«The Mysterious Benedict Society»: Kinder an die Macht bei Disney?

In der neuen Serie von Disney+ müssen Kinder einmal wieder die Welt retten. Eine alte Idee, die hier leider keinen neuen Dreh findet.

Stab

Darsteller: Tony Hale, Kristen Schaal, MaameYaa Boafo, Ryan Hurst, Gia Sandhu, Mystic Inscho
Entwickelt von Matt Manfredi und Phil Hay
basierend auf dem Roman von Trenton Lee Stewart
Die Kinder müssen mal wieder die Welt retten, weil die Erwachsenen sie an die Wand gefahren haben: Das ist ein etwas seltsamer Fetisch, der amerikanische Buchautoren und Film- und Fernsehmacher manchmal einholt, so zum Beispiel in Robert Rodriguez‘ «Spy-Kids»-Reihe oder in Lemony Snickets Büchern und gleichnamigem Netflix-Format.

Warum die Welt in «The Mysterious Benedict Society» aus dem Tritt geraten ist, wird uns zumindest in der ersten Folge noch nicht mitgeteilt. Stattdessen bleibt man im Allgemeinen, ein „Ausnahmezustand“ habe die ganze Menschheit an den Rand des Kollapses gebracht, die Zwangsräumungen nehmen zu, das Geld geht aus, die Wirtschaft ist im freien Fall. Nur seltsam, dass man davon bildlich kaum etwas mitbekommt und die quietschbunte Welt dieser Serie im Ausnahmezustand wesentlich einladender aussieht als das Frankfurter Bahnhofsvierteil im wirklichen Universum. Die erste Frage, die man sich stellt: Wo sind all die depressiven Menschen, wo ist die graugefärbte Welt, wo die Stimmung der Ausweglosigkeit, wo all das Elend, vor dem die auserwählten Kinder die Menschheit doch retten müssen?

Aber weil eine Kinderserie in den Augen von Disney anscheinend unbedingt bunt und fröhlich sein muss, auch wenn sie sich als Aufhänger aus irgendwelchen Gründen unheimliches Leid aussucht, wollen wir uns damit abfinden. Denn der mysteriöse Mr. Benedict (Tony Hale) und seine Helfer (unter anderem Kristen Schaal als „Number Two“) haben erkannt, dass nur besonders intelligente, talentierte und ehrliche Kinder die Menschheit vom Abgrund zurückholen können. Also veranstalten sie eine Reihe von Prüfungen, an deren Ende nur vier übrigbleiben. Alle haben miteinander gemeinsam, dass ihre Eltern nicht mehr leben oder sie schon vor vielen Jahren in bitterer Einsamkeit zurückgelassen haben. Schon in früher Kindheit auf sich gestellt, sind sie zu reifen Persönlichkeiten geworden: Bücherwurm Reynie, Wildfang Kate, Intelligenzbestie George und Cholerikerin Constance.

Dass «The Mysterious Benedict Society» nicht (nur) als etwas abgestandene Variante des endlosen Kinder-retten-die-Welt-Handlungsgeflechts wirken will, wird schließlich in der zweiten Folge deutlich, als erste Hintergründe des großen Notstands eingeführt werden. Der ominöse Mr. Benedict enthüllt, was hinter dem großen Unheil steckt: Die Erwachsenen werden durch geheime Nachrichten im Fernsehen manipuliert – womit in ziemlich offensichtlicher (und damit wohl kindgerechter) Weise der Bogen in unsere wirkliche Welt geschlagen wird, in der viele Menschen vor lauter Fake News und Fox News nicht mehr wissen, wo oben und unten ist – und entsprechend schlecht geht es uns allen ja auch, wenn wir bei all dem „Doomscrolling“ auf Twitter nicht mehr einschlafen können und viele sich ihre Nachrichten aus zweifelhaften Quellen wählen, ohne das zu reflektieren. Das Ergebnis: Impfgegner, Querdenker und: die Welt von «The Mysterious Benedict Society».

Ob diese Serie jedoch als kindgerechter Denkanstoß hinsichtlich Nachrichten- und Medienkompetenz fungieren könnte, scheint im Endeffekt aber doch ziemlich fragwürdig: Denn in dieser Traumwelt ist alles so künstlich und abgedreht, dass kaum ein Mitglied der Zielgruppe (die entgegen der Erwartungen, die durch eine Besetzung der Erwachsenenhauptrollen mit Tony Hale und Kirsten Schaal geschürt wurden, wohl bei etwa 12 Jahren aufhört) daraus Lektionen für das Hier und Jetzt ziehen dürfte. Die Benedict Society bleibt also mysteriös – und zwar nicht unbedingt im besten Sinne.

Die Serie «The Mysterious Benedict Society» ist bei Disney+ zu sehen.
28.06.2021 11:00 Uhr  •  Oliver Alexander Kurz-URL: qmde.de/127716