Eric Hegmann über Intimität: ‚Wir senden nur einen kleinen Teil der Sitzung‘
Die «Die Paartherapie» vom NDR ist ein sehr emotionales Format. Mit Quotenmeter sprach der Paartherapeut über die Arbeit vor der Kamera und Beziehungen in den Krisen.
Hallo Herr Hegmann, ich wurde mit einer neuen Folge der Audio-«Paartherapie» überrascht. Wie viele Folgen sind geplant und wann werden die neuen Episoden in der ARD-Mediathek verfügbar sein?
«Die Paartherapie» ist ja ein crossmediales Format aus Dokuserie und Podcast. Aktuell werden die Folgen der vierten Staffel des Podcasts veröffentlicht. Die fünfte ist in Planung. In den 6 bis 8 Folgen jeder Podcast Staffel spreche ich mit jeweils einem Paar in einer 4 bis 5-stündigen Intensivsitzung. Autorin und Host Maria Richter bereitet das Material dann für eine etwa einstündige Folge auf. Die dritte Staffel der Dokuserie habe ich gerade abgedreht mit vier neuen, mutigen Paaren. Diese werden im Herbst in der ARD Mediathek veröffentlicht.
Bei der Audio-Folge war ein junges Paar aus Hamburg zu Gast. Sie wollte nicht mehr in der Stadt bleiben, er wollte aber erst eine Fernbeziehung testen. Ist bei solchen Themen eine Trennung schon fast obligatorisch?
Das kann ich Ihnen tatsächlich nicht beantworten, weil ich so nicht denke. Einzig jede:r Partner:in entscheidet für sich selbst darüber, ob möglicherweise der Preis dafür, zusammenzubleiben und dafür vielleicht sogar eigene Bedürfnisse zurückzustecken, zu hoch ist. Es gibt viele Fernbeziehungen, die ganz hervorragend funktionieren und ebenso gibt es viele Paare, die sich dieses Beziehungsmodell nicht vorstellen können. Meine Arbeitsweise ist integrativ, das bedeutet ich verwende auf meine Art Werkzeuge aus der differenzierungs- und entwicklungsfokussierten Paartherapie, der systemischen Paartherapie, der emotionsfokussierten Paartherapie und dem Psychodrama. Diese bewährten Methoden haben alle gemein, dass sie dem Paar keine Lösung oder Haltung des Therapeuten überstülpen. Das hielt ich auch für anmaßend.
Wie kam es zur Idee, echte Paartherapien für ein breites Publikum filmisch aufzubereiten? Was war Ihr Beweggrund, sich auf ein solch öffentliches Format einzulassen?
Nele Pasch und Kathrin Lindemann von PicturePunks kamen mit der Idee dieses Doku-Formats und des gleichnamigen Podcast auf mich zu und ich war anfangs durchaus skeptisch, weil ich auf keinen Fall Paare vorführen wollte. Doch mit der ARD und dem NDR haben wir ein gleichermaßen seriöses wie erkenntnisreiches und unterhaltendes Konzept entwickelt, das sich von Krawall-Produktionen ganz deutlich absetzt. Wir erfahren das auch durch den überaus positiven Zuspruch von Kolleginnen und Kollegen. Ich habe gerade eine Fortbildung gegeben, in der über 50 Paartherapeut:innen und Coaches sich über meine Methoden, die sie teilweise auch aus der Serie und dem Podcast kennengelernt haben, informieren wollten. Diese fachliche Zustimmung motiviert uns ebenso wie der so positive Zuspruch der Zusehenden und Zuhörenden. Ich bin heute sehr froh, dass ich dieses Experiment eingegangen bin und ich vermute, die Produktion und die Sender sehen das ähnlich, immerhin handelt es sich um ein überaus erfolgreiches Format-Duo mit vielen Millionen Zusehenden und Zuhörenden.
Wie verändert sich Ihre Rolle als Paartherapeut, wenn Kameras dabei sind? Können Sie noch genauso arbeiten wie in einem vertraulichen Praxisraum?
