Die Kritiker: «Dengler – Kreuzberg Blues»

Die Hackerin Olga bittet ihren Freund Georg Dengler um einen Gefallen. Das Baby einer Freundin ist in deren Wohnung von einer Ratte verletzt worden und Olga ist sich sicher, dass jemand die Ratten in dem Haus ausgesetzt hat. Stichwort: Luxussanierungen.

Stab

Buch: Lars Kraume unter Mitarbeit von Wolfgang Schorlau
Regie: Daniel Rübesam
Kamera: Roland Stuprich
Schnitt: Linda Bosch
Kostüm: Marion Bergmann
Ausstattung: Johanna Maul
Ton: Oscar Stiebitz
Musik: Jasmin Reuter, Tina Pepper
Producer: Karsten Günther
Produzenten: Raoul Reinert (Cuckoo Clock Entertainment), Oliver Vogel (Bavaria Fiction)
Redaktion: Elke Müller
Darsteller
Die Rollen und ihre Darsteller:
Ronald Zehrfeld, Birgit Minichmayr, Seyneb Saleh, Jan Kröger, Sabin Tambrea, Winfried Glatzeder, Joshua Seelenbinder, Wanja Götz, Marius Lamprecht, Thiago Barga de Oliveira, Kira Zurhausen, John Keogh
89 min
Der neue Fall des Privatdetektivs Georg Dengler beginnt mit Bildern, die den Bildungsbürgern gefallen. Da sind ein paar eher mittelprächtig gepflegte Häuser in Berlin. Da gibt es zwei finstere Kerle, die im Flur eines dieser Häuser Ratten aussetzen, um die Mieter mit Aktionen wie diese zu zermürben. Und da ist ein alter Kiez-Onkel, der nicht etwa die Polizei ruft, um den Herren das Handwerk zu legen, sondern ein paar Punks, die deren Wagen anzünden sollen. Dies sind die Geschichten, die man gerne im deutschen Fernsehen sieht. Die Fronten sind geklärt. Auf der einen Seite stehen die bösen Immobilienhaie, auf der anderen Seite der arme Mieter, die den miesen Machenschaften dieser Heuschrecken hilflos ausgesetzt sind.

Im Juni 2021 stand das Thema Berliner Mietwucher im Fokus eines «Tatort»s, eine österreichische Perspektive gab es auf dem gleichen Sendeplatz im Mai zu sehen. Der Miethai ist eine durchaus beliebte Figur, wenn es darum geht einen Konsens-Bösewicht zu erschaffen. In amerikanischen Filmen werden Mieteintreiber gerne als Unterhemden tragende, Hygiene geforderte Schmierlappen dargestellt, in deutschen Produktionen sind es eher geleckte Yuppies, die bei jeder Gelegenheit fast zwanghaft betonen, sich stets im gesetzlichen Rahmen zu bewegen. Diese Menschen sind verkommen. Ein Blick reicht aus, um sich ihnen gegenüber erhaben zu fühlen. Selbst dann, wenn man vielleicht selbst in einer solch luxussanierten Wohnung lebt, weil man es sich erlauben kann, im Gegensatz zu denen, die das irgendwann nicht mehr konnten...

Für Georg Denglers alte Freundin Olga steht auf jeden Fall fest, dass der Eigentümer des Gebäudekomplexes, in dem ihre Freundin lebt, die Ratten ausgesetzt hat, um die Menschen auf diese Art und Weise langsam zur Kündigung zu drängen. Offenbar reicht es ihm nicht mehr aus, das Haus einfach verkommen zu lassen. Mit Sicherheit wird er nicht gewollt haben, dass ein Kind von einer Ratte verletzt wird. So etwas gibt einfach eine schlechte Presse. Aber er hat es zumindest in Kauf genommen. Entsprechend unwirsch tritt Olga auf. Sie ist wütend. Dengler jedoch will die Angelegenheit sachte angehen. Auch, als sie Dr. Gross gegenübersitzen, dem ziemlich geleckten Yuppie-Justitiar des Gebäudeeingentümers, der sich der Rattengeschichte nicht annehmen will. Mit etwas freundlichen Druck und der kleinen Drohung, vielleicht doch noch die Presse ins Boot zu holen, bekommt Dengler allerdings eine Terminzusage bezüglich eines Gespräches mit Jan Kröger, dem Immobilienhai.

