Die Kritiker: «Das Licht in einem dunklen Haus»

Zwei Neuntklässler, eine wunderschöne junge Lehrerin und ein Sommer in den Neunzigern, den sie nie vergessen haben. Allerdings nicht ganz so, wie es zunächst aussieht, denn die Geschichte beginnt nicht in jenem Sommer 1995, sie beginnt in der Gegenwart, mit dem Tod einer Wachkomapatientin.

Stab

REGIE: Lars-Gunnar Lotz
DREHBUCH: Nils-Morten Osburg
SCHNITT: Stefan Stabenow
MUSIK: Matthias Weber, Vera Marie Weber
TON: Christoph Köpf
DARSTELLER: Henry Hübchen, Victoria Trauttmansdorff, Lucas Reiber, Corinna Kirchhoff, Paula Kroh, Katharina Heyer, Constantin von Jascheroff, Louis Guillaume, Mika Tritto
1995. Linus ist der Neue in Tobias' Klasse. Ein zurückhaltender Junge und damit ein ideales Mobbingopfer. Wie gut, dass es in einer solchen Notsituation den Jungen aus der Nachbarschaft gibt: Tobias. Der ist kein Heißsporn oder Lautsprecher. Aber Tobias kann Ungerechtigkeit nicht vertragen. Daher kommt er Linus in einem Moment der Not zu Hilfe. Fortan sind die beiden unzertrennlich und beste Freunde. Kann dieser Sommer noch besser werden? Oh ja, das kann er, denn eines Tages steht sie in ihrer Klasse: Olivia Rentlow, die Vertretung für ihre alte Musiklehrerin. Eine junge Frau, schön, sanftmütig in ihrem Auftreten und voller Begeisterung für die Musik. Tobias ist nicht nur hin und weg von dieser wunderschönen Frau: Sie gibt ihm und seiner Schwester auch noch privat Klavierunterricht und es ist keine Frage, dass Tobias bis über beide Ohren verliebt ist.

«Das Licht in einem dunklen Haus» basiert auf einem Roman von Jan Costin Wagner. 2020 hat Regisseur Lars-Gunnar Lotz bereits dessen Roman «Tage des letzten Schnees» für das ZDF inszeniert. Der bekam eine gute Presse, erzielte eine ordentliche Quote und so kehrt Henry Hübchen für «Das Licht in einem dunklen Haus» in die Rolle des zurückhaltenden, empathischen Kommissars Johannes Fischer zurück, der einen ungewöhnliche Mordfall zu klären hat. Eine unbekannte Frau ist in einem Hamburger Krankenhaus ermordet worden. Mysteriös an dem Fall sind mehrere Dinge. Zum einen ist die Identität der Frau unbekannt. In einem Straßengraben ist sie gefunden worden - mit einem Schädelhirntrauma. Allerdings deuten die Verletzungsspuren darauf hin, dass jemand auf sie eingeschlagen hat und sie keinesfalls von einem Auto angefahren worden ist. Zum anderen lag sie im Wachkoma ohne Hoffnung, aus diesem je wieder aufzuwachen. Allein die Maschinen hielten sie am Leben. Und dann sind da die Tränen ihres Mörders. Was für ein Mensch, der ohne eine Spur zu hinterlassen in ein Krankenhaus eindringt und einen Mord begeht, weint am Bett seines Opfers?

Schnitt zurück. Es ist 1995. Linus und Tobias erleben den Sommer ihres Lebens.

Ach ja, das alles ist so vorhersehbar. Zwei minderjährige Jungs, eine junge Lehrerin. Die Schwüle des Sommers. Hormone, die durch die Decke gehen und es geschieht etwas, das nicht geschehen darf. Eine Lehrerin, zwei Schutzbefohlene. Da nickt das dem Kriminalfilm affine Fernsehvolk und weiß genau, wohin diese Reise gehen wird. Um von Regisseur Lars-Gunnar Lotz so richtig gemein hinters Licht geführt zu werden. In seinen Rückblenden liefert der Regisseur all die Bilder, die eine Geschichte von der Stange erwarten lassen. In jedem Rückblick scheint die Sonne, die Freude des Lebens ist mit jedem einzelnen Sonnenstrahl zu fassen und immer wieder ist da Olivia. Schön. Andächtig. Ein Wesen aus einer anderen Welt. Lars-Gunnar Lotz inszeniert die Geschichte genau so, wie die Zuschauerschaft sie erwartet. Bis zu jenem Moment nach 20 Minuten Spielzeit, in der ein Charakter auftaucht, von dem wir nicht wissen, wer er ist. Offenbar ist er ein Computeranalyst, der gerade in Schwierigkeiten steckt und Probleme mit einem Kunden hat. Einem Kunden, es offenbar an Lust fehlt, mit ihm lange zu streiten und der ist stattdessen von der Dachterrasse eines Restaurants in die Tiefe schubst.

Was dieser Fall mit dem Sommer 1995 zu tun hat?

«Das Licht in einem dunklen Haus» ist ein Spielfilm, der sehr ruhig eine vermeintlich simple Geschichte im Verlauf seiner Spielzeit verschachtelt, um aus dieser Verschachtelung heraus seine wahre Geschichte zu erzählen. Das ist clever, das ist überraschend, das ist packend, auch wenn die Inszenierung dazu neigt, von Zeit zu Zeit etwas zu lange an einem Ort zu verbleiben. Vermutlich wäre die Story auch mit 80 Minuten Spielzeit ausgekommen. Immerhin aber schindet die Inszenierung keine Spielzeit durch den Aufbau von irgendwelchen Nebenhandlungen, die für die eigentliche Handlung keine Relevanz besitzen – ein Problem, das viele Filme der Reihe «Tatort» mitbringen. Nein, wenn etwas Spielzeit gestreckt werden muss, darf Henry Hübchen diese füllen. Dessen Kommissar Johannes Fischer ist eine fast schon irritierend ungewöhnliche Figur im deutschen Kriminalfilmgenre, denn Fischer – ist empathisch, er ist ein guter Zuhörer und ein Mensch ohne die großen Traumata, die seine Arbeit bestimmen und immer wieder auch unterlaufen. Hübchen überspielt die Längen der Inszenierung durch seine Präsenz souverän mit der Erfahrung aus über 50 Jahren Erfahrung vor der Kamera.

Die Regie selbst führt die unterschiedlichen Fälle derweil nach und nach zusammen und entwickelte ein Szenario, das so zu Beginn in dieser Form nicht vorhersehbar ist. Ja, der Sommer 1995 war ein Sommer, der alles verändert hat. Aber anders, als dies zu Beginn der Handlung suggeriert wird.

Fazit: «Das Licht in einem dunklen Haus» ist intelligentes Kriminalkino aus deutschen Landen, das spannend und tragisch zugleich seine Geschichte erzählt und dem seine Längen leicht zu verzeihen sind.

Am Montag, 28. November 2022, 2015 Uhr, ZDF
26.11.2022 11:35 Uhr  •  Christian Lukas Kurz-URL: qmde.de/138446