Wir drehen und zeichnen einen Sitzung auf, wie sie auch in meiner Praxis ablaufen würde. Es gibt keine Wiederholungen von Takes, sondern ausschließlich eine authentische Sitzung (mit einer Mittagspause). Hier möchte ich ganz deutlich betonen: für mich sind die Paare Klienten und kein Content. Gleichzeitig achtet die Produktion bei der Auswahl der Paare darauf, dass die Themen öffentlichkeitstauglich sind und nicht beispielsweise dritte Personen geschädigt würden. Und ja, ich arbeite in der Praxis mit Paaren durchaus auch häufiger intensiver sexualtherapeutisch, was für Fernsehen nach meiner Überzeugung nicht geeignet wäre. Mit den Paaren in der Praxis arbeite ich auch meist mehrere Intensivtage im Abstand von einigen Wochen, kann also deren Prozess länger begleiten und tiefer in die Einzelarbeit mit den Partnern einsteigen. In «Die Paartherapie» entwickeln und zeigen wir vor allem den Startpunkt eines Veränderungsprozesses.
Viele Zuschauer fragen sich: Können Paare unter Kamerabeobachtung überhaupt authentisch über ihre intimsten Konflikte sprechen? Wie erleben Sie das?
Die Paare sehen keine Kameras, die sind in der großartigen Kulisse versteckt und alle Beteiligten vergessen die Aufnahme bereits nach wenigen Minuten. Und die Folgen zeigen: ganz offensichtlich können die Paare authentisch über intimste Konflikte sprechen – die möchten das ja auch, um ihren Veränderungsprozess starten zu können. Neben eigenen Zielen für ihre Beziehung wollen die Paare aber auch anderen mitgeben, was sie selbst durch das Format erfahren haben: Motivation und Inspiration für andere, um in ihre Beziehungen und Verbindungen zu investieren.
Wie stellen Sie sicher, dass die teilnehmenden Paare nicht zu sehr „performen“, sondern tatsächlich an ihren Problemen arbeiten?
Ob ich Ihre Frage richtig verstehe, bin ich unsicher, denn wie gesagt, wir haben es nicht mit gescripteten Situationen zu tun, die gespielt oder performt würden, sondern mit einer authentischen paartherapeutischen Sitzung. Hier kann ich auch ganz auf die Redaktion und die Produktion vertrauen, die vorab mit den Paaren sprechen. Ich lerne die Partner erst zur Sitzung kennen, ganz genau so wie in der Praxis auch.
Sie setzen sich in Ihrer Arbeit für mehr Offenheit in der Beziehungsarbeit ein. Ist es aber nicht auch gefährlich, so intime Konflikte öffentlich zu machen?
Ich habe allergrößten Respekt vor unseren mutigen Paaren, die mit ihren Anstrengungen andere Paare unterstützen wollen. Im Gegenzug achtet die Produktion natürlich darauf, dass die verwendeten Ausschnitte aus der Therapiesitzung unsere hohen Ansprüchen auch an den Schutz der Partner und ihrer Familien gerecht werden. Natürlich beziehen Zusehende und Zuhörende auch Partei für einzelne Partner und diskutieren darüber in den sozialen Medien, das tun sie aber vor überwiegend mit größtem Respekt vor dem Mut der Partner, was die Kolleg:innen von ARD und NDR darüberhinaus entsprechend moderieren.
Kritiker befürchten, dass hier therapeutische Prozesse fürs Entertainment ausgeschlachtet werden. Wie begegnen Sie diesem moralischen Einwand?
Diese Kritik wurde mir bisher nicht angetragen und habe ich so auch nicht gelesen. Die Rezensionen waren und sind sehr positiv. Meine Kolleg:innen berichten mir darüber hinaus, dass sie einen starken Zulauf von Klienten erleben, die ausdrücklich aufgrund von Serie oder Podcast paartherapeutische Unterstützung suchen. An der Stelle möchte ich auch gerne Esther Perel zitieren, von der ich persönlich lernen durfte und die den überaus erfolgreichen Therapie-Podcast „Where shall we begin?“ produziert: „Therapie und Entertainment schließen einander nicht aus.“
Gibt es Momente während der Dreharbeiten, in denen Sie überlegen mussten: „Das ist jetzt zu privat, das gehört nicht an die Öffentlichkeit“?
