«The Waterfront»: Wenn Fischer auf Drogen umschulen

Kevin Williamson («Scream», «Dawson's Creek») erzählt für Netflix vom Abstieg eines Familienimperiums: in einer rundum gelungenen Serie.

Manchmal braucht es nicht einen Plot-Twist nach dem anderen, um uns den Atem zu rauben – manchmal reicht es, reinzuziehen in eine Serie, die von vorn bis hinten furchtlos glaubt: «The Waterfront» ist so ein Format: acht Stunden Sturm, der eine Familie vorführt, die glaubt, alles im Griff behalten zu können – und doch in einer Brandung aus Lügen, Wasser, Dreck und kaltem Schmerz endet.

Im Zentrum der Geschichte stehen die Buckleys – das klingt, als hätte man einen Familienroman gelesen, dann aber doch lieber vergessen, weil er bald zu vertraut wurde. Aber in «The Waterfront» sind sie nicht einfach die neuen Duttons, sondern ein grummeliges, verletztes Volk von Großfischern, die sich mit Eimer, Netz und Moral ihre Haut teuer erkaufen wollen. Kevin Williamson, der Mann hinter «Dawson’s Creek» und «Scream», hat hier einen Teil seiner verlebten Familiengeschichte verarbeitet: Sein Vater war selbst Fischer und auch einmal wegen Drogendelikten hinter Gittern – mit seiner neuen Serie zeigt er nun die dunkle Seite eines Familienimperiums, das einst fest im Sattel saß und jetzt auf einmal ins Wanken gerät, weil der Clan vom Fischfang auf den Drogenschmuggel umsteigt.

Das Herz dieser Serie ist Holt McCallany als Harlan Buckley – ein Mann, dessen Leben schon zweimal am seidenen Faden hing und der doch denkt, er könne über Wasser laufen, weil er selbst das Ufer ist. McCallany liefert eine Leistung zwischen Trommelgewitter und Flüstern, die deutlich macht: Das ist kein simpler Rollenrecycler, das ist ein Krieg im Innersten. Gegen sich selbst, gegen die Welt, gegen den Salzwind.

Maria Bello als Mae, seine Frau, spielt derweil nicht die gute Gattin, sondern hat in jedem Satz eine Pistolensalve versteckt. Sie ist wie ein Leuchtturm, der nicht weiß, ob er warnen oder blenden soll. Und dann sind da noch Jake Weary als Cane – der Sohn, der nicht weiß, ob er ins Boot steigen oder von Bord springen soll – und Melissa Benoist als Bree, die Tochter, die einen langen Weg durch Sucht und Schuld hinter sich hat: Gerade Benoist bringt in jeder Szene so viel kaputte Schönheit zum Tragen, dass man hofft, sie findet aus diesem Sumpf heraus, nur weil man sie gerne noch ein bisschen weitersieht.

Wenn «The Waterfront» in seinen besten Momenten auf Hochtouren läuft – dann zischt das Wasser wie ein Versprechen, und die Kamera taucht in düstere Kulissen ein, die gleichzeitig friedlich glitzern und bedrohlich beben. Maritimromantik trifft Südstaaten-Albtraum. Die Bilder sind so fein komponiert, dass man fast glaubt, man hätte Salz auf der Haut.

Was diese Serie derweil inhaltlich groß macht? Sie weiß, dass Loyalität nie kostenlos ist. Dass Familie nicht immer Erlösung ist – sondern auch ein schweres Gewicht sein kann, das einen im Strudel hinab reißt. Die Serie erzählt das nicht plakativ, sondern in feinen Sätzen und filigranen Figurenentwicklungen. Dieses Gefühl, dass jedes Netz ein Fang und jede Welle ein Versprechen ist – und doch niemand sicher ist: Das schafft «The Waterfront» beeindruckend.
20.06.2025 11:20 Uhr  •  Oliver Alexander Kurz-URL: qmde.de/162212