Benjamin Benedict: ‚Der Prozess der Diversität ist ein Geschenk‘

Der UFA Fiction-Geschäftsführer und -Produzent spricht über die Wandlung im eigenen Unternehmen und erklärt, warum die Diversität keine Gefahr ist.

Hallo Herr Benedict, vor knapp einem Jahr haben wir uns bereits unterhalten. Ein Thema war unter anderem Gleichberechtigung und Diversität. Was hat sich bei Ihnen im Hause getan?
Das ist bei uns im Hause ein permanenter Prozess, an dem alle Kolleg:innen partizipieren. Dabei geht es um die zu schaffende Selbstverständlichkeit einer Repräsentation vielfältiger gesellschaftlicher, sexueller, kultureller, biographischer Identitäten sowohl in den Narrativen wie bei den Beteiligten. Es zeigt sich beispielsweise in den Konstellationen vor und hinter der Kamera. «Sam – Ein Sachse» ist beispielsweise ein großartiges Projekt von Tyron Ricketts und Jörg Winger, welches gerade für Disney+ in Produktion geht.“

«All you need» von Nataly Kudiabor geht in die nächste Staffel, nachdem die erste zurecht überall gefeiert wurde. Im März wird «Der Überfall» von Katja Wenzel, Stefan Kolditz und Stephan Lacant im ZDF (Redaktion Caroline von Senden, Alex Staib) ausgestrahlt, der auch ein klares Signal in der selbstverständlichen Vielfalt setzt, wobei es uns sicher nicht darum geht, alle Projekte ausschließlich aus der Perspektive der Diversität zu positionieren, sie ist ein entscheidender und wichtiger Bestandteil.

Es gibt viele wunderbare Projekte – alle jeweils individuell geprägt von den Kolleg:innen und es ist uns auch wichtig, dass jede:r seine:ihre Projekte individuell vorantreibt und auch vorstellt, deswegen möchte ich gar nicht weiter Projekte benennen, sondern das den Kolleg:innen selber überlassen. Wichtig aber mit Blick auf Ihre Frage: Der Diversity Circle in der UFA ist eine großartige fortlaufende Inspiration für einen ständigen Dialog zu Fragen der Repräsentation, der Identitäten, der Diversität, der Prozesse und Stoffentwicklungen.

Wie bei allen Prozessen geht es zentral um eine Praxis, einen Dialog und die Abfolge sich verändernder Zustände. Die UFA hat Leitlinien entwickelt als Orientierung und um auch belegbar zu schauen, wie wir die gesellschaftliche Diversität auch faktisch inhaltlich und in den Konstellationen abbilden und prägen, um die Diskussion nicht im Vagen zu lassen. Es ist ein großes Geschenk, dass die Kolleg:innen in der UFA das als gemeinschaftliches Anliegen so klug und enthusiastisch voran bringen.

Die ‚Welt‘ schrieb vor wenigen Tagen, dass der weiße Mann in der amerikanischen Film- und Fernsehbranche die Arbeitslosigkeit fürchten muss. Sehen Sie die Gefahr auch in Deutschland?
Ich sehe den ganzen Prozess überhaupt nicht als Gefahr, sondern als Geschenk und als Chance. Es geht doch zentral um eine Vielfalt an Narrativen, Kreativen, Erzählformen, Identitäten, Diskussionen und Themen. Das ist sowohl auf Macher:innen wie auf Zuschauer:innen Seite ein inspirierende und wunderbare Entwicklung, denn es beinhaltet im Idealfall die Freiheit zu wählen. Sowohl in der Kreation wie in der Rezeption führt der Weg zu einer Vielfalt an Erzählungen – und der Freiheit und Verantwortung eine persönliche Wahl zu treffen, was jede:n Einzelne:n interessiert, fasziniert, beschäftigt, prägt. Ganz existentialistisch gesprochen ist es genau diese Wahlmöglichkeit, diese Vielfalt an Entscheidungsmöglichkeiten, die uns gerne auszeichnen soll.

Am Valentinstag ist «Muttertag – Ein Taunuskrimi» im ZDF zu sehen. Was ist an dieser Produktion so divers?
Der Grundbegriff der Diversität leitet sich aus dem Lateinischen ab, von „diversitas“, Vielfalt. Es liegt in der Natur der Sache, dass Vielfalt in sich selbst eben genau das ist: vielfältig, polyphon, mehrdeutig – und nicht auf eine Formel zu bringen. Sie lässt sich damit auch nicht auf ein Kriterium bringen. Was ich persönlich an «Muttertag» liebe, ist die psychologische Genauigkeit, mit der Nele Neuhaus in ihrem gleichnamigen Roman ein vielfältiges Ensemble an Menschen entwirft, die alle auf unterschiedliche Art von ihrer Vergangenheit beherrscht werden und versuchen, damit einen Umgang zu finden. Hier gibt es zum Beispiel eine emotionale und psychologische Diversität, die uns alle sehr fasziniert hat. Es ist zugleich wahnsinnig spannend und emotional sehr berührend, einfach eine tolle Erzählung und es war eine große Ehre und Freude, den Roman verfilmen zu dürfen. Ich bin Nele Neuhaus für ihr Vertrauen sehr dankbar.

