Markus Tschiedert wirft einen ausführlichen Blick auf die Produktion der ehemaligen FOX Studios. Unter anderem sorgte Armie Hammer für eine Verschiebung.
Wer ist schuldig? Diese Frage stellt sich in jeder Agatha-Christie-Verfilmung - so auch in der Neuauflage von «Tod auf dem Nil», in der Kenneth Branagh (61) als Detektiv Hercule Poirot auf einer Schiffsfahrt über den Nil mit dem Mord an der reichen Mrs. Doyle (Gal Gadot) konfrontiert wird und unter den Verdächtigen den Schuldigen aussieben muss.
Ein neuer Starttermin für 2021 wäre folgerichtig gewesen, doch dann der nächste Hammer: Armie Hammer (35), der im Film den Ehemann der Ermordeten spielt, geriet im Januar in die Schlagzeilen. Ex-Geliebte klagten, er würde auf gewalttätigen und missbräuchlichen Sex stehen und hätte dabei auch noch eine Neigung zum Kannibalismus zu erkennen gegeben. Zuerst dementierte der Star aus «Call Me by Your Name» alle Vorwürfe, um sich kurz danach für neun Monate in einer Klinik wiederzufinden. Das Ende einer Karriere. Nur was sollte mit «Tod auf dem Nil» passieren, einem 90-Mio.-Dollar-Projekt von Disney? Mit einer solchen Geschichte in Verbindung gebracht zu werden, passte so gar nicht zum Family-Image des Micky-Maus-Konzerns.
Denn Branagh hält sich wie schon bei «Mord im Orient Express» an Agatha Christies Originalvorlage und schiebt den Mord nicht etwa einen anderen in die Schuhe. Das ist vielleicht generell der Haken, wenn man sich eine neue Verfilmung nach einem Roman der großen britischen Krimi-Autorin ansehen möchte und schon weiß, wie alles ausgeht. So gesehen ist auch Branaghs «Tod auf dem Nil» nur ein halbes Vergnügen, wenn man die Auflösung schon kennt. Da bleibt nur, wie stilsicher er die Mordgeschichte 24 Jahre nach der Erstverfilmung umgesetzt hat. Das gestylte Dreißigerjahre-Luxus-Setting kann sich sicherlich sehen lassen, und die Darsteller sehen in ihren feinen Garderoben picobello aus. Und doch zieht Branagh damit im Vergleich zur Kinoversion von 1978 den Kürzeren. Denn der alte Film wirkt dann doch so viel authentischer, nicht zuletzt, weil damals noch an Originalschauplätzen gedreht wurde, und zwar mit richtig großen Stars jener Zeit von Bette Davis über David Niven bis zu Mia Farrow und natürlich Peter Ustinov. Diesmal ist allein Kenneth Branagh der große Star, während Gal Gadot («Wonder Woman»), Russell Brand («Rock of Ages»), Annette Bening («American Beauty») und auch Armie Hammer eher zur zweiten Liga gehören. Da hatte Branagh bei «Mord im Orient Express» mit Namen wie Johnny Depp (inzwischen aber auch mehrfach in die Schlagzeilen geraten), Penélope Cruz und Judy Dench gewiss ein besseres Händchen bewiesen.
Agatha Christie (1890-1976) war eine Vielschreiberin, ihrem Lieblingsromanhelden widmete sie sich bis zu ihrem Tod in 33 Geschichten, im Vergleich dazu bringt es Miss Marple, die in den Sechzigern viermal so wunderbar kauzig von Margaret Rutherford (1892-1972) gespielt wurde, nur auf zwölf Buchauftritte. Zwar bekamen sowohl Marple als auch Poirot ihren eigenen TV-Serien, aber das Kino bleibt für Kriminalisten dieses Kalibers natürlich die Königsklasse - besonders wenn es dazu noch an exotische Schauplätze wie an den Nil oder in den Orient in vergangenen Zeiten geht. Dennoch wurde Christies «Ten Little Indians» über eine in einem großen Haus isolierte Gruppe von Gästen, die nach und nach ermordet werden und sich gegenseitig verdächtigen, mit bisher vier Verfilmungen, die zwischen 1945 und 1989 entstanden sind, am häufigsten adaptiert. Miss Marple hingegen brachte es mit Angela Lansbury in der Titelrolle vor 41 Jahren in «Mord im Spiegel» ein letztes Mal auf die Leinwand. Branagh hingegen will als Hercule Poirot nach Albert Finney (einmalig in «Mord im Orient Express») Peter Ustinov (in jeweils drei Kino- und Fernsehfilmen) und David Suchet (34 Fernsehauftritte) weiter ermitteln. «Das Böse unter der Sonne» mit Ustinov folgte 1982 nach «Tod auf dem Nil» und wäre damit an der Reihe. „Nein“, grinst Branagh, „Wir haben einen anderen Stoff von Agatha Christie ausgewählt. Aber wenn ich den Titel verraten würde, müsste ich Sie anschließend umbringen. Das sollte ich nicht tun.“