Ein Roman über Freundschaft, Liebe und die Würde des Abschieds. Autorin ist die ehemalige Chefärztin Lou Bihl.

Mit ihrem vierten Roman „Nicht tot zu sein, ist noch kein Leben“ legt die Autorin und ehemalige Chefärztin Lou Bihl ein zutiefst bewegendes Werk über Freundschaft, selbstbestimmtes Sterben und den Umgang mit unheilbarer Krankheit vor. Wie schon in ihren vorherigen Büchern verbindet Bihl medizinische Expertise mit erzählerischer Empathie – und macht daraus eine fesselnde Geschichte, die sowohl berührt als auch zum Nachdenken anregt.
Im Mittelpunkt des Romans stehen zwei Frauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und doch unzertrennlich sind: Helena, die Ärztin wurde und sich auf Palliativmedizin spezialisiert hat, und Marlene, eine lebensfrohe Wissenschaftsjournalistin. Seit dem Studium nennen sie sich das „doppelte Lenchen“ – ein Spitzname, der ihre enge Freundschaft liebevoll beschreibt. Als Marlene nach einer gescheiterten Ehe eine neue Liebe findet, scheint sich ihr Leben noch einmal neu zu öffnen. Doch dann wird bei ihr eine besonders aggressive Form von Brustkrebs diagnostiziert.
Mit großer Offenheit beschreibt Lou Bihl, was es bedeutet, wenn Krankheit plötzlich alle Pläne durchkreuzt. Marlene ist fest entschlossen, ihr Leben bis zum Ende auszukosten – aber auch, den Zeitpunkt des Abschieds selbst zu bestimmen. Ihre Zwillingsschwester musste einst die beschwerliche Reise in die Schweiz antreten, um dort mit Hilfe Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Für Marlene ist klar: Dieses Schicksal will sie sich ersparen. Sie bittet Helena, sie zu begleiten – als Ärztin, aber vor allem als Freundin.
Was folgt, ist ein innerer und äußerer Konflikt, der die Frage stellt, wie viel Autonomie ein Mensch am Lebensende haben darf – und welche Rolle das Recht dabei spielt. Der Roman berührt damit auch ein gesellschaftlich wie politisch sensibles Thema: die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe. Denn erst 2020 wurde der umstrittene § 217 StGB, der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellte, aufgehoben. Bihl nutzt diesen juristischen Wendepunkt als dramatischen Hintergrund für eine persönliche Erzählung, die über das Individuelle hinausweist.
Lou Bihl bringt in dieses Buch ihre langjährige Erfahrung als Radioonkologin und Palliativmedizinerin ein. Sie kennt die Ängste, Wünsche und Grenzen, mit denen Menschen in lebensbedrohlichen Situationen konfrontiert sind. Ihre Figuren wirken deshalb nie konstruiert, sondern lebenserfahren, glaubwürdig – und manchmal auch herrlich widersprüchlich. Die Beziehung zwischen Helena und Marlene wird mit viel Wärme und Tiefe geschildert, ohne ins Sentimentale abzudriften. Es sind gerade die feinen Zwischentöne und die ehrlichen Auseinandersetzungen, die diesen Roman auszeichnen.
„Nicht tot zu sein, ist noch kein Leben“ ist ein eindrucksvolles Buch über Lebensmut, Freundschaft und Würde. Es fragt, was am Ende wirklich zählt – und liefert keine einfachen Antworten, sondern eine Einladung zum Dialog. Für Leser, die sich für existenzielle Themen interessieren, aber auch für alle, die bewegende Literatur mit authentischem medizinischem Hintergrund schätzen, ist dieser Roman eine klare Empfehlung.