Christian Werner: ‚Das ist ein gutes Beispiel für europäische Zusammenarbeit‘
In Zeiten von „Nationalstaaterei“ plädiert der Regisseur von «Polizeiruf 110: Spiel gegen den Ball» für Zusammenhalt und Kooperationen.
Herr Werner, „Spiel gegen den Ball" spielt im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Polen. Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie in diesem grenzübergreifenden Setting für einen Krimi?
Das deutsch-polnische Grenzgebiet ist ein ganz besonderer und sehr schöner Landstrich entlang der Oder. Alles scheint ruhig und menschenleer - doch über die Oder führen zahlreiche Brücken Transitstrecken, In Świecko steht direkt auf der Brücke seine grenzüberschreitend arbeitende Polizeiwache, die aus deutschen und polnischen Kolleg:innen besteht. In der Realität bearbeiten sie eigentlich Zolldelikte, Menschenhandel etc. Nach dem Schenger Durchführungsübereinkommen, darf die Polizei auch grenzüberschreitend tätig werden und davon lebt unser Polizeiruf. Deutsche und polnische Polizeibeamte ermitteln gemeinsam, im Polizeiruf (leider nur) bei Mordfällen. Das ist ein gutes Beispiel für europäische Zusammenarbeit, die wir in Zeiten der voranschreitenden „Nationalstaaterei“ unbedingt brauchen.
Der Film beginnt mit einem vermeintlich eindeutigen Tatort, der sich als falsche Fährte entpuppt. Was reizt Sie an solchen Wendungen im Kriminalfilm?
Jeder Krimi lebt von falschen Fährten – das ist das Einmaleins des „Whodunit“. Sonst haben wir keinen Krimi 😉. Geübte Zuschauer:innen wissen um die begrenzte Anzahl der Fehlspuren und endlichen Verdächtigen, irgendwann ist der Täter erkennbar. Das ist eher der mathematische Teil der Drehbucharbeit. Spannender ist meine Meinung nach, in die Täter und Verdächtigen- Perspektive zu wechseln. Aber die große Stärke des RBB-«Polizeiruf» ist die Ermittlungsarbeit der wunderbare Kommissare Luschke und Ross, die den Fall mit Fingerspitzengefühl lösen.
Olivia Briegel, das Mordopfer, war Präsidentin eines Amateur-Fußballvereins. Wie wichtig war Ihnen die Verknüpfung von Vereinsleben, Sport und Kriminalität in der Geschichte?
Die Verbindung der Gerüstbaufirma und des Sportvereins sollte organisch in die Geschichte eingebettet sein. Unternehmen unterstützen oft Vereine – im kleinen Dorfverein wie in der Bundesliga. Sonst könnten viele Vereine gar nicht überleben. Bei uns geht es um Nachwuchsförderung bei jungen Fußballtalenten aus Deutschland und Polen, die von einer Profikarriere träumen. Für manche ist es ein Ausweg aus prekären Verhältnissen. Wenn dann die Vereinschefin dazwischen funkt - manche bevorzugt andere schikaniert, könnte das für sie gefährlich werden.
Die Tat fällt zeitlich mit einem EM-Viertelfinale zusammen – ein cleverer dramaturgischer Kniff. Wie kam es zu dieser Idee, das Public Viewing als „Tatzeitfenster" zu nutzen?
Das Viertelfinale gegen Spanien war ein fantastisches Fußballspiel. Das ist hoffentlich noch einigen Fans im Gedächtnis. Unsere Redakteurin hatte die Idee. Genial für die Alibis: Während (fast) ganz Deutschland vor den Bildschirmen klebt, passiert der Mord.
Der Film wirft ein Licht auf soziale Themen wie Perspektivlosigkeit, Jugendträume und familiäre Einsamkeit. Wie bewusst wollten Sie diese Aspekte einfließen lassen?
Deutschland hat leider sehr viel reale Fälle, die von jugendlichen und auch minderjährigen Straftätern begangen werden- Tendenz steigend. Vereinsamte Jugendliche, Coming-out-Probleme, alleinerziehende Väter – das alles spielt eine wichtige Rolle in unserer Folge, die eine lange Entwicklungszeit hatte. Für mich war das sehr wichtig zu erzählen, auch wenn man daraus auch ohne Krimiplot ein tolles Drama machen könnte.
Marco, der 13-jährige Sohn des Opfers, steht im Zentrum einer emotional aufgeladenen Geschichte. Wie sind Sie mit der Darstellung kindlicher Traumata und seiner inneren Welt umgegangen?
