Collien Ulmen-Fernandes: ‚Mir ist wichtig in der Medienwelt breit aufgestellt zu sein‘

Die als einzige für den Deutschen Fernsehpreis nominierte Unterhaltungs-Moderatorin stellt eine gewisse Ungerechtigkeit in der Vergabe des Fernsehpreises fest. Im Quotenmeter-Interview spricht sie außerdem über ihre Leidenschaft für Make-over-Formate und erklärt, warum sie gerne in die Zukunft reisen würde.

Das Gespräch wurde vor der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises geführt.

Hallo Frau Ulmen-Fernandes, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zur Nominierung für den Deutschen Fernsehpreis! Wie haben Sie von der Nominierung erfahren?
Vielen Dank! Tatsächlich bekam ich zwei Benachrichtigungen per Mail, ich habe aber nur eine Mail wahrgenommen, weswegen ich zunächst von einer Nominierung ausgegangen war. Erst aus der Presse hatte ich erfahren, dass ich zweimal nominiert bin.

Welche Nominierung hatten Sie übersehen?
Ich hatte tatsächlich meine persönliche Nominierung für die „Beste Moderation“ übersehen und habe mich dann umso mehr gefreut.

«Stadt + Land = Liebe» lief „nur“ im SWR Fernsehen. Bekamen Sie eigentlich Feedback aus Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis?
Dadurch dass das Format vor der SWR-Ausstrahlung auf der Startseite der ARD Mediathek zu sehen und es auch in der ARD-Themenwoche „Stadt. Land. Wandel – Wo ist die Zukunft zu Hause?“ eingebunden war, habe ich viel Feedback bekommen. Zuvor gab es einiges an Crosspromo innerhalb der ARD und ich habe einige Interviews gegeben. Dennoch war ich überrascht über die Nominierung für den Fernsehpreis, auch da ich nicht mit dem Anspruch durchs Leben gehe, für einen Fernsehpreis nominiert zu werden. Ich bin grundsätzlich ein eher pessimistischer Mensch, weswegen ich immer überrascht bin, wenn mir Positives widerfährt.

ZDFneo und ZDF, ProSieben, SWR sowie demnächst auch HGTV und RTLZWEI. Ihre Arbeitgeber sind sehr vielfältig. Wie suchen Sie Ihre Projekte aus?
Was ich grundsätzlich wichtig finde, ist mit meiner Arbeit nicht in einer Schublade zu landen. Das möchte ich auch mit meiner Projektauswahl deutlich machen. Man soll mich jetzt nicht nur noch als jemanden begreifen, der sich mit wissenschaftlichen Studien befasst und ausschließlich Dokumentationen dreht. Ich komme aus der Unterhaltung und ich möchte auch weiterhin Unterhaltung machen.

Deswegen der Schritt zu Home & Garden TV?
Das Thema interessiert mich total. Ich habe in meinen Häusern und Wohnungen selbst immer viel saniert und umgestaltet. Es war schon immer mein Traum eine Sendung in dem Bereich zu moderieren. Das ist ein Thema, für das ich sehr brenne. Insofern kamen mir diese Anfragen von RTLZWEI und HGTV sehr gelegen. Ich schaue auch selbst sehr gerne die amerikanischen Sendungen von HGTV rauf und runter. Ich habe mir früher teilweise auch DVD-Boxen zu den Shows gekauft. Ich freue mich, dass ich meine Leidenschaft jetzt auch öffentlich ausleben darf.

Woher kommt Ihre Leidenschaft?
Wenn ich solche Formate schaue, habe ich immer sofort neue Umbau-Projekte im Kopf. Da ertappe ich mich nicht selten beim Gedanken: ‚Tolle Wand, ich reiße bei mir umgehend eine raus und baue das genau so nach‘. Ich führe auch ganze Ordner zu dem Thema und sammle darin Wandverkleidungen, Fließen und Waschbecken und so weiter und erstelle dann Konzepte für irgendwelche Räume. Beim Wohnung Verschönern gibt es doch immer etwas zu tun, da wird man nie ganz fertig. Und ich finde, umso schlimmer die Welt da draußen, in Zeiten von Energiekrise, Krieg und Pandemie, umso wichtiger werden doch die eigenen vier Wände.

Oft ist das doch aber auch eine Frage des Geldes.
Nicht unbedingt. Einmal habe ich einen Vorratsraum gesehen, in dem Zeitungspapier, das ja eh jeder bei sich rumliegen hat, mit Kleister an die Wand geklebt wurde. Das sah richtig toll aus. Vor allem muss man Ideen haben.

