Forderung nach mehr Qualitätsfernsehen: K18 und VDD schreiben offenen Brief an Christine Strobl

In ihrem offenen Brief an die neue ARD-Programmdirektorin Christine Strobl fordern Kontrakt 18 und der Verband Deutscher Drehbuchautoren Zusammenarbeit auf Augenhöhe und stellen eine klare Frist für die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt.

Der 6-Punkte-Plan

Punkt 1:
Die Autorin/der Autor verantwortet das Buch bis zur endgültigen Drehfassung.
Sämtliche Bearbeitungen des Buchs müssen von der Autorin/vom Autor autorisiert werden.
Punkt 2:
Die Autorin/der Autor hat Mitspracherecht bei der Auswahl der Regisseurin oder des Regisseurs. Die Entscheidung über die Besetzung der Regie wird einvernehmlich getroffen.
Punkt 3:
Die Autorin/der Autor wird zu den Leseproben eingeladen.
Punkt 4:
Der Autorin/dem Autor wird das Recht eingeräumt, die Muster und den Rohschnitt zum frühestmöglichen Zeitpunkt sehen und kommentieren zu können. Der Autor/die Autorin wird zur Rohschnittabnahme eingeladen.
Punkt 5:
Die Autorin/der Autor wird bei allen Veröffentlichungen in Zusammenhang mit
dem Filmprojekt (Pressemitteilungen, Programmhinweise, Plakate etc.) namentlich genannt und zu allen projektbezogenen öffentlichen Terminen eingeladen.
Punkt 6:
Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner verpflichten sich dazu, Aufträge zu Buch-Überarbeitungen (Rewrites, Polishing u. ä.) nur anzunehmen, wenn sie sich zuvor mit den aus dem Projekt ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen verständigt haben.
Die Fernseh-Branche ist im Wandel. Das liegt vor allem am rasanten Wachstum der Streamingdienste, für die sich auch die linearen Sender zunehmend mehr interessieren. So haben erst in dieser Woche die ARD und das ZDF Pläne vorgestellt, dass man die jeweiligen Mediatheken zu einem gemeinsamen Streaming-Netzwerk zusammenlegen wollten. Der große Trumpf der nationalen Streamer war bislang die lokale Relevanz. Doch auch Global-Player wie Netflix, Amazon und Disney+ haben die Zeichen der Zeit erkannt und mischen auf nationalen Märkten mit und entwickeln lokale Stoffe. Für Drehbuchautoren ist dies von besonderer Relevanz, denn dort habe man erkannt, „welch große Chancen darin liegen, dem kreativen Potenzial der Kreativen zu vertrauen“, wie Kontrakt 18 (K18) und der Verband Deutscher Drehbuchautoren (VDD) erstmals in einem gemeinsamen offenen Brief an die ARD-Programmdirektorin Christine Strobl formulieren. Dort heißt es unter anderem: „Autorinnen und Autoren Augenhöhe vertraglich zuzusichern, ist nicht nur ein Garant für starke Filme und Serien, es macht Verwerter für Kreative auch enorm attraktiv. Mit Mentalitäten und Mechanismen, die noch im vorherigen Jahrhundert wurzeln, wird die ARD im oft bemühten ‚Kampf um die Kreativen‘ definitiv den Kürzeren ziehen.“

Die Autoren fordern deshalb mehr Mitspracherecht im Entstehungsprozess von Filmen und Serien und erneuern ihre Bereitschaft, mehr Verantwortung zu übernehmen. Der Schulterschluss von VDD und K18 zeige die Entschlossenheit der Autoren, eine längst überfällige Entwicklung nach mehr Zusammenarbeit auf Augenhöhe in Gang zu bringen. Man strebe vertragliche Sicherheit an und ein Ende der Lippenbekenntnisse. In dem offenen Brief heißt es: „Wir werden deshalb einen zwischen VDD, Kontrakt 18 und unseren jeweiligen Anwälten abgestimmten Text-Vorschlag für neue vertragsverbindliche Leitlinien vorstellen und diese Vorschläge zum Gegenstand der Gemeinsamen Vergütungsregeln (GVR)-Verhandlungen machen.“