Denglers eher ruhiges Auftreten scheint sich auszuzahlen. Er weiß, dass sich das Unternehmen Kröger nicht zu einer Schmerzensgeldzahlung hinreißen lassen wird, denn das würde einem Schuldgeständnis gleichkommen. Dengler kalkuliert eher auf ein Gentlemen-Agreement, bei dem dem Kind geholfen wird, ohne dass das Unternehmen irgendwelche Zugeständnisse macht. Wäre es nach Olga gegangen, wäre nach der Attacke die Polizei eingeschaltet worden. Das Problem: Der Kindsvater hat ein Problem mit Drogen. Die Tatsache, dass die Polizei nicht eingeschaltet worden ist, könnte sich jetzt sogar als Vorteil erweisen, wenn es darum geht, ein Schmerzensgeld zu erlangen. Niemand möchte Aufsehen...

… bis die Presse von der Geschichte Wind bekommt und Denglers Termin mit Kröger gestrichen wird. Das man an diesem Punkt der Geschichte bereits ahnt, wer die Presse eingeschaltet hat, sei dem Film verziehen, der sich nun traut, die Erwartungen zu brechen. Mit etwas Chuzpe gelingt es Dengler, Kröger zu einem Gespräch am Rande eines Fußballspiels, das dieser besucht, zu bewegen. Ein Gespräch, in dem sich dieser Jan Kröger keinesfalls als ein unleidlicher Finsterling entpuppt. Kröger ist vielmehr ein Mann, der sich aus kleinen Verhältnissen nach oben durchgeboxt hat – und zwar mit offenem Visier. Er versteckt sich nicht. Sicher, er ist Chef eines Großunternehmens, für das durchaus auch Leute arbeiten, die gemeinhin als schmierige Karrieristen bezeichnet werden dürfen. Aber Korte selbst ist einfach kein Typ, der in einem Haus Ratten aussetzen lässt. Das ist nicht sein Stil. Dengler erkennt das und nimmt sogar ein Angebot Krögers an, für ihn zu arbeiten. Sehr zum Ärger von Olga, die sich auch nicht von Denglers Versprechen, den Job nur angenommen zu haben, um Zugang zum Unternehmen zu bekommen, beschwichtigen lässt. Tatsächlich jedoch ahnt Dengler, dass die Geschichte etwas komplizierter ist als sie auf den ersten Blick wirkt. Spätestens in dem Moment, in der erfährt, dass Korte offenbar in eine finanzielle Schieflage geraten ist und einen amerikanischen Investor ins Boot holen will, läuten die Alarmglocken.

«Dengler – Kreuzberg Blues» ist eine Geschichte, die sich langsam entwickelt. Was mit einem Rattenbiss beginnt, entwickelt sich nach und nach zu einer Geschichte über das Wesen von Raffgier, die kein „genug“ kennt. In diesem Umfeld ist Jan Kröger, den Peter Trabner als tatkräftigen Handwerker darstellt, eben nicht der von Grund auf verkommene Immobilienhai, den man guten Gewissens einfach verabscheuen kann. Irgendwo versteckt sich in seinem rumpelnden, lauten Auftreten auch eine tragische Figur. Es ist leicht sich vorzustellen, wie dieser Mann sich nach oben gearbeitet hat, wie er die richtigen Entscheidungen traf, wie er sicher auch Grenzen überschritt. Das aber alles in einem Rahmen, in dem man ihm durchaus Respekt gezollt hätte – bis dieses Raffen, Kaufen, Sanieren, noch mehr Raffen zu einem Selbstzweck verkommen ist.

Ronald Zehrfeld hält sich in diesem Film in der Rolle des Privatdetektivs Dengler fast schon vornehm zurück. Er ist immer wieder ein Beobachter. Vor allem ab dem Moment, in dem ihm klar wird, dass die Geschichte eskaliert. Was mit einem Rattenbiss in einem Kinderbett beginnt, schlägt nach und nach immer größere Wellen, da eben mehr Parteien in die Story involviert sind als ein Baulöwe.

Der amerikanische Investor, der schmierige Justitiar, Krögers Geldprobleme: Das alles nimmt mit fortlaufender Spielzeit mehr und mehr Fahrt auf und beweist, dass im deutschen Fernsehen am Anfang eines Kriminalfilmes nicht zwingend der obligatorische Mord stehen muss, sondern dass es auch ganz anders geht – auch wenn die Geschichte nicht ganz ohne letale Gewalt auskommt. Was schade ist, denn der Moment, in dem dann tatsächlich fest an der Gewaltschraube gedreht wird, erscheint wie ein Zugeständnis an die Zuschauerschaft, von der man offenbar glaubt, dass sie einen Kriminalfilm nur als Kriminalfilm erkennt, wenn irgendwann ein Mord geschieht. Dabei hätte dieser Film auch ganz ohne funktioniert.

Am Montag, 22. November 2021, 20.15 Uhr im ZDF.
20.11.2021 12:50 Uhr  •  Christian Lukas Kurz-URL: qmde.de/130834