Die Kritiker: «Sans Répit – Ruhelos»

Leutnant Thomas Blin hat einen wirklich miesen Tag. Ausgerechnet auf dem Weg zur Leichenhalle, in der seine Mutter aufgebahrt liegt, überfährt er einen Mann. Die Innenrevision hat es derweil auf ihn abgesehen, weil er nicht unbedingt der ehrlichste Polizist Frankreichs ist. Kann dieser Tag noch schlimmer werden? Auf jeden Fall!

Stab

REGIE: Régis Blondeau
DREHBUCH: Régis Blondeau, Julien Colombani nach einer Idee von Kim Seong-hun
DARSTELLER: Franck Gastambide, Simon Abkarian, Michaë Abiteboul, Tracy Gotoas, Jemina West, Serge Hazanavicius
PRODUZENTEN: Julien Colombani, Thomas Bruxelle
KAMERA: Danny Elsen
SCHNITT: Baxter
MUSIC: Paul-Marie Barbier, Julien Grunberg
Frankreich 2021
Interntationaler Titel: Restless
Französicher Originaltitel: Sans Répit

Irgendwie hängt alles mit allem zusammen. Thomas sitzt im Auto und ist abgelenkt, weil ihn ein Kollege anruft, um ihm vom Besuch der Innenrevision zu berichten. Ein Kollege, der gerade Thomas' gesamtes Erspartes ins Klo geschüttet hat. Was nicht metaphorisch zu verstehen ist. All das Geld, das Thomas in den letzten Jahren erhielt, dass er es mit der verbeamteten Aufrichtigkeit nicht immer ganz so ernst genommen hat, landet im Abflussrohr seines Präsidiums. Wie gut, wenn man nicht der einzige korrupte Polizist ist und die Kollegen gerne helfen! Der Verlust des Geldes aber ist Thomas' geringstes Problem. Thomas hat schließlich gerade einen Mann überfahren und dieser Mann ist ziemlich tot. Zum Glück ist die Straße, auf der es passiert ist, kaum befahren. Was Thomas etwas Zeit verschafft. Kurzerhand verfrachtet er die Leiche in den Kofferraum seines Wagens und begibt sich auf den Weg in die Leichenhalle des städtischen Krankenhauses, in dem seine Mutter für ihren letzten Gang vorbereitet worden ist. Sie liegt aufgebahrt in ihrem Sarg, der groß genug ist, eine zweite Person aufzunehmen. Thomas muss also nur einen Weg finden, mit seiner Mutter lange genug alleine zu sein, um die Leiche des Mannes in ihrem Sarg verstauen zu können. Gut, irgendwie muss er dessen Leiche auch ungesehen in die Leichenhalle schaffen, aber wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.

Wem diese Handlung nicht ganz unbekannt vorkommt, irrt nicht. Der französische Netflix-Thriller ist ein Remake des südkoreanischen Spielfilmes «A Hard Day», der 2014 ordentlich die Kassen klingeln ließ und mit diversen Preisen in Südostasien ausgezeichnet worden ist. Obwohl auch international ein Hit, ist er in Deutschland erst im Jahr 2021 auf DVD erschienen.



Es ist nicht ganz einfach, die beiden Filme direkt miteinander vergleichen zu wollen. Sie mögen die gleiche Geschichte erzählen, aber sie sind doch sehr unterschiedlich in ihrer Umsetzung. «A Hard Day» ist ein sehr koreanisch, was bedeutet, dass Ko, die Hauptfigur des südkoreanischen Originals, zunähst leiden muss. Für sein Verhalten bekommt er die volle Breitseite an Qualen und Schmerzen verpasst, er ist ein Getriebener, der für seine Verfehlungen erst einmal büßen muss, bevor ihm die Geschichte so etwas wie Vergebung zugesteht. Darüber hinaus neigt das südkoreanische Kino dazu, Emotionen auf der Leinwand viel intensiver darzustellen als etwa das französische Kino. Wozu gibt es Emotionen, wenn man sie nicht auslebt? Wut, Hass, Panik, Verzweiflung: «A Hard Day» lässt all diesen Emotionen ihren freien Lauf. Ko erlebt den Albtraum seines Lebens und wir, die Zuschauer, sind auf diesem Run live dabei. Sicher ist «A Hard Day» dem Thrillergenre zuzuordnen, immer wieder aber überschreitet der Film die Grenze zur Groteske beziehungsweise Komödie, aber auch Lakonie ist ihm nicht fremd. Vor allem aber gelingt es er Inszenierung, diesen Mix über die gesamte Spielzeit am Kochen zu halten. Im Gegensatz zu seinem französischen Remake.

