Die Übernahme von Sky Deutschland durch Bertelsmann wird als strategischer Schritt verkauft – doch in Wahrheit offenbart sie die inhaltliche Schwäche von RTL+ und das Dilemma der europäischen Streaming-Branche: viel Ambition, wenig Substanz.

Bertelsmann übernimmt also Sky Deutschland. Was auf den ersten Blick wie eine Elefantenhochzeit aussieht, ist auf den zweiten Blick nichts anderes als das Eingeständnis eines Scheiterns. Vor allem des Scheiterns von RTL+, jenem ambitionierten Streaming-Angebot, das einst mit markigen Sprüchen antrat, um Netflix, Prime Video und Disney+ den Kampf anzusagen – und bis heute in deren Schatten verharrt. Der Erwerb von Sky Deutschland für schlanke 150 Millionen Euro (plus erfolgsabhängigen Nachzahlungen) wird in Gütersloh und Köln als strategischer Schritt verkauft, als Maßnahme zur Stärkung der „europäischen Medienmärkte im Wettbewerb mit den globalen Tech- und Streamingplattformen“, wie es aus dem Bertelsmann-Tonstudio hallt. Doch die Realität sieht deutlich nüchterner aus.
Faktisch ist das kein Paukenschlag, sondern ein letzter Tusch. RTL+ hat es bislang schlicht nicht geschafft, sich als echte Streaming-Macht zu etablieren. Trotz einer beachtlichen Mediathek, trotz deutscher Fiction, trotz Reality-Dauerfeuer. Warum? Weil ein bisschen DACH nicht reicht, wenn Netflix weltweit Milliarden für Inhalte raushaut. RTL+ agiert lokal, Netflix global – und wer skalieren kann, gewinnt. Die Übernahme von Sky Deutschland vereint nun schlagartig rund 11,5 Millionen Kunden im RTL-Kosmos. Toll? Ja. Aber auch ein bisschen verzweifelt. Es ist die Art von Wachstum, die man nicht aus eigener Kraft hinbekommt – also kauft man sich ein. Hintergrund ist die Tatsache, dass RTL-Programmchefin Inga Leschik bis Ende 2026 neun Millionen Abonnenten vorweisen sollte (inklusive den Ablegern im Ausland).
Der Sport ist dabei der große Trumpf. Sky hat in den letzten Jahren eine beachtliche Expertise im Live-Sport aufgebaut: Bundesliga, Premier League, DFB-Pokal, Formel 1, große Tennisturniere – das zieht. Und Bertelsmann tut gut daran, die Sportprofis einfach machen zu lassen. Kein Grund, da reinzuregieren. Inhaltlich allerdings ist das dünnes Eis. Denn abseits des Sports klafft eine gewaltige Leerstelle. Wo ist das große, fiktionale Zugpferd, das Eventfernsehen? Netflix wirft jährlich Milliarden in den Ring, um dem Publikum seine televisionären Drogen zu liefern. Bertelsmann und RTL+ haben bislang kaum etwas im Angebot, was über lineare Zuschauergewohnheiten hinausreicht. Und das ist ein Problem. Wer heute Streaming ernst meint, muss die Lust auf Eskapismus, auf Drama, auf Hochglanz und Trash in Serie stillen können. Und das nicht nur auf Deutsch, sondern auf Englisch, Spanisch, Koreanisch – weltweit eben. Zwar hört man aus Gütersloh und Köln immer wieder, man wolle auch in Wachstumsmärkten wie Indien oder Mexiko Fuß fassen. Aber dort wartet nun wirklich niemand auf ein deutsches Medienhaus. Gerade Indien hat ja nicht nur Bollywood, sondern eine auch in den Regionen mächtige Medienkultur, die nicht nur Netflix und Prime die Stirn bietet, sondern auch emotional tief in der Bevölkerung verankert ist. Zudem sich zuletzt Disney in Indien die Finger verbrannte: Die Cricket-Rechte waren so unfassbar teuer, dass dafür in den USA offenbar neue «Star Wars»-Projekte auf Eis wurden.
