Gwendolin Szyskowitz-Schwingel: ‚Kooperationen: Eine Win-Win-Situation für alle‘

Seit einem Jahr besteht die neue Abteilung UFA Documentary. Quotenmeter sprach mit Szyskowitz-Schwingel über die Entwicklung, die männliche Synchronisierung und das Bertelsmann Content Alliance.

Sie leiten seit rund einem Jahr die neue UFA-Sparte UFA Documentary. Wie hat sich Ihre Abteilung in den vergangenen zwölf Monaten entwickelt?
Rasant – was nicht nur an meinem Partner Marc Lepetit liegt, an unserem tollen Team und an den mannigfaltigen Geschichten, die innerhalb des Bertelsmann Universums und darüber hinaus auf Verfilmungen warten. Es liegt vor allem an dieser Welt – und wie sie sich entwickelt. Zum Guten, aber auch zum Schlechten. Dokumentarfilme helfen, Hintergründe zu verstehen. Darum brauchen wir sie mehr denn je.

Zuletzt hat sich die RTL Group auf den deutschsprachigen Raum verkleinert und zahlreiche Beteiligungen verkauft. Sind Sie als Teil der RTL Group, auf den hiesigen Markt spezialisiert?
Wir erzählen aus dem deutschsprachigen Raum, aber auch immer wieder für ein internationales Publikum.

Wird es zeitnah auch Produktionen geben, die für den internationalen Markt realisiert werden?
Auf jeden Fall. Nur wer globale Themen durchdringen kann, hat in Tagen wie diesen messbaren Erfolg.

Gruner+Jahr und RTL fusionierten, Ihre Abteilung ist Teil der Bertelsmann-Gruppe, der wiederrum Penguin Random House angeschlossen ist. Tauschen Sie sich mit der Verlagseinheit über Zusammenarbeiten aus?
Ja, ganz regelmäßig. Für die Stärkung von Zusammenarbeiten und Kooperationen der Inhalte-Geschäfte von Bertelsmann wurde daher 2019 auch die Bertelsmann Content Alliance ins Leben gerufen. Die Sachbuchrecherchen der schreibenden Kolleg:innen sind umfassender und langfristiger, als wir aus der Bewegtbildabteilung mit unseren überschaubareren Budgets leisten können. Da liegt es nahe, zu kooperieren. Wir verfilmen die fundiert ausgearbeiteten Geschichten – und verhelfen ihnen so zu mehr Popularität. Eine Win-Win-Situation für alle.

Kümmert sich Ihre Abteilung eigentlich auch um die Audio-Deskription und Untertitel, um die Formate barrierefrei zu gestalten?
Wenn die Verträge mit unseren Auftraggebern dies vorsehen, natürlich.

Die UFA möchte Diversität leben, doch viele Dokumentationen werden von vielen weißen Männern vertont. Werden künftig mehr Frauen, POC oder gar asiatische Mitbürger zum Zug kommen?
Wir haben mit «A Women´s Story» gerade eine Dokumentation veröffentlicht, in der nur Frauen zu Wort kommen. Im Zuge dessen habe ich das erste Mal Diskussionen um das Vorkommen von „Quoten-Männern“ geführt. Durchaus ein spannender Perspektivwechsel! Für mich ist die Haltung diesbezüglich, aber klar: die Geschichte gibt vor, welche handelnden Personen zu Wort kommen. Unser Auftrag ist es, die Gesellschaft so abzubilden, wie sie ist – und mit unserer Programmauswahl dafür zu sorgen, dass ein vorherrschendes Ungleichgewicht verschwindet.

Seit 8. März ist «A Women’s Story» bei RTL+ verfügbar. Dort lassen sie starke Frauen zu Wort kommen. Welche Geschichte hat Sie am meisten begeistert?
Die Klarheit von Janina Kugel. Eine halbe Stunde mit ihr – und man fühlt sich als Frau doppelt so stark.

Bereits vor einiger Zeit starteten Sie mehre Dokumentationen wie «Sturmfahrt». Können Sie ein paar Zahlen nennen, wie die Produktion bei RTL+ ankam?
Leider nein, die Zahlen der Streaming-Angebote sind generell ein gut gehütetes Geheimnis.

Im November haben Sie die Themenwoche #VOXforWomen ausgestrahlt. Wie war die Resonanz bei dem Multichannel-Event?
Wir kannten fast jede:n Zuschauer:in persönlich (lacht).Wir sind stolz darauf, dass wir etwas gemacht haben, was sich davor noch keiner getraut hat. Nur bitterliche acht Prozent aller Zuschauer:innen wissen, was „Female Empowerment“ überhaupt bedeutet! Das hat eine Marktforschung im Nachhinein ergeben. Aber wir lassen uns dadurch nicht entmutigen. Das zeigt doch nur umso deutlicher, wie viel Nachholbedarf es gibt.

Welches Thema würden Sie gerne mal dokumentarisch verfilmen? Vor einiger Zeit weigerte sich beispielsweise eine AfD-Abgeordnete, die Trans*-Person Tessa Ganserer als solche zu bezeichnen. Wäre das nicht ein Thema für Sie?
Das könnte in der Tat ein Thema sein. Daneben gibt es zirka eine Million Themen, die ich gerne verfilmen würde. Aktuell schaue ich mir möglichst viele Hintergrundberichte zum Thema Ukraine und Russland an. Wie konnte es so weit kommen? Zusammenhänge zu verstehen und zu lernen, sich in die anderen hineinzuversetzen, ist die größte Aufgabe aktuell. Eins jedoch habe ich für mich schon festgesellt: Eine der stärksten Motivationen des Menschen scheint nach wie vor das Ringen um Anerkennung zu sein.

Welche Dokumentationen werden in den kommenden Wochen und Monaten das Licht der Welt erblicken?
Wir arbeiten an einer Reihe über das wilde Partyleben der 90-er Jahre. Es macht richtig Spaß, in die eigene Jugend einzutauchen. Was für ein Segen, dass wir das erleben durften und dürfen.

Sie haben ja gerade auch die Zusammenarbeit mit Dr. Sheila de Liz und Friedemann Karig verkündet. Welche Pläne gibt es?
Mit Sheila de Liz machen wir etwas über Tennis. Nein, Spaß, da wird das Thema die weibliche Sexualität – vom Teenager – bis ins hohe Alter sein. Aber sehr anders erzählt als bisher. Nicht zwangsläufig nackt und nicht wissenschaftlich. Sondern humorvoll, prominent – und in der Mitte der Gesellschaft. Unverschämt eben. Und mit Friedemann Karig gehen wir die gesellschaftlich relevanten Themen an. Wir werden Experimente wagen, erfolgreiche Genres aus USA adaptieren und – hoffentlich – dadurch etwas bewegen, verändern, zum Umdenken anregen. Sehr viele Menschen haben gerade in sehr kurzer Zeit sehr viel begriffen. Wir sind aufgewacht. Das tut weh, aber es ist an der Zeit gewesen. Krieg macht ehrlich. Und da setzen wir an.

Das klingt spannend! Danke.
19.04.2022 11:45 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/133712