Zunächst steht aber die ZDFzeit-Dokumentation «laut.stark.gleich.berechtigt.» für das ZDF-Hauptprogramm an. Ist es ein Privileg oder eine Bürde einen Dreiteiler für die bekannte Doku-Marke zu machen, statt einer einzelnen Doku?
Im Rahmen der Social Factuals, die ich für ZDFneo machen durfte, habe ich gemerkt, dass man, wenn man Themen wie Frauenrechte und Gleichberechtigung anpackt, automatisch immer wieder in die Vergangenheit springt. Insofern ist es kongenial, das Thema nun einmal chronologisch durchzugehen und toll, dass man sich durch die drei Teile dabei auch den Raum und die Zeit nehmen kann, um zu analysieren, wie denn die Rolle der Frau in den 50er, 60ern oder 70ern war. Die Doku springt dabei immer wieder in die Gegenwart und vergleicht, wie die Situation heute ist.

Was hat Sie dabei verblüfft?
An meinem ersten Drehtag beispielsweise waren wir in einer Tanzschule. Da hieß es, dass früher die Männer die Frauen zum Tanz aufforderten. Mein Stiefsohn wiederum war zu diesem Zeitpunkt gerade selbst in der Tanzschule und hat erzählt, dass sich daran nichts verändert hat. Frauen oder in diesem Fall Mädchen dürfen selbst nicht wählen, und das Schlimme: Die Mädchen dürfen eine Aufforderung zum Tanz nicht ablehnen. Das finde ich unfassbar, was man jungen Mädchen damit im Jahr 2022 beibringt.

Ein provokante Frage: Wie zufrieden sind Sie derzeit mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft? Fühlen Sie sich immer zu 100 Prozent gleichberechtigt?
Definitiv nein! Ich war kürzlich im Krankenhaus und wurde von mehreren besorgten Ärzten gefragt, ob mein Kind denn umsorgt sei, wenn seine Mama im Hospital sei. Das habe ich beim ersten Arzt noch hingenommen, doch als dann der fünfte Arzt fragte, war ich dann doch etwas irritiert, weil ich das bei einem Mann noch nicht erlebt habe. Das ist auch im historischen Kontext spannend. Die Fußballerin Bärbel Wohlleben (ehemalige deutsche Fußballspielerin und erste Frau, die das „Tor des Monats“ bei der «Sportschau» schoss, Anmerkung der Redaktion), wurde nach einem Spiel gefragt, wer denn zuhause koche, wenn sie gerade Fußball spiele. Das ist völlig absurd! Solche Dinge, die man eigentlich weit in der Vergangenheit verorten würde, finden heute immer noch statt. Die Zuständigkeit für Kind und Haushalt, wird eben nach wie vor ganz klar bei der Frau gesehen.

Sie hatten bereits die jüngere Generation angesprochen. Findet trotz alledem ein Umdenken statt, dass die Verkrustungen der patriarchalen Welt allmählich aufgebrochen werden?
Leider nein. Eher im Gegenteil. Das konnte man bereits in unserer ZDFneo-Doku «No more Boys and Girls» vor vier Jahren sehen. Darin haben Kinder einen Fragebogen ausgefüllt und 100 Prozent kreuzten an, dass das Geld Verdienen Männersache und Kinder Erziehen Frauensache sei. Auch im Spielwarenhandel werden die traditionellen Geschlechterrollen manifestiert. In der Mädchenabteilung entdeckte ich ein riesiges Regal „Cook and Clean“ mit Kinderbügeleisen und Baby-Puppen, die gefüttert werden müssen. Das Regal findet man in der Jungen-Abteilung nicht. Kinder bekommen dadurch ein Rollenbild der 50er-Jahre vermittelt. Ein weiteres Problem, auch wenn das hart klingt, sind Influencerinnen, weil tatsächlich ein Großteil der weiblichen Influencerinnen sich mit stereotypischen Themen beschäftigt. Es wird viel geschminkt und es geht viel um Mode. Influencerinnen, die sich mit politischen oder wissenschaftlichen Themen auseinandersetzen sind dagegen eine absolute Seltenheit. Bis auf Mai-Thi Nguyen-Kim und Jasmina Neudecker, mit der ich für «laut.stark.gleich.berechtigt.» drehte, fällt mir kaum jemand ein. Frauen zeigen sich hauptsächlich im Privaten und geben Haushalts- oder Erziehungstipps, sogenannte Momfluencer gibt es viele. Dadfluencer bleiben dagegen eher die Ausnahme, nichtsdestotrotz habe ich für die Doku-Reiheeinen finden können und habe einen Tag mit ihm verbracht. All das, die Sozialen Netzwerke und das Gendermarketing sorgen derzeit also eher für einen Backlash.