Neben der klaren Forderung stellte man auch eine Frist auf. „Wir fordern Sie auf, uns bis zum 15. Juli darüber zu informieren, wie Sie den Leitlinien rechtsverbindlich Geltung verschaffen wollen – in der ARD und bei den Produzenten.“ Damit bleiben Christine Stobl genau drei Wochen Zeit. Der Grund für den offenen Brief sieht VDD und K18 in aktuellen Evaluierungen, wonach die getroffenen „blumigen Absichtserklärungen“ zur Einhaltung der an K18 orientierten „ARD/Degeto-Leitlinien zur Zusammenarbeit mit Drehbuchautor/innen“ (Die K18-Leitlinien sind in der Infobox zu sehen) bei Vertragsverhandlungen mit sowohl sendereigenen Justiziaren als auch mit beauftragten Produktionsfirmen benutzt werden, um vertragliche Regelungen zur Mitsprache und -bestimmung verweigert werden. Der formulierte Anspruch, dass die Leitlinien eine klare Marschroute für Vertragsverhandlungen sein sollen, werde „auf breiter Front unterlaufen“. Konkrete Fälle nannte man zwar nicht, bot aber an diese nachreichen zu können und nannte dabei die Landesrundfunkanstalten SWR und BR, sowie die Degeto.

Ein weiterer Dorn im Auge der Verfasser ist es, dass Serien-Schöpferinnen und -Schöpfer im Vor- bzw. Abspann nicht explizit so aufgeführt werden, was ein weiteres Beispiel für die Rückständigkeit der ARD sei. VDD und K18 habe einen sehr differenzierten Katalog zu den neuen Berufsbildern ausgearbeitet, trotzdem orientiere sich die ARD noch „an Standards aus dem rein linearen Fernsehzeitalter“.

Den offenen Brief im Wortlaut gibt es auf der nächsten Seite.

Der offene Brief im Wortlaut


Sehr geehrte Frau Strobl,

zu Ihrer neuen Position als Programmdirektorin der ARD möchten wir Ihnen im Namen der über 600 vom Verband Deutscher Drehbuchautoren und Kontrakt 18 vertretenen Autorinnen und Autoren ganz herzlich gratulieren!

Wir sind begeistert, dass Sie schon vor Ihrem Dienstantritt angekündigt haben, weit reichende Reformen innerhalb des Senderverbunds anzuschieben. In Zeiten, da der öffentlich-rechtliche Rundfunk sowohl politisch als auch durch ein sich dynamisch veränderndes Nutzungsverhalten der Zuschauerinnen und Zuschauer massiv unter Druck gerät, braucht es zeitnah konsequente und mutige Erneuerungsanstrengungen. Wir alle sehen die Gefahr einer grundlegenden Legitimationskrise des ÖRR.

Schon in Ihrer Funktion als Programmgeschäftsführerin der Degeto haben Sie den Dialog mit uns Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren gepflegt. Denn spätestens mit Gründung der Initiative Kontrakt 18 war zumindest auch innerhalb der ARD-Redaktionen erkannt worden, dass das Einräumen weiterreichender Mitbestimmungsrechte für Drehbuchautor*innen sowohl der Qualität der produzierten Programme als auch dem Klima der Zusammenarbeit zuträglich ist. Die Forderungen von Kontrakt 18 waren dabei weder anmaßend noch revolutionär, es ging den Initiatorinnen und Initiatoren lediglich darum, unzeitgemäße Arbeitsbedingungen und -prozesse den international gängigen Standards anzupassen.

Aber leider hat man in den entscheidenden ARD-Gremien den Schuss bis heute nicht gehört. Die an Kontrakt 18 orientierten „ARD/Degeto-Leitlinien zur Zusammenarbeit mit Drehbuchautor/innen“ erschöpfen sich in blumigen Absichtserklärungen und werden bei Vertragsverhandlungen mit sowohl sendereigenen Justiziaren als auch mit von der ARD/Degeto beauftragten Produktionsfirmen benutzt, um vertragliche Regelungen zur Mitsprache und Mitbestimmung von Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren zu verweigern. Aktuelle Evaluierungen bei VDD und KONTRAKT 18 haben gezeigt, dass der auch von Ihnen, Frau Strobl, formulierte Anspruch, wonach die „Leitlinien“ eine klare Marschroute für die Vertragsverhandlungen sein sollen, auf breiter Front unterlaufen wird. Sender Ihres Verbunds und deren Auftragsproduzenten – allen voran die Degeto – verweigern einem Großteil der Autorinnen und Autoren die K18 Punkte, aber auch Vertragsklauseln, die sich an den „Leitlinien“ orientieren.

