Talente werden verschwendet oder vergrämt, Strategien wirken nicht durchdacht. Rosemanns Weg zurück zu alter Stärke ist gepflastert von Misserfolgen und lässt das Ziel in weite Ferne rücken.
Heute vor zwei Jahren übernahem Daniel Rosemann zusätzlich zu seinen Aufgaben als Senderchef von ProSieben auch die Spitze des Schwestersenders Sat.1. Vollmundig gab er damals das Ziel aus: „Zum 40. Geburtstag möchte ich, dass ein neues Sat.1 mit alter Stärke strahlt.“ In siebeneinhalb Monaten ist es so weit und der Bällchensender, der einst in Ludwigshafen startete und mittlerweile in Unterföhring sitzt, feiert sein rundes Jubiläum. Von alter Stärke kann zwei Jahre nach Rosemanns Amtsantritt nicht die Rede sein. Im April holte man einen Monatsmarktanteil von nur 6,3 Prozent in der klassischen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen und sortierte sich damit hinter Das Erste, ZDF, RTL, ProSieben und VOX ein. Gegenüber April 2022 verlor man 0,2 Prozentpunkte. Seit dem Umzug von der Oberwallstraße in Berlin in die Unterföhringer Medienallee geht’s seit Jahren abwärts. Die Visitenkarten des Geschäftsführers bekommen neue Vor- und Nachnamen, die Probleme bleiben.
Stichwort Jörg Pilawa: Rosemann verpflichtete den Quizmaster vom NDR, lässt ihn aber weiterhin die gleiche Arbeit machen. Hier ein «Quiz für dich», da ein Quiz «Zurück in die Schule», erfolgreich war man damit nicht wirklich. Auch die Wiederauflage von «Stars in der Manege» konnte ihr Niveau nicht halten und mutierte zum Flop. Vollkommen ohne Wirkung blieb auch die Verpflichtung von Birgit Schrowange, die innerhalb weniger Wochen gleich drei Formate präsentierte. Den Auftakt bildete «Birgits starke Frauen», das sich zwei Wochen On Air hielt und nach 1,8 Prozent abgesägt wurde. Auch die Doku-Reihen «Unser Mallorca» und «Wir werden mehr» fanden kein Publikum. Rosemann möchte Sat.1 als Sender für die Frau ab 40 positionieren, doch weiß offensichtlich nicht, was die Frau ab 40 sehen möchte.
Im Münchener Umland vertraut man seinen Talenten ohnehin nicht, wie Jörg Draeger kürzlich öffentlich machte. Der «Geh aufs Ganze»-Moderator kritisierte energisch die Vorgehensweise des Senders, der darauf verzichtete nach dem eigentlich starken Comeback der Gameshow weitere Ausgaben schneller folgen zu lassen. Die Quoten der aufgeblähten Primetime-Shows gingen folglich den Bach hinunter, eine dritte Staffel liegt derzeit auf Eis. Rosemann versuchte lieber den Imagewandel voranzutreiben und kam Anfang 2022 auf die Idee ein zweistündiges Service-Magazin mit dem sperrigen Namen «Jetzt. Besser. Leben. Mit Sat.1» zu starten. Auch dieser Versuch hielt nur zwei Wochen um 20:15 Uhr durch. Leidtragender war «akte.», die auf den Donnerstag wechselte und fast ein halbes Jahr brauchte, um sich an den neuen Sendeplatz zu gewöhnen. Seit November wurde der einstige Magazin-Leuchtturm nicht mehr gesendet, im Juni will man zurückkehren. Warum es ausgerechnet in der aktuellen Zeit keine Magazin-Sendung im Programm braucht, lässt sich nicht logisch erklären, zumal die gesamte Newsabteilung seit Jahresbeginn in der Hand von ProSiebenSat.1 liegt. Dementsprechend unverständlich ist auch die Tatsache, dass sowohl «Focus TV Reportage» als auch «Spiegel TV Reportage» kommentarlos von der Bildfläche verschwunden sind.
Weg von der Primetime und hin zum wohl größten Sorgenkind von Sat.1: die Daytime. Im vergangenen Sommer gab Rosemann den Abschied von Scripted-Realitys ab 16:00 Uhr bekannt. Stattdessen sollte «Volles Haus! Sat.1 Live» die Probleme am Nachmittag lösen. Die Probleme wurden größer. Zwar lassen sich die Quoten einer dreistündigen Show nur bedingt mit einer halb- oder einstündigen Sendung vergleichen, doch die Werte in der halben Stunde ab 17:30 Uhr legen offen, wie gering das Interesse an der „Alles-in-einer-Show“ ist. Ironischerweise holte man erst diese Woche die Scripted Reality «Lenßen übernimmt» ins Programm zurück und zeigt ab 18:00 Uhr gleich vier Folgen am Stück. „Paradigmen-Wechsel“ ad acta gelegt. Der Vorlauf von «Volles Haus!» besteht ohnehin ausschließlich aus alten Sendungen dieses Genres. Auch die erste Stunde der Live-Show besteht derzeit aus einer ganzen Stunde eines Blaulicht-Formats, dessen Übergang von der ähnlich gelagerten Scripted-Reality «Klinik am Südring» geradezu verschleiert wird. «Britt – der Talk» ist derweil aus dem Programm gesägt worden, soll aber weiterhin Bestandteil von «Volles Haus!» bleiben. Die Nachmittagsshow bleibt damit von Woche zu Woche eine Wundertüte und muss sich wohl oder übel überraschen lassen, was gesendet wird. Gemessen an den Reichweiten entscheidet sich das Publikum eher gegen Sat.1 um 16:00 Uhr.
Es liest sich wie eine Bilanz des Schreckens, Erfolge werden seltener oder werden durch die Kommunikation von wenig aussagekräftigen Nettoreichweiten herbeigeredet. Seltsame Entscheidungen bei der Namensgebung einzelner Formate schwächen die Sendungen unnötig. Seit der Umbenennung von «The Biggest Loser» in «Leben leicht gemacht» sind die Werte zwar weiter gut, aber eben auch stark rückläufig. Rosemanns Ideen zünden nicht, Strategien wirken nicht langfristig angelegt. Statt am Samstag mehrere Kultserien wie «Unsere kleine Farm» und «Baywatch» über den Tag zu verteilen, wird Sat.1 zum FAST-Channel und der Zuschauer wird mit sinnfreien Marathon-Programmierungen zurückgelassen. Selbst durch etwaige Sparzwänge des ProSiebenSat.1-Konzerns lassen sich schlechte Programmentscheidungen nicht erklären. Der Weg zu alter Stärke ist unter Daniel Rosemann nicht gerade kürzer geworden. Angesichts der vergangenen zwei Jahre ist es mehr als fraglich, ob Rosemann das Ruder wird rumreißen können.