen von Menschen aufziehen, auch zwischen Ländern, ist enorm. Ich glaube, dass viele Menschen an die Metaphorik einer Mauer andocken können, auch weil sie so vielschichtig stattfindet. Leider ist es für unsere heutige Zeit eine der bedeutendsten Metaphern, und deshalb ist der Film auch ein Plädoyer dafür, lieber doch ein paar mehr Mauern einzureißen, anstatt neue aufzubauen.
Wie war die Zusammenarbeit mit Matthias Schweighöfer und Ruby O. Fee, die das emotionale Zentrum des Films bilden?
Ich wollte diese beiden Hauptfiguren tatsächlich von Anfang an am liebsten mit einem echten Schauspielerpaar besetzen. Als feststand, dass wir das Projekt als deutschsprachigen Film mit Netflix machen würden, ging das dann sehr schnell. Wir hatten Matthias zuerst gar nicht auf dem Schirm, weil wir dachten, er wäre nicht verfügbar, wir fanden die Idee aber sofort großartig. Zwei so tolle Darsteller zu gewinnen, bei denen schon so viel mitschwingt, die so viel Chemie mitbringen, ist ein riesiges Geschenk. Es war natürlich eine Inszenierungsarbeit, da Matthias anders arbeitet als Ruby und dadurch, dass Matthias ja auch Regisseur ist und natürlich mit Ruby eine Schauspielerin und Partnerin an seiner Seite hat, wo natürlich schon sofort ein Vertrauensverhältnis unmittelbar besteht. Das ist natürlich eine besondere Herausforderung für den Regisseur, aber es hat ganz toll funktioniert, weil einfach beide extrem begabte Schauspieler und Geschichtenerzähler sind.
Es war eine tolle gemeinschaftliche Entdeckungsreise, eine Zusammenarbeit, die wirklich sehr viel Spaß gemacht hat. Mit zwei sich fremden Darstellern hätte es sehr viel länger gedauert, ähnlich gute Aufnahmen zu machen.
Neben der Mystery-Ebene geht es auch stark um zwischenmenschliche Dynamiken: Was passiert, wenn Menschen in Extremsituationen aufeinander treffen. War das Ihr Hauptantrieb beim Schreiben?
Neben der Mystery der Achterbahnfahrt, wie diese Figuren aus dieser Situation herauskommen, finde ich am interessantesten, dass wir ein Ensemble haben, die diese Situation, in der sie sich befinden, unterschiedlich wahrnehmen, unterschiedlich interpretieren. Für mich ist das wiederum auch eine Metapher, dass wir uns leider mittlerweile in einer Welt bewegen, in der wir ein Problem haben, uns auf gemeinsame, faktische Wirklichkeit zu einigen.
Jeder lebt so in seiner Bubble. Jeder denkt, das ist genau so, wie es ist. Jeder hat seine eigene Interpretation von Wahrheit, das seziert der Film auf eine gewisse Weise. Ist das Auftauchen der Mauer eine Schutzmaßnahme? Ist es eine Falle? Ist es ein Todesspiel? Ist es ein Sozialexperiment? Ist es vielleicht alles nur ein irrer Albtraum? Ist das irgendwie eine Paartherapie in der Zukunft und wir sind hier in einer Simulation drin? Es gibt ganz viele verschiedene Interpretationen. Für mich steht im Zentrum, dass wir als Gesellschaft das Problem haben – in unserem Zeitalter von Deepfakes, von Fake News – uns auf eine gemeinsame Wirklichkeit nicht mehr zuverlässig verlassen können. Das ist ein gigantisches Problem. Das liegt dem Film zugrunde, aber er ist natürlich keine philosophische Abhandlung, sondern eine wahnsinnig unterhaltsame, auch spaßmachende Achterbahnfahrt zum Miträtseln. Dennoch bietet der Film mehrere Andock-Punkte, um sich auch eine Ebene tiefer mit der Materie auseinanderzusetzen.
«Brick» wird wie «Exterritorial» von Christian Zübert bei Netflix ein riesiges Publikum finden. Freut man sich als Filmemacher über so eine Schar von Zuschauern?
Noch haben wir die Zuschauer nicht. (lacht) Aber wenn sie dann mal da sind, freut man sich natürlich. Das ist gerade bei Netflix der Traum eines jeden Geschichtenerzählers, einen Film oder eine Serie zu machen, die wirklich ein globales Publikum überall auf der Welt erreicht. Das ist einfach völlig irre. Ich war letztes Jahr mit meinem Vater in Brasilien im Urlaub, wir waren im tiefsten Outback in Brasilien, in der Pampa, in einem Taxi. Und als ich dem Taxifahrer sagte, ich hätte diesen Film, «60 Minutes», gemacht, drehte er sich um und sagte, “Boah, der war so toll!”. Das ist einfach großartig, man ist am anderen Ende der Welt, in irgendeiner Situation, wo man es überhaupt nicht erwartet, und auch dort schauen die Menschen mit großer Begeisterung Netflix-Filme und -Serien. Das ist ein Riesengeschenk.
Auch die Premiere beim Münchner Filmfest, dass wir den Film auf der großen Leinwand sehen durften, das ist auch großartig. Es ist fantastisch, dass wir mit dem Film aufs Festival eingeladen wurden, dass wir eine Premiere haben konnten und dass viele Menschen ihn auf der großen Leinwand sehen konnten.
Danke für Ihre Zeit!
«Brick» ist seit 10. Juli 2025 bei Netflix abrufbar.