Unsere Casterin Tanja Schuh fand sehr begabte Nachwuchspieler:innen, Sensibilität war oberstes Gebot – bei den eingeschränkten Arbeitszeiten für Jugendliche und dem Zeitdruck einer TV- Produktion. Eine Kindercoachin unterstützte uns bei den emotional herausfordernden Szenen. Die „Jungs“ waren immer sehr gut vorbereitet, hatten Spielfreude und sind ein Geschenk für den Film. Wir und dabei meine ich die Eltern, die Coachin und ich als Regisseur haben versucht, ihnen so viel wie möglich Sicherheit und Vertrauen zu geben. Mehr Vorbereitungszeit und Proben wären sicher noch besser gewesen, aber es geht leider nicht immer - vielleicht noch bei Kinoproduktionen.
Sie haben mit einem großen Ensemble gearbeitet – u. a. mit André Kaczmarczyk, Gisa Flake und Hanno Koffler. Wie gestalten Sie als Regisseur die Arbeit mit so unterschiedlichen Schauspielpersönlichkeiten?
Es sind großartige Schauspieler:inenn mit verschiedenen Bedürfnissen – ein Glücksfall und gleichzeitig eine Herausforderung. Wir hatten wenig Zeit zum Kennenlernen vor Drehbeginn. Das Buch wurde in letzter Minute fertig. André und Gisa kennen ihre Figuren sehr gut und als Novize der Reihe findet man trotz Recherche erst mit jedem Drehtag in den Film und deren Rollen hinein. Manchmal lief es reibungslos, manchmal diskutierten wir heftig. Aber immer im Sinne der Geschichte.
Der Krimi spielt auch auf einem Fußballplatz – ein eher ungewöhnlicher Schauplatz für einen Mordfall. Wie haben Sie diese Szenerie inszenatorisch umgesetzt?
Grüner Rasen im Hochsommer ohne Stadion wirkt oft flach – ein visuelles Risiko. Mit meiner Kamerafrau Katharina Bühler wollten wir Hochsommer-Hitze und verblasstes Gelb sichtbar machen. Das ehemalige BFC Dynamo-Stadion aber auch das wunderbare Gelände des SSV Köpenick- Oberspree waren die richtig Kulisse für uns. Die Tribüne schafft Tiefe und die Atmosphäre.
Was war Ihnen stilistisch bei der Bildsprache und Atmosphäre besonders wichtig, um die Spannung und Emotionalität der Geschichte zu transportieren?
Hitze und Patina sollten im Bild sichtbar werden. Die Bewegung auf dem Platz als Kontrast zu den vielen Dialogszenen dienen. Die Oder als Lebensader und natürliche Grenze. Polnische Sprache mit Untertiteln – einer der wenigen Primetime-Krimis, der das wagt. Kontraste schaffen Spannung. Unsere wunderbare Szenenbildnerin Nadja Götze hat auch sehr viel Liebe zum Detail in die Motive gesteckt. Die Motive erzählen so ihre ganz eigene Geschichte.
Sie waren neben der Regie auch am Drehbuch beteiligt. Inwiefern hat sich das auf Ihre Herangehensweise an die Inszenierung ausgewirkt?
Bei meinen eigenen Filmen war ich immer Co-Autor. Ich habe viel Respekt vor Autor:innen, die sich auf das Krimihandwerk verstehen. Beim Polizeiruf wurde ich in der Drehvorbereitung ins kalte Wasser geschubst, weil unser Autor ausgefallen ist. Generell finde ich die frühe Einbindung der Regie in die Bucharbeit als sehr wichtig. Man versteht die Figuren besser, findet sich in die Welt der Geschichte ein und kann den Film schon im Vorfeld viele Male vor seinem inneren Auge ablaufen lassen. Erarbeitet sich so viel tiefer, wie er aussehen und klingen soll.
Sie sich vom Publikum – welche Fragen oder Gedanken soll „Spiel gegen den Ball" bei den Zuschauerinnen und Zuschauern hinterlassen?
Jugendgewalt schockiert uns alle. Wie kann es in unserer Gesellschaft soweit kommen? Warum ist die Hemmschwelle zur Gewalt so niedrig geworden (oder war sie das schon immer)? Fußball kann eine Möglichkeit sein, diese Spannungen abzubauen und bietet Jugendlichen die Möglichkeit sich anders auszuleben und zu entdecken. Wir wollen mit dem Film den Sport nicht in eine Gewaltecke rücken. Bei uns geht es um Einsamkeit, ein „Nichtverstandenwerden“, Ausgrenzung usw.. Ich finde wir sollten besser aufeinander aufpassen. Gerade wenn wir glauben, dass Jugendliche ja schon so selbständig sind, brauchen sie uns um so mehr. Wir sollten genau zuhören, was sie uns zusagen haben.
Danke für Ihre Zeit!
«Polizeiruf 110: Spiel gegen den Ball» ist am Sonntag, den 22. Mai, um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.