Sie bedienen sich bei dem Format an der Roman-Vorlage von Nele Neuhaus. Was führt zu den starken Reichweiten? Die Vorlage, der Sender oder die Umsetzung von UFA Fiction?
Noch wissen wir ja nicht, wie stark die Reichweite sein wird. Ich persönlich freue mich über jede:n Zuschauer:in, aber ich bin etwas abergläubisch, sich der Zuschauer:innen vorher sicher zu sein und halte das auch für falsch. In diesen Zeiten ist die Konkurrenz sehr groß, und es ist auch eine Frage des Respekts vor den Zuschauer:innen, sie jedes Mal erneut überzeugen zu wollen. Es ist besser sich des Erfolges nicht vorab schon zu sicher zu sein und jedes Mal mit vollem Engagement neu anzutreten, um ein Publikum zu gewinnen. Das zeichnet übrigens in meinen Augen auch Nele Neuhaus‘ Arbeit aus. Wie schon gesagt, ist das Entscheidende die Vorlage, und wir hoffen, den Roman gut und spannend adaptiert zu haben – in einer hervorragenden partnerschaftlichen Arbeit mit Nele Neuhaus, dem ZDF, Frank Zervos, Anja Helmling-Grob, Daniel Blum und einem tollen Team bei der UFA Fiction mit Karo Kunz und Karoline Wanger, sowie den Kreativen wie Regisseur Felix Herzogenrath, einem starken Team hinter der Kamera und einem herausragenden Cast.

Die vergangenen zwei «Taunus»-Krimis hatten beim Finale jeweils über sieben Millionen Fernsehzuschauer. Wie erklären Sie sich den Erfolg der Zweiteiler?
Das Schöne an der filmischen Arbeit ist ja, dass es immer Gemeinschaftsleistungen sind, die Erfolge sind insofern immer geteilt und das Ergebnis eines leidenschaftlichen Einsatzes von vielen Menschen. Für mich zentral ist aber die Qualität von Nele Neuhaus als Autorin. Sie hat ein wunderbares Universum geschaffen, sie arbeitet klug und genau, sowohl an den Figuren wie dem Fall, legt besonderen Wert auf Glaubwürdigkeit im Kriminalistischen und eine starke Recherche.

Können Sie unseren Lesern verraten, worum es in dem Zweiteiler geht?
Natürlich möchte ich nicht zu viel verraten, weil die Spannung und das Mitfiebern ja ein entscheidender Teil des Filmgenusses sein soll, aber so viel sei verraten: In einem großen, alten Gebäude, einem ehemaligen Kinderheim, wird die Leiche eines alten Mannes gefunden. Doch eine grausame Entdeckung zeigt den beiden Ermittler:innen, dass dieser Fall weit darüber hinaus geht und in die Vergangenheit weist. Es sind die Wunden der Kindheit, die aufbrechen - und die Ermittler:innen herausfordern. Der titelgebende «Muttertag» spielt dabei eine große Rolle und gerade für Pia wird der Fall auch zu einer hochpersönlichen Angelegenheit. Ich hoffe, das macht Sie jetzt neugierig.

Vor knapp 15 Jahren waren große Event-Zweiteiler in Mode. Heutzutage stehen Krimis in der Gunst der Zuschauer. Würden Sie gerne einmal wieder ein solch großes Projekt produzieren?
Krimis sind eine beeindruckende Konstante in der Gunst des Publikums, dabei gibt es ja immer wieder neue Spielarten und Variationen. Als passionierter Leser liebe ich Kriminalromane beginnend mit Sherlock Holmes, Auguste Dupin, Arsène Lupin oder Wilkie Collins wunderbaren Romanen. Ich persönlich kam auch über Kriminalromane zu Krimis im Fernsehen. Was nun das Erfolgsgeheimnis von Krimis ist, darüber lässt sich trefflich diskutieren. Zum einen führen eine kriminalistische Erzählung in ganz unterschiedliche Welten, es ist eine Art die Welt zu entdecken, ohne dass es didaktisch ist. Das ist erzählerisch eine große Freiheit bei dennoch klarer Genrevorgaben. Zum anderen werden offensichtlich menschliche Bedürfnisse angesprochen: das Rätselraten, die Spannung, Furcht und Mitleid – und auch die Freude, wenn ein Fall aufgeklärt und oft die Schuldigen benannt sind. Insofern bin ich professionell wie persönlich ein großer Fan von Krimis und würde sie nicht aufrechnen mit Event-Zweiteilern, die Verfilmung von Nele Neuhaus ist ja auch ein großer Zweiteiler!

