«Stillwater – Gegen jeden Verdacht» – Ein Amerikaner in Marseille

Matt Damon versucht in dem neuen Tom McCarthy-Spielfilm die Unschuld seiner Tochter Allison zu beweisen. Diese soll ihre Freundin ermordert haben.

Der männliche Durchschnittsamerikaner – wie sieht er eigentlich aus? Darüber hat man sich in den letzten Jahren des Öfteren den Kopf zerbrochen, seit knapp 50 Prozent der US-Bevölkerung Donald Trump 2016 zu ihren Präsidenten wählten. Eine Mischung aus Homer Simpsons und Dirty Harry - und auch wenn gewiss nicht alle ‚einfachen‘ Amerikaner über einen Kamm zu scheren sind, so hat man doch ein genaues Klischee vor Augen, dass Matt Damon in seinem neuen Film erfüllen will. Als Actionstar Jason Bourne gab er noch den drahtigen Actionhelden, in «Stillwater» erleben wir ihn nun als feisten Arbeiter mit abgetragenen Holzfällerhemden, Baseballkappe und einem – man muss es sagen – unansehnlichen Vollbart. Dieser Bill Baker, wie seine Figur schlicht heißt, vertritt er konservative Werte, bewahrt zu Hause zwei Waffen auf, ist gottesfürchtig und steht allem Fremden gegenüber immer erst sehr skeptisch gegenüber. Natürlich hat er genaue Vorstellungen von Recht und Ordnung, und wenn es sein muss, nimmt er das Gesetz auch schon mal selbst in die Hand, weshalb er auch vorbestraft ist. Was, wenn so ein Typ aus seinem gewohnten Umfeld in Oklahoma herausgerissen wird und gezwungen ist, sich in einer ihm fremden Welt im französischen Marseille neu zu ordnen? Matt Damon spielt uns das auf eine sehr eindrucksvolle Weise vor.

Die Verzweiflung eines Vaters
Stillwater gehört mit knapp über 45.000 Einwohner zu den größten Städten Oklahomas. Hier lebt Bill Baker (Matt Damon), der es als einfacher Bohr- und Bauarbeiter gelernt hat anzupacken. Doch schon seit geraumer Zeit muss er immer mal wieder einen Flug nach Marseille Nehmen. Denn hier sitzt seine Tochter Allison (Abigail Breslin, «Little Miss Sunshine») im Gefängnis. Sie soll ihre Freundin ermordet haben, was sie bestreitet, und auch ihr Vater ist fest von ihrer Unschuld überzeugt. Nun gibt es neue Hinweise auf den wahren Täter, aber als die Anwältin keine Aussicht für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sieht, nimmt Bill die Sache selbst in die Hand. Da er der französischen Sprache aber nicht mächtig ist, sucht er Hilfe bei der alleinerziehenden Virginie (Camille Cottin) aus dem Nebenzimmer seines Hotels. Sie ist eine kultivierte Theaterschauspielerin, die mehrere Sprachen spricht und ihm gern übersetzt. Sie scheint das genaue Gegenteil von Bill zu sein, und doch kommen sich beide näher. Der Amerikaner verlängert seinen Aufenthalt und findet endlich eine Spur, die ihn zu dem ‚echten‘ Mörder führt. Bill will aus ihm ein Geständnis herauspressen und schreckt dabei nicht vor Kidnapping zurück.

Schuld und Sühne
«Stillwater» ist ein schmerzhafter Film, denn man spürt, dass in der Familie des Protagonisten viel falsch gelaufen sein muss und er dabei nicht frei von Schuld ist. Wie Matt Damon diesen Mann, der nur schwer Zugang zu seinen eigenen Emotionen findet, verkörpert, ist großes Schauspielkino. Regisseur Tom McCarthy («Spotlight») offenbart dabei aber nie das große Ganze, sondern deutet allenfalls an, wenn der Amerikaner von Virginie und ihren Freunden immer wieder gelöchert wird und er nur karg antwortet. „Hast du Schusswaffen zu Hause?“, Antwort: „Zwei“. „Hast du Trump gewählt?“, er weicht aus, indem er antwortet, dass er ja wegen einer Straftat gar nicht wählen durfte. Aber dieser Bill Baker ist einem nie unsympathisch. Im Gegenteil, seine Verzweiflung, die Tochter, von der er sich vor längerem entzweit hatte, wieder zurückgewinnen zu wollen, ist nachvollziehbar. Seine Unbeholfenheit hat manchmal etwas Angenehmes, etwas Menschliches. Er lernt Französisch, gliedert sich immer mehr in der neuen Gesellschaft ein und man gönnt ihn die schöne Virginie und ihre kleine Tochter an der Seite. Eine zweite Lebenschance für Bill, die er allerdings verspielt, als er wieder den vehementen Amerikaner herauskehrt, den Cowboy, der auf eigene Fausthandelt und damit quasi wieder alles umreißt und sich damit auch selbst enttäuscht.



Drama oder Thriller
Ließ sich Oscar-Gewinner (Bestes Drehbuch: «Spotlight») Tom McCarthy anfänglich noch Zeit, um zu zeigen wie dieser Bill Baker lebt und sich der neuen Kultur annähert, zieht er im letzten Drittel des Films das Tempo an. Man fühlt sich teilweise an Liam Neeson in «96 Hours» erinnert, dem jedes Mittel recht ist, um seine entführte Tochter zu befreien. Bill Baker ist aber kein ehemaliger CIA-Agent und muss erst mal selbst Prügel einstecken, bevor er selbst Gewalt anwendet. Ein Drama wird zum Thriller, und McCarthy weiß auch hier, welche Knöpfe zu drücken sind, um Spannung aufzubauen. Und doch dominiert letztendlich das Drama, denn das Ende ist für alle Beteiligten ernüchternd.

Fazit: Das Aufeinanderprallen zweiter Kulturen, darüber deckt sich eine zarte Lovestory und im letzten Drittel geht es nochmals hart zur Sache. Mit einem großartigen Matt Damon vergehen 140 Kinominuten wie im Fluge.

«Stillwater – Gegen jeden Verdacht» ist im Kino zu sehen.
29.09.2021 12:55 Uhr  •  Markus Tschiedert Kurz-URL: qmde.de/129369