Amazon Prime Video: Nur in wenigen Ländern ein Erfolg

In Deutschland hat man oftmals das Bild, dass der amerikanische Lieferdienst ein weltweit agierendes Unternehmen ist. Doch der Versandhandel und Prime Video ist auch im 27. Jahr mehr als überschaubar.

Im Juli 1995 eröffnete der Programmierer Jeff Bezos in der 150.000 Personen-Stadt Bellevue im US-Bundestaat Washington die Webseite Amazon. Zur selben Zeit kündigte Präsident Bill Clinton die Aufnahme der politischen Beziehungen mit dem Vietnam an, in Europa wird mit dem Bosnienkrieg der größte Völkermord auf europäischen Boden seit dem Zweiten Weltkrieg ausgeübt. «Waterworld» kommt ins Kino und Shaggys „Bombastic“ wird veröffentlicht.

Obwohl Amazon sich in den 27 Jahren als weltgrößtes Online-Versandkaufhaus etablierte, ist die globale Ausbreitung ziemlich überschaubar. Das Unternehmen, das auch einen Streamingdienst mit Prime Video anbietet, hat in diesem Jahr über 15 Milliarden US-Dollar in die Produktion von Fernsehserien gesteckt. Allerdings ist das Unternehmen nur in 21 verschiedenen Ländern aktiv. In Mittel- und Südamerika gibt es das Kaufhaus lediglich in Mexiko und Brasilien, in Afrika ist man seit September 2021 nur in Ägypten aktiv.

Seit fünf Jahren ist man immerhin in Australien vertreten, im asiatischen Raum hat man zumindest sieben Vertretungen. Unter anderem in der Türkei, seit Juni 2020 in Saudi-Arabien und selbst in Europa weißt man große Lücken auf. Norwegen und Finnland sind Amazon-frei, Portugal hat keinen Ableger und Irland wird auch nicht bedient. Die Schweizer müssen auf die deutsche, französische oder italienische Webseite ausweichen. Zumindest hat man Stationen in Polen eröffnet, doch Länder wie Tschechien, Kroatien und Bulgarien haben mit Amazon nichts zu tun. Einige Länder können kostenfrei bei der britischen Version bestellen.

2021 machte das Unternehmen einen Umsatz von 469,822 Milliarden US-Dollar, davon entfielen 33,36 Milliarden US-Dollar als Gewinn. Inzwischen arbeiten 1,6 Millionen Menschen für das Jeff-Bezos-Unternehmen. Das konnte allerdings noch durchaus größer und aktiver werden. Denn: Mit Serien wie «Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht» sowie die Akquisition des Filmstudios MGM hat das Unternehmen zwei Assets vorzuweisen, die sich auch ohne Verkaufsplattform sehr gut veräußern lässt.

Langfristig muss Amazon aber schauen, in welche Märkte sie noch expandieren wollen. Mit Hilfe von MGM wäre es möglich, dass Prime Video durch seine eigenen Serien und dem riesigen Fundus von MGM ähnlich schnell wie Netflix und Disney+ expandieren könnte. Zum großen Archiv von MGM Television gehören unter anderem Serien wie «Fargo», «Vikings» oder «The Handmaid’s Tale». Zu weiteren Klassikern gehört unter anderem die Zeichentrickserie «Tom and Jerry» und «Stargate SG1».

Darüber hinaus war MGM in den vergangenen Jahren nicht faul. Der Action-Film «Samaritan» entstand zusammen mit Amazon Studios, «Licorice Pizza» und «House of Gucci» machten zuletzt ebenfalls Schlagzeilen. Hinzu kommen legendäre Reihen wie «Rocky», «Poltergeist» oder solche Spielfilme wie «Rain Man» aus dem Jahr 1988. Das riesige Archiv ist so groß, dass Amazon mit seinem MGM-Studio ein attraktiver Streamingdienst in Südamerika, Teilen Asiens, Ozeaniens und Afrikas werden würde. Oder man verscherbelt in alter guter Warner Bros.-Manier einfach riesige Rechtepakete an Netflix oder Disney.

Zeitweise hat man dieses Unterfangen schon gestartet. In Ländern wie Indonesien, Thailand und den Philippinen können zwar schon Filme und Serien gestreamt, aber keine Filme ausgeliehen oder gekauft werden. Brasilianer und Inder können streamen, aber nur Filme leihen. Diese Wahlfreiheit, die man in Westeuropa, USA, Kanada, Japan und anderen Ländern wie Mexiko hat, dass man Filme leihen oder kaufen kann oder einfach Prime Video abonnieren, haben nur recht wenige Länder.

Es ist schon ein wenig fraglich, warum Amazon in seiner weltweiten Expansion so unterschiedlich agiert. Das Unternehmen hat keine genaue Wachstumsstrategie, es verhält sich in vielen Ländern sehr unterschiedlich. Disney+ hat es da schon leichter, denn immerhin gehören die Angebote des Streamingdienstes dem Unternehmen selbst. Mit dem Kauf von 20th Century Fox, Pixar, Marvel und Lucasfilm hat man neben den Micky-Maus-Klassikern mehrere starke Säulen im Portfolio. Der Mitbewerber Netflix hat in den vergangenen Jahren viel Geld in den Aufbau von eigenen Marken gesteckt und seinen Dienst ebenfalls stark ausgebreitet.

Jetzt stellt sich die Frage, warum Amazon trotz MGM im Hintergrund, keinen starken Vorstoß mit Prime Video unternimmt. Eigentlich könnte das Unternehmen von Jeff Bezos endlich zum Gegenschlag von Disney und Netflix ausholen. Aber kann es sein, dass man seinen Inhalten selbst noch nicht vertraut? Zwar hat man diese Woche MGM und MGM Television unterhalb der Amazon Studios angesiedelt, aber der genaue Aktionsplan steht auch neun Monate nach der Übernahme in den Sternen. Vermutlich ist Amazon in dieser Sache so wortkarg, weil die Verantwortlichen selbst noch keinen Plan haben.
01.12.2022 11:54 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/138574