Ein Spielzeug aus «Toy Story» macht sich selbständig

Eine Hommage an das Science-Fiction-Kino von Regisseur Angus MacLane («Findet Dorie»), der auch am Drehbuch beteiligt war.

Als auf der Berlinale 1996 mit «Toy Story» der erste abendfüllende nur am Computer animierte Trickfilm vorgestellt wurde, konnte sich noch keiner vorstellen, dass handgezeichnete Trickfilme wenige Jahre später weitgehend der Vergangenheit angehören würden. Heute hat man sich längst an rein computeranimierte Filme gewöhnt und der Kinomarkt wird jedes Jahr von Neuem damit überschwemmt. Auch die «Toy Story» ging nach dem revolutionären Erfolg vor 26 Jahren weiter. Bis heute entstanden vier Kinofilme, eine Trickfilmserie und Unmengen von Spielwaren, die inzwischen wohl in jede Kinderstube gehören. Und die Geschichte ist noch längst nicht auserwählt. Buzz Lightyear, der kühne Plastikastronaut, der für Cowboy Woody im ersten Teil noch ein bedrohlicher Konkurrent war, bevor sie Freunde wurden, hat sich selbständig gemacht. In seinem ersten Solo-Kinofilm heißt es zu Beginn, dass er das Lieblingsspielzeug eines kleinen Jungen wurde, nachdem dieser diesen Film gesehen hat. Gemeint ist Andi, der ‚menschliche‘ Darsteller aus «Toy Story». Somit könnte man «Lightyear» als eine Art Prequel einsortieren. In Wirklichkeit steht der neue Film aber doch für sich allein.

Nur noch kurz die Welt retten
Mehr als vier Mio. Lichtjahre von der Erde entfernt erwacht Buzz Lightyear aus dem Kälteschlaf. Denn das Raumschiff hat ein Signal von einem fremden Planeten erhalten, auf dem es reichhaltige Ressourcen geben soll. Buzz und seine Kollegin Alisha müssen nach der Landung jedoch feststellen, dass es ein ziemlich ungemütlicher Himmelskörper mit gefräßigen Schlingpflanzen und riesigen Käfern ist. Sofort wieder weg! Doch dabei erleidet das Schiff eine Bruchlandung und die Energiequelle in Form eines Kristalls wird dabei zerstört. So bleibt nichts anderes übrig, als auch die anderen Besatzungsmitglieder aus Technikern und Wissenschaftlern aufzuwecken und nach einer Lösung zu suchen. Eine neue Energiequelle muss gefunden werden. Die Jahre vergehen und die Schiffsbrüchigen versuchen, sich mit den Umständen zu arrangieren und sich eine neue Heimat aufzubauen. Nur Buzz jagt weiterhin durchs All, um einen Weg zurück zur Erde zu finden. Während seine Missionen nur Stunden dauern, vergehen auf dem Planeten jedoch Jahre. Buzz‘ Freunde altern viel schneller als er. Als er wieder einmal zurückkehrt gehört seine Vorgesetzte und beste Freundin Alisha nicht mehr unter den Lebenden.

Ein komplexer Kinderfilm
Mit der Leichtigkeit und der Fröhlichkeit in Andis «Toy Story»-Kinderzimmer hat das freilich nicht mehr viel zu tun. Der Ton von «Lightyear» ist trotz humorvoller Einsprengsel und emotionaler Zwischentöne sehr viel ernster und komplexer. Schwer vorstellbar, dass sechsjährige Buzz-Lightyear-Fans noch nachvollziehen können, was hier handlungsmäßig abläuft. Da geht es um Reisen in andere Dimensionen, parallele Zeitlinien und paradoxe Zusammenhänge - kurzum kommt fast alles vor, woraus sich Science-Fiction-Filme nun schon seit Jahrzehnten nähren. Und je mehr die Story voranschreitet, desto weniger ‚Toy‘ kommt darin vor. Regisseur Angus MacLane («Findet Dorie»), der auch maßgeblich am Drehbuch mitschrieb, ist ganz offensichtlich selbst ein Fan des Science-Fiction-Genres und zitiert aus großen Vorbildern, was das Zeug hält.



Eine Hommage an das Science-Fiction-Kino
Schon die Ausgangssituation erinnert stark an den Beginn von «Alien», natürlich ohne Horror-Elemente, selbst wenn schlangenartige Schlingpflanzen und krabbelnde Käfer mit roten Augen für Kinder gruselig genug sein dürften. Aufmerksamen Erwachsenen dürften auch die Anspielungen auf Klassikern wie «2001: Odyssee im Weltraum», «Das schwarze Loch» oder «Star Trek» nicht entgehen. Als dann auch noch Zurg, Buzz‘ Erzfeind, der 1999 in «Toy Story 2» eingeführt wurde und damals für ein lustiges Zitat aus «Star Wars: Das Imperium schlägt zurück» herhalten musste, wird das in «Lightyear» tatsächlich weitergesponnen. Wir erfahren, was es mit dem «Toy Story 2»-Satz ‚Buzz, ich bin dein Vater’ auf sich hat. Wir verraten nichts, aber die Story ist schon sehr ausgeklügelt und anspruchsvoll. Vielleicht aber reichen ja die gefühlvollen Momente und amüsanten Stellen, etwa wenn ein Schinken-Sandwich ganz anders zusammengesetzt ist als man es kennt, um auch kleine Zuschauer bei Laune zu halten. Tricktechnisch ist «Lightyear» selbstverständlich wieder brillant umgesetzt, etwas anderes ist man von der mit Disney kooperierenden Animationsschmiede Pixar auch nicht gewohnt. Nur über eine Sache stolpert man dabei: Wenn Andi seinen Lieblingsfilm «Lightyear» Mitte der Neunzigerjahre gesehen hat, dann wäre es noch ein konventioneller Trickfilm gewesen. Nun gut, das fällt sowieso nur noch Nerds auf.

Fazit: In seinem ersten Solo-Film wirkt Buzz Lightyear so gar nicht mehr wie ein Kinderspielzeug. Er ist erwachsener geworden, agiert wie ein gebrochener Held in einem Animationsfilm mit etlichen Verweisen auf die Geschichte des Science-Fiction-Films. Was Fans dieses Genre als gelungen bezeichnen würden, könnte für Kinder jedoch eher schwieriger zu greifen sein.

«Lightyear» kann jederzeit bei Netflix gestreamt werden.

Dieser Artikel ist bereits in ähnlicher Form schon erschienen.
01.01.2024 00:01 Uhr  •  Markus Tschiedert Kurz-URL: qmde.de/147486