«German Crime Story: Gefesselt» Kritik – Der Zenit der Unbehaglichkeit

Überraschend lange hat es gedauert, bis auch im Land der Krimi-Fans das True Crime Format umgesetzt wurde, doch mit «Gefesselt» könnten die Macher sogleich über das Ziel hinausgeschossen sein.

Ein ehemaliger Kürschner entführt, quält und ermordet in den späten 80er und frühen 90er Jahren mehrere Frauen und bleibt trotz stümperhaften Verhaltens lange Zeit auf freiem Fuß. Warum sich die Macher von «Gefesselt» ausgerechnet für diesen Fall entschieden haben und nicht wie die internationalen Umsetzungen für deutlich prominentere Fälle (O. J. Simpson, Gianni Versace) ist durchaus fraglich, denn insbesondere die im Fokus stehende Figur Raik Doormann (Oliver Masucci) ist abseits seiner Verbrechen kein interessanter Charakter, ohne den Teils bösartigen Charme, der Verbrechern in anderen internationalen Formaten zuteilwird und insbesondere mit nicht gerade berauschendem Intellekt, besticht dieser lediglich durch antrainiertes Dummschwätzen, was mit etwas Gutwillen noch als Bauernschläue bezeichnet werden könnte. Für die Macher der Serie dürfte eher die ebenfalls auf einer realen Figur basierende Ermittlerin Nela Langenbeck (Angelina Häntsch) interessant gewesen sein, die hier im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen, Doormann relativ früh durchschaut und den aktuell allgegenwärtigen feministischen Zeitgeist abdeckt.

Abseits der zugrunde liegenden Geschichte muss sich «German Crime Story: Gefesselt» allerdings nicht vor der internationalen Konkurrenz verstecken. Inszenatorisch und schauspielerisch wurde die Serie hervorragend umgesetzt. Oliver Masucci spielt den schmierigen Kauz absolut überzeugend und auch der restliche Cast liefert nicht minder glaubhafte Performances ab. Die künstlerischen Stilmittel, beispielsweise der gelbliche Farbfilter, der stets für eine gewisse Retro-Optik und gleichermaßen Unbehaglichkeit sorgt, ist zwar nicht neu, aber erzielt das gewünschte Resultat.

Doch während die Serie handwerklich überzeugt, sind es Figuren und Geschichte, die nur schwerlich zum Dranbleiben animieren. Die unangenehme Witzfigur Raik Doormann kann gerade zu Beginn teilweise fast in den Bereich des Slapsticks eingeordnet werden, doch ist es die stets präsente Ungemütlichkeit und Widerwärtigkeit, die den Zuschauer hier von jedem Lächler abhält. Letztlich müsste durchaus ein gewisser Faible für sadistische Verbrechen gegeben sein, um hieraus einen Unterhaltungswert zu ziehen. Auch die Erzählstruktur, die mit Flashbacks in verschiedenen Zeitebenen hin und her springt, wirkt zunehmend anstrengend und hemmt jegliches Immersionsgefühl. Dass keinerlei Beziehung zu den verschiedenen Figuren, sowohl zu Täter als auch Opfern aufgebaut wird, sorgt zudem für eine gewisse Gleichgültigkeit. Wer beim Schauen überlegt, ob nicht auch der Wikipedia-Artikel über das tatsächliche Verbrechen, der in wenigen Minuten gelesen ist, ausreicht, dürfte hier gar nicht so verkehrt liegen.

«German Crime Story: Gefesselt» ist eine Serie, die inszenatorisch problemlos mit internationalen Formaten auf einer Ebene steht. Für die erzählte Geschichte vermag allerdings nie der Funke überzuspringen, die stetig präsente Unbehaglichkeit passt zwar zur Hauptfigur und deren Taten, erzeugt aber insgesamt genau das Gegenteil von Unterhaltung.

«German Crime Story: Gefesselt» ist seit dem 13. Jan. 2023 auf Amazon Prime Video abrufbar.
05.02.2023 10:35 Uhr  •  Marc Schneider Kurz-URL: qmde.de/140047