«Luca» - Wovon kleine Seeungeheuer träumen

Der neue Disney+-Streifen ist seit Kurzem online verfügbar. Unser Autor empfiehlt den Animationsfilm.

Das Element Wasser hat Trickfilmspezialisten von jeher fasziniert. Spektakulär sind auch heute noch die von Hand gezeichneten Unterwasser-Sequenzen aus «Pinocchio», wenn der Holzjunge von einem Wal geschluckt wird. Einer der ersten Disney-Filme, der bereits 1940 entstand. Zwar war Disney schon immer wegweisend für neue Technologien in der Animationskunst, dennoch ließ man auch dort lange Zeit die Hände von zu viel Wasser. Erst 1989 sollte mit «Arielle, die Meerjungfrau» ein Zeichentrickfilm in die Kinos kommen, der zum großen Teil in einer Unterwasserwelt spielte. Mit dem Wechsel zur Computeranimation durch Disneys Tochterfirma Pixar schien es dann sowieso kein Problem mehr darzustellen, Wasser in seinen unterschiedlichen Formen zu animieren. So wurde 2003 das wunderbare Fisch-Abenteuer «Findet Nemo» von der Angel gelassen. Mit «Luca» macht uns Pixar nun mit weiteren Meeresbewohnern bekannt, die jedoch wieder aus dem Reich der Mythologie kommen: Seeungeheuer! Allerdings verhalten sie sich in ihrer feuchten Parallelwelt nicht anders als Menschen. Was aber passiert, wenn beide Spezies, die sich voreinander fürchten, aufeinanderstoßen?

Der Wecker im Wasser
Luca ist ein kleines Seemonster, das sehnsuchtsvoll nach oben schaut, wo Sonnenstrahlen die Meeresoberfläche berühren. Seine Eltern haben ihm aber strikt verboten, jemals auch nur den Kopf aus dem Wasser zu strecken, und weil Luca ein braver Junge sein will, hält er sich daran. Ein Wecker am Meeresgrund macht ihn jedoch neugierig und führt ihn direkt zu Alberto, einem anderen Jungen seiner Spezies. Alberto ist keck und lockt seinen neuen Freund dorthin, wo es verboten ist: An einen Strand der italienischen Rivera. Luca ist zunächst entsetzt, aber schnell findet er Gefallen daran, an Land zu sein, zumal Alberto und er sich hier in richtige Menschen verwandeln können und somit unerkannt bleiben. Beide malen sich aus, wie es wäre, auf einem Vespa-Roller diese fremde, neue Welt zu erforschen. Deshalb wagen sie sich in ein Dorf, wo ein Wettkampf in Schwimmen, Pasta essen und Fahrradfahren ansteht. Mit dem Preisgeld könnten sie sich eine Vespa kaufen. Zum Glück treffen sie auf das Menschenmädchen Giulia, die ihnen helfen will. Allerdings ahnt Giulia nicht, wer die beiden wirklich sind. Denn viele Dorfbewohner glauben an Seeungeheuer und haben stets eine Harpune griffbereit, um sie zu erledigen.

Fish-out-of-water
‚Fish-out-of-water‘ ist beim Film ein gängiger Begriff für Komödien, in denen die Hauptfiguren in eine ihnen ungewohnte Umwelt verschlagen werden, in der sie sich zurechtfinden müssen und dabei immer wieder in komische Situationen geraten. In «Luca» sitzen die schuppigen Helden jedoch freiwillig wie Fische auf dem Trockenen, weil sie der Natur an der frischen Luft wohl mehr abgewinnen können als ihrer eigenen Welt. Ganze 30 Minuten lässt sich Regisseur Enrico Casarosa, der zuvor schon den Kurzfilm «La Luna – Mondlicht» inszenierte und bei Pixar als Storyboard-Zeichner an Erfolgen wie «Oben», «Ratatouille» und «Die Unglaublichen 2» beteiligt war, für den Prolog Zeit, um auch seine Zuschauer dieses verführerische Lebensgefühl, wie es die Jungs wahrnehmen, spüren zu lassen. Erst dann kommt die eigentliche Geschichte ins Rollen, in der Luca und Alberto permanent Gefahren ausgesetzt werden, sich wieder in Seemonster zurück zu verwandeln. Ein Tropfen Wasser und schon schimmern die ersten Schuppen durch. Daraus entwickelt sich ein herrlicher Filmspaß mit pointierten Dialogen, die einem ein Dauerlächeln ins Gesicht zaubern. Etwa wenn der bärbeißige Vater der kleinen Giulia die Jungs fragt: ‚Ihr kennt euch mit Fischen aus?‘ Und Alberto fast entlarvend antwortet: ‚Wir kennen sogar viele persönlich.‘ Dass die Bilder dabei gar nicht bunt genug sein können, versteht sich von selbst.

La Dolce Vita
Und doch geht es in «Luca» um so viel mehr als nur um Schreck und Schabernack. Da werden große Themen wie Freundschaft, Familie, Ausgrenzung und Diskriminierung verhandelt. Luca und Alberto müssen erkennen, dass Freunde fürs Leben auch in schlechten Zeiten füreinander da sein müssen. Die Eltern lernen, ihren Kindern mehr Freiräume einzugestehen, und zum Schluss checken sowohl Menschen als auch Meeresbewohner, ihre gegenseitigen Vorurteile abzubauen, die von Ängsten vor dem Fremden genährt wurden. Neben solchen einprägsamen Botschaften ist es aber auch das italienische Lebensgefühl, das in «Luca» zelebriert wird. La Dolce Vita wie in den Sechzigerjahren! Keine Schnelllebigkeit, keine übertriebenen Actionszenen, dafür Sonne, Meer, Pasta und Eiscreme. Ein Familienfilm fast wie Urlaub und für Cineasten hat Enrico Casarosa noch viele kleine Details eingebaut. So hört der einzige Fiesling der Geschichte auf den Namen Visconti (im Deutschen von dem Sänger Giovanni Zarrella gesprochen) und im Hintergrund entdeckt man etliche Plakate zu Filmen, die alle mit Italien zu tun haben spielen wie beispielsweise «La Strada» oder «Ein Herz und eine Krone». Umso bedauerlicher, dass «Luca» den Kinos kurz vor ihrer Wiedereröffnung vorenthalten wurde und nur bei Disney+ zu streamen ist.

Fazit: Ein liebenswerter Animationsfilm, der uns das italienische Lebensgefühl nahebringt. Das gelingt mit bunten Bildern, detailverliebten Kulissen und zwei großäugigen Jungs, die man sofort ins Herz schließt.
29.06.2021 12:00 Uhr  •  Markus Tschiedert Kurz-URL: qmde.de/127682