Filme des Grauens: «Mea Culpa»

Wenn selbst das schlechte Gewissen versagt.

In der Netflix-Welt, in der Algorithmen oft Geschmack und Qualität ersetzen, gibt es einen Namen, der regelmäßig für Gesprächsstoff sorgt: Tyler Perry. Mit «Mea Culpa», seinem 2024 erschienenen Legal-Thriller, setzt er seine Tradition fort, formelhaft inszenierte Dramen mit prominenter Besetzung und vielversprechender Prämisse in einen filmischen Autounfall zu verwandeln. Und doch: Netflix finanziert ihn weiter. Warum?

Kelly Rowland spielt die toughe, aber emotional angeschlagene Strafverteidigerin Mea Harper aus Chicago, die sich auf einen heiklen Fall einlässt: Sie soll den charmanten Künstler Zyair Malloy (Trevante Rhodes) vertreten, dem vorgeworfen wird, seine Freundin ermordet zu haben. Bald verstrickt sie sich nicht nur beruflich, sondern auch emotional mit ihrem Mandanten. Hinzu kommt familiärer Druck, politische Intrigen, toxische Beziehungen und ein Plot, der sich in Seifenoper und Erotikthriller gleichermaßen verliert. Perry mixt eine Story, in der niemand unschuldig ist – auch nicht das Publikum, das zwei Stunden lang durchhält.

Was auf dem Papier nach einem psychologisch dichten Krimi klingt, entwickelt sich in der Praxis zu einem Paradebeispiel überambitionierten Erzählens: Figuren handeln irrational, Dialoge sind gestelzt, und selbst für ein Genre, das emotionale Eskalationen erlaubt, wirkt der Plot überzogen und schlicht unglaubwürdig.

Dass Perry sein Drehbuch selbst geschrieben, inszeniert und produziert hat, ist kein Zufall – es ist sein Markenzeichen. In der Anfangszeit war Perry ein wichtiger Akteur für afroamerikanisches Kino, jemand, der Räume schuf, wo sonst kaum welche waren. Doch mit wachsender Kontrolle verlor er das Gespür für Qualität. Filme wie «A Fall from Grace» oder «Madea’s Family Funeral» wurden zu Meme-Vorlagen – und «Mea Culpa» reiht sich nahtlos ein. Perry produziert schnell und billig. Seine Filme entstehen oft in wenigen Wochen in seinen eigenen Studios in Atlanta. «Mea Culpa» wurde in gerade einmal drei Wochen abgedreht, was man dem Endprodukt ansieht: unvorteilhaft ausgeleuchtete Sets, sichtbare Continuity-Fehler, plumpe Kameraarbeit und plumpe Symbolik.

Netflix weiß, dass Perrys Filme, so schlecht sie auch sein mögen, Klickzahlen bringen. Perry hat ein treues Publikum, das seine Mischung aus Melodram, Erotik und christlicher Moralisierung zu schätzen weiß. Er spricht eine Zielgruppe an, die sich in der Streaminglandschaft oft unterrepräsentiert fühlt – insbesondere das schwarze, weibliche Publikum mittleren Alters. Selbst wenn Kritiken wie bei «Mea Culpa» vernichtend sind – 33 von100 bei Metacritic – bringt das keinen Ausschluss, sondern oft einen neuen Vertrag. Perrys Deal mit Netflix wurde mehrfach verlängert. Schlechte Qualität scheint für den Streamingdienst kein Hindernis zu sein, solange die Abrufzahlen stimmen.

Kelly Rowland, einst als Mitglied von Destiny’s Child gefeiert, versucht sich seit Jahren als Schauspielerin – mit gemischtem Erfolg. In «Mea Culpa» wirkt sie bemüht, aber fehlbesetzt: Als brillante Anwältin agiert sie zu naiv, als Femme fatale zu brav. Trevante Rhodes, der in «Moonlight» als verletzlicher Muskelprotz brillierte, bleibt hier blass. Seine Rolle reduziert sich auf stummes Posieren und leichtes Grunzen. Die Chemie zwischen den beiden ist nicht vorhanden – was bei einem erotisch aufgeladenen Thriller tödlich ist. Andere Beteiligte wie Nick Sagar oder Shannon Thornton kommen über Soap-Niveau kaum hinaus. Der Film wirft sie in absurde Konstellationen – inklusive bizarrer Sexclubs, gestellter Messerattacken und einem Finale auf der Autobahn, das eher wie ein Unfall auf RTLZWEI wirkt als wie ein Höhepunkt.

Die Frage drängt sich auf: Kann jemand wie Tyler Perry unendlich schlechten Content produzieren, ohne je zur Rechenschaft gezogen zu werden? Bisher: ja. Aber langfristig ist die Netflix-Strategie gefährlich. Wenn Nutzer das Vertrauen in die Qualität der Inhalte verlieren, kündigen sie – siehe Disney+ und HBO Max, die mit ähnlichen Problemen kämpfen. Ob «Mea Culpa» Konsequenzen hat? Für Perry vermutlich nicht. Aber für Schauspieler wie Kelly Rowland könnte es bedeuten, dass ihr nächstes Engagement noch härter zu bekommen ist. Schlechte Filme bleiben kleben – besonders in einer Branche, in der jede Entscheidung archiviert und bewertet wird.

«Mea Culpa» ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein übermächtiger Auteur ohne Kontrolle kreative Freiheit missbraucht. Der Film versucht, Spannung, Erotik und gesellschaftliche Kritik zu vereinen, endet aber als konfuses Melodram mit Anflügen von unfreiwilliger Komik. Dass Netflix solche Filme fördert, ist symptomatisch für eine Plattform, die lieber Masse als Klasse liefert.
17.05.2025 12:13 Uhr  •  Sebastian Schmitt Kurz-URL: qmde.de/160983