Ein Bertelsmann, das dort als europäischer Herausforderer auftritt, dürfte schnell merken, dass Globalisierung kein Einbahnstraße ist – und dass kulturelle Souveränität in solchen Märkten oft höher gehandelt wird als neue Investoren mit großem Ego und dünnem Portfolio. Übrigens hat Thomas Rabe zuletzt RTL Belgium, RTL Nederland und RTL in Kroatien an Mitbewerber verkauft. Die Veräußerung der französischen Tochter scheiterte. In Gütersloh weiß man nicht, welche Richtung man einschlagen möchte.
Ein Hoffnungsschimmer könnte in der DACH-Region der exklusive Zugriff auf HBO-Inhalte sein. Das Prestige ist da und es gab ja schon ein sanftes Kuscheln zwischen den Ostwestfalen, ihrer rheinischen TV-Zweigstelle und dem Erfinder des modernen Serienfernsehen. Es ist jedoch anzumerken, dass HBO derzeit alles andere als eine verlässliche Größe darstellt. Zuletzt enttäuschte man mit kuriosen Entscheidungen, etwa der ersatzlosen Streichung des «Batgirl»-Films, der bereits abgedreht war. Eine Absage, die sich gegen das Publikum richtete, das HBO eigentlich lieben sollte. HBO lebt in diesen Tagen – ehrlich gesagt – mehr von seinem Ruf als von Inhalten, Verlässlichkeit und Innovation. Außerdem startet im kommenden Jahr HBO Max in Deutschland, das maximal als Zusatzabo in Frage kommt. Verträge sind bis heute nicht unterzeichnet.

Und was ist eigentlich mit Comcast, der bisherigen Mutter von Sky Deutschland? Die zieht sich zurück – und zwar mit leisen, aber deutlich vernehmbaren Schritten. Der Eindruck entsteht: Man hatte einfach keine Lust mehr auf das zähe Tagesgeschäft in der DACH-Region. Sky und sein Ableger WOW machen viel Arbeit – und liefern wenig Rendite. Der Wettbewerb mit Netflix und Prime ist brutal, erfordert Ausdauer, Geduld, lokale Kompetenz. Offenbar alles Dinge, für die man in Philadelphia keinen Nerv mehr hat. Stattdessen lieber der Exit – elegant verpackt als „strategische Neuausrichtung“. Wer soll sich auch darum kümmern, wenn Comcast in den vergangenen Jahren viele Mitarbeiter rauswarf? Ohnehin war Sky nie als NBC-Produkt angeknüpft, sondern sollte sein eigenes Süppchen kochen.
Und so bleibt von dieser Übernahme ein fader Beigeschmack. Ja, es ist ein Schritt zur Konsolidierung des europäischen Marktes. Aber es ist auch ein Zeichen für die Ohnmacht lokaler Anbieter. Anstatt sich mit Inhalten, Ideen und Innovationskraft zu behaupten, kauft man Reichweite dazu – in der Hoffnung, das reiche irgendwie. Bertelsmann bekommt nun ein dickes Kundenpaket, viel Sport und ein paar Hoffnungen auf große Serien. Doch was fehlt, ist eine echte Vision. Eine Antwort auf die Frage: Wie kann europäischer Content jenseits von Krimis und Castingshows im globalen Streaming-Zirkus mithalten?
Diese Übernahme ist kein strategisches Meisterwerk. Sie ist ein Reflex. Ein Reflex aus Angst, den Anschluss zu verlieren. Wenn Bertelsmann es ernst meint mit dem Aufbau eines europäischen Gegengewichts zu Netflix, dann braucht es mehr als eine neue Senderstruktur. Dann braucht es mutige Inhalte, echte Investitionen in Kreativprozesse – und den Willen, nicht nur Drittverwertung zu betreiben, sondern Streaming als eigene Kunstform zu begreifen. Alles andere bleibt Provinz im globalen Gigantenduell. Und Sport allein gewinnt eben keine Kulturkämpfe.