«Sans Répit - Ruhelos» ist im Vergleich simpler gestrickt und bewegt sich in den Gewässern moderne französischer Actionthriller. Daher kann es sich Regisseur Régis Blondeau erlauben, direkt in die Geschichte einzusteigen, ohne sich die Mühe geben zu müssen, originäre Figur zu erschaffen. Thomas und seine Kollegen sind typische französische Filmbullen, Typen, die es mit den Buchstaben des Gesetzes nicht immer ganz genau nehmen, die in einer harten Welt ihre Jobs erledigen und sich eben irgendwann gesagt haben, dass es ungerecht ist, dass nur die bösen Jungs an dieser Welt verdienen sollen. Sie sind keine großen Fische. Aber sie sind eben auch keine Musterpolizisten.

Es verwundert daher nicht, dass Thomas nach dem Unfall gar nicht erst versucht, die Verantwortung für diesen Unfall zu übernehmen. Dass nun aber ausgerechnet der Tod seiner Mutter eine Chance für ihn darstellt, irgendwie mit heiler Haut aus der Geschichte herauszukommen... Das ist schon makaber.

Das erste Kapitel des Filmes ist grandios, richtet die Story ihren Fokus doch ganz auf Thomas. Kaum eine Szene kommt ohne ihn aus. Nach dem Unfall muss Thomas cool bleiben. Franck Gastambide stellt diesen Thomas dar. Gastambide, der auch als Autor und Regisseur tätig ist und in der Kombination Darsteller/Regisseur/Autor den unsäglichen «Taxi 5» verbrochen hat, agiert nicht einfach souverän: Es gelingt ihm sogar, Sympathien für sich zu gewinnen. Was schon irritiert, schließlich hat er gerade einen Mann überfahren und korrupt ist er auch noch. Doch Franck Gastambide lässt in jedem Moment die Panik erkennen, die in Thomas brodelt. Dass wiederum lässt ihn menschlich erscheinen (er muss jetzt ganz cool agieren, was nicht bedeutet, dass er cool ist). Und das macht es tatsächlich möglich, mit ihm zu fiebern. Dass sein Plan im Grunde genommen vollkommen absurd ist, lässt wiederum die Spannung steigen. Thomas muss so einige Hürden umschiffen, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Wie er das macht, wie es funktioniert, wie seine Chuzpe belohnt wird, das ist grandios in Szene gesetzt. Die Bildgestaltung und das Schauspiel von Franck Gastambide ergeben eine perfekte Einheit und lassen dieses erste Kapitel rocken.



Danach aber bricht die Inszenierung ziemlich in sich zusammen. Es ist nicht so, dass «Sans Répit - Ruhelos» im weiteren Verlauf der Handlung ein schlechter Film würde. «Sans Répit - Ruhelos» ist recht kurzweilig in Szene gesetzt und langweilt nicht, womit er das wichtigste Gesetz des Spannungsfilmes berücksichtigt und umsetzt. Jedoch gelingt es Regisseur Régis Blondeau nicht mehr, die Atmosphäre zwischen Wahnsinn und Spannung aufrechtzuerhalten, die das erste Kapitel so beeindruckend trägt. «Sans Répit – Ruhelos» wird zum Thriller um einen Polizisten, der sich fortan mit einem Zeugen herumärgern muss, der in seiner Skrupellosigkeit Thomas wie einen Anfänger des Verbrechens erscheinen lässt und der seinerseits Gründe dafür hat, warum er Thomas nicht einfach an die interne Ermittlung ausliefert. Das ist, wie bereits geschrieben, spannend, aber es ist auch nur Regalware. Während im ersten Kapitel Groteske und Kriminalhandlung einander die Hand reichen und kaum eine Absurdität zu abstrus ist, um sie nicht umzusetzen, entwickelt sich [Sans Répit – Ruhelos]] im weiteren Verlauf zu einem normalen Thriller, in dem schon bald die Identität des Zeugen und dessen Beweggründe offenbart werden, sodass ein Katz- und Mausspiel entsteht, in dem beide Parteien versuchen das zu bekommen, was sie wollen. Das ist solide Unterhaltungsware für einen angenehmen Netflix-Abend. Mit Blick auf den starken Beginn aber wäre deutlich mehr drin gewesen.

«Sans Répit – Ruhelos» ist bei Netflix verfügbar.
11.07.2022 11:29 Uhr  •  Christian Lukas Kurz-URL: qmde.de/135394