Sie arbeiten in der Doku-Reihe auch die Unterschiede zwischen BRD und DDR heraus. In der DDR haben meist beide Elternteile gearbeitet.
Ja, das stimmt. Warum nicht immer so? Ich habe für die Doku mit Franzi Kühne gedreht, die eine Vorständin in Teilzeit ist, was ich als ein sehr interessantes Zukunftsmodell erachte. Sie teilt sich ihren Posten mit einem Mann, beide sind sozusagen „halbe“ Vorstände. Beide ergänzen sich in ihren Fähigkeiten, was natürlich auch Vorteile für den Arbeitgeber mit sich bringt, weil man auf einem Posten zwei Menschen mit unterschiedlichen Herangehensweisen hat. So lässt sich Karriere gut mit Familie vereinbaren, und zwar für alle Geschlechter.

In welcher Zeit hätten Sie gerne gelebt? Wären Sie gerne Teil der Frauenbewegung gewesen, um selbst ein passendes Rollenbild zu kreieren?
Ich würde viel lieber ins Jahr 2154 reisen.

Wie kommen Sie auf dieses Jahr?
Experten und Expertinnen haben ausgerechnet, dass wir wenn wir in diesem Tempo weitermachen in circa 132 Jahren in einer gleichberechtigten Gesellschaft leben werden. Das würde ich gerne erleben und sehen wollen, wie es in dieser gleichberechtigten Welt zugeht.

Um noch einmal auf den Fernsehpreis zurückzukommen: Ihre Kategorie ‚Beste Moderation‘ ist etwas ungleich verteilt mit zwei Männern (Giovanni Zarella und Sebastian Pufpaff). Befürworten Sie dieses geschlechterlose Modell oder hätten Sie lieber eine größere Repräsentation der Frauen in dieser Kategorie?
Ich finde es gut, dass man nicht nach Geschlecht trennt, sondern „moderierende Menschen“ ehrt. Da keine weitere Frau nominiert ist, hab ich ja bei den Frauen quasi eh schon gewonnen. (lacht)

Würden Sie auch die Schauspielkategorien in „Beste Hauptrolle“ und „Beste Nebenrolle“ unterscheiden, statt Schauspieler und Schauspielerinnen zu unterscheiden?
Da hab ich noch gar nicht drüber nachgedacht. Es ist tatsächlich komisch, dass es dort anders gehandhabt wird. Ich denke man sollte eher unterschiedliche Schauspiel-Kategorien schaffen, da man eine Comedy-Rolle nur bedingt mit einer Drama-Rolle vergleichen kann. Dem liegt eine komplett andere Herangehensweise zugrunde. Man sollte eher nach Inhalt bewerten. Das richtige Timing ist in der Comedy beispielsweise sehr viel wichtiger als im Drama. Die Bewertung sollte daher eher unter dem Gesichtspunkt der Aufgabenstellung erfolgen, statt nach Geschlecht aufgeteilt zu sein.

Ähnliches lässt sich auch in Ihrer Kategorie feststellen.
Ja, das stimmt. Ich mache hauptsächlich Dokumentationen, Herr Pufpaff reißt Witze und Herr Zarella musiziert beim Moderieren, das ist ja eigentlich nicht ansatzweise zu vergleichen. Insofern könnte es generell eine gute Idee sein, nach Inhalt aufzuteilen.

«Die Alm» wurde von ProSieben in diesem Jahr nicht fortgesetzt. Wurden Sie eigentlich für andere Formate des Senders wie beispielsweise das Joyn-Format «Love is King» angefragt?
Um ehrlich zu sein, weiß ich das gar nicht genau. Meistens merke ich beim Überfliegen recht schnell, ob ein Format zu mir passt. Und wenn nicht, beschäftigte ich mich dann meist auch gar nicht weiter damit. Es gab allerdings schon das ein oder andere Joyn-Format, das mir angeboten wurde.

Das heißt, sie wollten gar nicht mehr für ProSieben respektive Joyn arbeiten?
Doch doch, das würde ich so kategorisch gar nicht ausschließen. Ich habe «Die Alm» ja auch deshalb moderiert, weil ich damit zeigen möchte, dass ich nicht monothematisch und für viele Themen und Genres offen bin. Es ist mir wichtig in der Medienwelt breit aufgestellt zu sein, und nicht nur in eine Kategorie gesteckt zu werden. Mit ProSieben und Joyn arbeite ich auch weiterhin zusammen, zuletzt haben wir eine neue «jerks.»-Staffel gedreht. Die Absage an die anderen Joyn-Formate war also keine grundsätzliche Absage an ProSieben/Joyn.

Frau Ulmen-Fernandes, vielen Dank für das Gespräch!

Die dreiteilige ZDFzeit-Doku «laut.stark.gleich.berechtigt.» ist ab heute Abend immer dienstags um 20:15 Uhr im ZDF zu sehen.
27.09.2022 11:00 Uhr  •  Veit-Luca Roth Kurz-URL: qmde.de/137133