Die Kritiker: «Polizeiruf 110 - Am Abgrund»

Kommissar Adam Raczek steht am Abgrund. Kommt er jemals wieder mit sich ins Reine?

Stab

Darsteller: Lucas Gregorowicz, André Kaczmarczyk, Patrick Kalupa, Peter Moltzen, Steven Scharf, Annika Kuhl
Kamera: Felix Cramer
Musik: Stefan Schulzki
Drehbuch: Peter Dommaschk und Ralf Leuther
Regie: Stephan Rick
Kriminalhauptkommissar Adam Raczek (Lukas Gregorowicz) steht am Abgrund. Eigentlich kann er kaum noch stehen. Die schlaflosen Nächte setzen ihm zu, genauso wie die vielen Pillen, die er unentwegt schluckt, damit er wenigstens noch irgendwie arbeiten kann. Von der ersten Minute sehen wir: Dieser Mann hält nicht mehr lange durch. Gilt das auch für diesen «Polizeiruf 110», den er schon seit etlicher Zeit alleine stemmen muss?

Sein Kriminalkommissaranwärter Vincent Ross (André Kaczmarczyk) ist wenig optimistischer. Unentwegt redet er auf seinen Kollegen ein, sich Hilfe zu holen. Vergeblich. Raczek schaltet auf stur und glaubt, mit genug Arbeit werde es schon irgendwann wieder.

Genug zu tun, um der Realität zu entfliehen, hat er jedenfalls. Denn im brandenburgisch-polnischen Grenzgebiet wird mitten im Wald die Leiche einer jungen Frau gefunden. Sie wurde mit einer Plastiktüte erdrosselt, laut Obduktionsbericht muss der Täter dabei auf ihr gekniet haben, um sich ihre Todesqualen aus nächster Nähe anzusehen. Ein kranker Sadist. Doch wer ist zu einer so abscheulichen Tat imstande?

Im nahegelegenen Dorf wirkt alles unscheinbar. Die junge Frau war erst vor kurzer Zeit in der Gegend aufgeschlagen und sollte hier ein Bodengutachten zur Renaturierung des ehemaligen Kohleabbaugebiets erstellen. Je nachdem, wie dieses Gutachten ausgefallen wäre, hätte sie sich damit auch so einige Feinde machen können – unter anderem ihren Freund, der sich viel Geld von diesem Projekt versprechen konnte, wenn es denn umgesetzt würde.

Die zwielichtigen Gesichter treten erst nach und nach aus dem Schatten: ein Gasthausbetreiber zum Beispiel, der unter der Fuchtel seiner alten Mutter steht, oder ein Priester mit einer vielleicht etwas unappetitlichen Vergangenheit. Doch eine richtig spannende Atmosphäre will in diesem «Polizeiruf 110» leider nicht aufkommen, obwohl eigentlich viele dafür nötige Komponenten vorhanden wären: ein abgelegenes Dorf in der kalten Jahreszeit und ein von außen kommender Kommissar, der mit sich hadert und sich selbst infrage stellt. Doch daraus macht dieser Krimi leider nicht sonderlich viel, während ihm gleichzeitig keine wirklich neuen inszenatorischen Ideen einfallen, um die tausendfach gesehen Motive von jungen ermordeten Frauen neu in Szene zu setzen.

Bleibt die Frage: Wie sehr werden wir diesen Adam Raczek denn nun vermissen, wenn es das jetzt wirklich für ihn gewesen sein soll (er sieht, wie gesagt, wirklich sehr schlecht aus)? Die Antwort an dieser Stelle: wohl eher nicht besonders. Denn er ist nie eine Ermittlerfigur gewesen, die ihren Zuschauern im Gedächtnis blieb, und seine Fälle waren meist so gestrickt, dass man ihre Geschichte schon fünf Minuten nach dem Vorspann von Anne Will wieder vergessen hatte. Gut möglich, dass sich die meisten Zuschauer nächsten Sonntag fragen dürften, wer dieser Adam Raczek denn überhaupt war.

Der Film «Polizeiruf 110 – Am Abgrund» ist am Sonntag, den 11. Dezember um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
10.12.2022 11:20 Uhr  •  Oliver Alexander Kurz-URL: qmde.de/138803