Das Thriller-Drama «Der Überfall» steht ebenfalls in der Pipeline. Was erwartet die Zuschauer:innen hier, vor allem auch im Sinne der angestrebten Diversität?
Die Arbeit an «Der Überfall» hat sich auf mehrere Jahre erstreckt. Das war sehr intensiv und fordernd, aber zugleich auch sehr beglückend, weil die Konstellation sehr produktiv war und die Jahre der Entwicklung ein immer erneuerter Dialog. Mit der Redakteurin Caroline von Senden vom ZDF verbindet uns seit Jahren eine intensive und vertraute Zusammenarbeit bei besonderen Projekten wie «Familienfest» oder «Der Fall Jakob von Metzler» – und es war toll, dass Alexandra Staib als weitere Redakteurin intensiv dabei war. Mit dem Drehbuchautor Stefan Kolditz durfte ich schon bei «Unsere Mütter, unsere Väter» zusammenarbeiten – und das ist für uns sicher der Höhepunkt an Intensität und Identifikation. Das meine ich gar nicht selbstgefällig, sondern eher in dem Sinne, dass Stefan und ich uns gemeinsam fragen und fordern, wie in der Arbeit etwas gelingen kann, das besonders ist und intensiv.

Wie können wir uns im Kollektiv so fordern, unterstützen, in Frage stellen, dass aus dem Prozess etwas hervorgeht, das für uns selbst und für das Publikum eine besondere Bedeutung hat. An dem Ziel kann man natürlich scheitern, aber es ist inspirierend, sich da gemeinsam zu fordern – und das war die Verabredung zwischen uns allen. Beim «Überfall» hat sich diese Arbeit mit Katja Wenzel wunderbar erweitert, die als Co-Autorin viele entscheidende Impulse und Narrative gesetzt hat, das war ein starker Dialog und intensiver Lernprozess. Als Stefan Lacant als Regisseur dazustieß, hat sich dieses gemeinsame kreative Zentrum der Entwicklung noch einmal extrem dynamisiert.

Worauf ich hinauswill, ist, dass mich zunehmend der Entstehungsprozess von Filmen und Serie interessiert und es spannend ist, wie das bei aller Ähnlichkeit doch jedes Mal durch die individuellen Biographien, Neigungen, Identitäten und dem Geschmack neu ist. Und die zentrale Frage, wie es gelingt einen Austausch und Dialog zu finden, bei dem etwas entsteht, das besonders ist und das mehr wird als die „Summe der Teile“. Das verbindet uns auch in der UFA und deswegen sind die beiden Kolleg:innen Korinna Roters und Alisa Müller hier unbedingt zu nennen, die den «Überfall» als ausführende Produzentin und Producerin den ganzen Weg begleitet und gestaltet haben. In der Umsetzung ist beim «Überfall» natürlich das Ensemble vor und hinter der Kamera entscheidend, ein toller Pool an sehr unterschiedlichen Talenten, die auch mit ihrer Diversität eine Vielschichtigkeit in die Serie bringen, die wir uns gewünscht haben.

Sie merken, ich bin sehr begeistert von der Serie und hoffe, sie findet den Weg zum Publikum.

In der Tat! «Der Überfall» erzählt sechs Tage in sechs Folgen – war das von Anfang an Ihre Intention, diese komplexe Geschichte als Serie anzulegen, um jeder Figur genügend Raum zu geben?
In der Tat stand der formale Gedanke der 6 Folgen / 6 Tage bei den Autor:innen gleich zu Anfang fest. Die Serie erzählt in sechs Folgen (die sechs Tagen entsprechen) wie sich ausgehend vom titelgebenden «Überfall» das Leben von allen erzählten Figuren (es sind mehr als 15) ändert und in Frage stellt. Natürlich ist das Formale – so wichtig es ist – nur in Kombination mit den Figuren, ihrem Bogen und Erzählraum zu denken. Sicherlich war es unser Ehrgeiz dabei jenseits von erwartbaren Grenzen bzw. Schubladen zu erzählen. Die Serie fällt in kein eindeutiges Genre: Sie ist Drama, Krimi, Thriller und spürt einigen grundlegenden Fragen nach: wer hat die Verantwortung für unser Leben, Schicksal oder Zufall? Gibt es so etwas wie Schuld, und wo ist sie verortet? Und wo liegt die persönliche Wahrheit eines Lebens? Die Serie bietet aber keine abstrakte Philosophie, wir wollten eine spannende, überraschende und intensive Erzählung über Figuren, die in gewisser Weise alle um ihr Leben kämpfen.

Vielen Dank für Ihre Zeit!
14.02.2022 11:56 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/132447