Wenn beispielsweise Dynamiken mit Personen angesprochen werden außerhalb der Primär-Beziehung, sind wir sehr sensibel. Oder wenn es um Erkrankungen geht. Wir senden nur einen kleinen Teil der Sitzung, bei der Auswahl spielen selbstverständlich auch diese Aspekte eine relevante Rolle. Da ich mich auf die Produzentinnen und die Redaktionen verlassen kann, muss ich mir während der Sitzung darüber aber wenig Gedanken machen. Tatsächlich war dies für mich ein Prozess. In den ersten beiden Staffeln war noch deutlich häufiger in meinem Kopf eine Stimme, die sagte: „Pass auf, was du fragst, die Antwort könnte schließlich gesendet werden.“ Aber in einem Therapieprozess ist das nur eine Stimme von vielen. Fragen wie: „Ist das die beste Intervention?“ oder „Willst du hier verlangsamen und tiefer gehen oder lieber zu einem anderen Aspekt weiterziehen?“, sind ebenfalls immer präsent. Das ist immer Teil einer solchen Arbeit.
Wie nachhaltig ist der Therapieprozess für die Paare, wenn er öffentlich stattfindet? Haben Sie Rückmeldungen, wie es ihnen nach der Ausstrahlung ergangen ist?
Selbstverständlich interessiert uns, was aus den Paaren geworden ist. Ihre Rückmeldungen zum bisherigen Therapierergebnis senden wir zum Ende jeder Staffel von Podcast und Serie. Unser Team hält auch nach der Veröffentlichung den Kontakt zu den Paaren. Gleichzeitig möchte ich darauf hinweisen, dass es bei der Paartherapie nicht um eine Erfolgsquote geht, die nach geretteten Beziehungen gemessen würde, das wäre eine naive Idee von Paartherapie. Es geht darum, haben die Partner Veränderungsprozesse starten können, um einander bessere Reisebegleiter auf ihrem gemeinsamen Weg werden zu können. Diese harte Arbeit findet vor allem zwischen oder nach der Sitzung statt, wenn Veränderungen geübt oder trainiert werden durch Experimente oder Interventionen, die wir in der Sitzung probieren und den Partnern mitgegeben werden. Dafür erhalten sie von mir unterstützendes Material zu den in der Sitzung besprochen Werkzeugen und Übungen.
Welche Reaktionen bekommen Sie von Zuschauerinnen und Zuschauern? Werden Sie häufiger um Hilfe gebeten, weil das Format neue Zugänge zur Paartherapie eröffnet?
Die Reaktionen sind überwältigend positiv. Sie erreichen mich, den Sender und die Redaktionen über Mails, über Kommentare auf unseren Social Media Accounts. Wir haben ganz offensichtlich ein Format entwickelt, dass Menschen als sehr hilfreich, lehrreich und inspirierend erleben. Ich denke, ich darf auch für die Kolleg:innen sagen, dass wir stolz sind auf das, was wir hier mit Hilfe unserer Paare bewegen und anstoßen dürfen.
Glauben Sie, dass solche Formate langfristig dazu beitragen können, das Stigma um Paartherapie abzubauen, oder besteht die Gefahr, dass Menschen falsche Erwartungen an „schnelle Lösungen“ entwickeln?
Was Erwartungen an schnelle Lösungen betrifft, erlebe ich dies vor allem durch einen Journalismus, der auf hohe Erregung und schnelle Reaktivität setzt. Wir produzieren ein Dokumentations-Format und meine paartherapeutische Arbeit setzt auf Selbstverantwortung und Differenzierung der Partner, das bedeutet, meine Sitzungen sind kein Partner-Fixung und keine verallgemeinerten schnellen Tipps, denen Nachhaltigkeit fehlen muss.
Das von Ihnen angesprochene Stigma der Paartherapie erlebe ich – allerdings bin ich mit meiner Praxis in der Millionenstadt Hamburg auch nicht repräsentativ – schon sehr lange nicht mehr. Aber ich stimme Ihnen zu, sich Hilfe zu suchen, wird gewiss durch unser Format immer niedrigschwelliger. Das spiegeln mir auch Kolleg:innen wieder.
Vielen Dank für Ihre Zeit, aber auch für Ihre Arbeit!