Wir können Ihnen diesbezüglich gerne konkrete Fälle nennen, sowohl was einzelne Landes rundfunkanstalten betrifft (SWR, BR), als auch die Degeto sowie verschiedene Produktions firmen. Und nicht nur Kontrakt 18-Unterzeichnerinnen und Unterzeichner machen diese Erfahrung, sondern auch zahlreiche im VDD organisierte Autorinnen und Autoren, die sich auf die Leitlinien als Vertragsanhang eingelassen haben und in der Praxis dann erleben müssen, dass diese völlig substanzlos und unverbindlich sind. Vermittlungsversuche der K18- Ombudsstelle blieben leider erfolglos.

K18 und VDD fordern daher, die K18-Forderungen für alle Autoren in Leitlinien verbindlich zu machen.

Wir werden deshalb einen zwischen VDD, Kontrakt 18 und unseren jeweiligen Anwälten abgestimmten Text-Vorschlag für neue vertragsverbindliche Leitlinien vorstellen und diese Vorschläge zum Gegenstand der GVR-Verhandlungen machen.

Wir fordern Sie auf, uns bis zum 15. Juli darüber zu informieren, wie Sie den Leitlinien rechtsverbindlich Geltung verschaffen wollen – in der ARD und bei den Produzenten.

Zudem sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass Schöpferinnen und Schöpfer einer Serie im Vor- bzw. Abspann auch so genannt werden. Denn dies ist ein weiteres Beispiel für die Rückständigkeit der ARD (und ein echtes Alleinstellungsmerkmal – im negativen Sinne!): Vor- und Nachspannregelungen, die vorsehen, dass die Schöpferinnen und Schöpfer einer Serie lediglich mit einem „Drehbuch“-Credit „belohnt“ werden, obwohl ihre Expertise meistens umfassend von der ersten Idee bis zur Produktion in das Projekt eingeflossen ist. Während Kontrakt 18 und der Verband Deutscher Drehbuchautoren einen aktuellen und sehr differenzierten Katalog zu den neuen Berufsbildern und Aufgaben von Autorinnen und Autoren und Creatorinnen und Creatoren ausgearbeitet haben, orientiert sich die ARD noch an Standards aus dem rein linearen Fernsehzeitalter!

Ihr Plan, in der ARD „unverwechselbare“ Geschichten zu erzählen – und „eigentlich jeden Monat einen Knaller wie ‚Babylon Berlin‘. Mindestens.“ – wird sich nicht verwirklichen lassen, wenn Sie die Grundlagen der Zusammenarbeit mit den Kreativen nicht zeitnah auf jene verbindlichen Standards umstellen, die bei den Streamern, mit denen Sie um die kreativen Köpfe konkurrieren, längst üblich sind. Die positiven Erfahrungen, die unsere Kolleginnen und Kollegen in den letzten Jahren mit anderen Anbietern gemacht haben, zeigen: Autorinnen und Autoren Augenhöhe vertraglich zuzusichern, ist nicht nur ein Garant für starke Filme und Serien, es macht Verwerter für Kreative auch enorm attraktiv. Mit Mentalitäten und Mechanismen, die noch im vorherigen Jahrhundert wurzeln, wird die ARD im oft bemühten „Kampf um die Kreativen“ definitiv den Kürzeren ziehen. „Es muss unser Anspruch sein“, sagen Sie, „Geschichten zu erzählen, die unverwechselbar in Deutschland und Europa stattfinden. Das kann Netflix zum Beispiel nicht. Da können wir selbstbewusst sagen: Das können nur wir.“

Erlauben Sie uns, anzumerken, dass diese „unverwechselbaren Geschichten“ von den Streamern als Markt längst entdeckt wurden. Wir sind jedoch sehr gerne bereit, diese Geschichten auch für Ihren Senderverbund zu kreieren. Das setzt jedoch voraus, dass Sie auf Augenhöhe mit uns Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren arbeiten wollen. Und diesem Wollen auch Taten folgen lassen.

Wir freuen uns, bis spätestens 15. Juli von Ihnen zu hören, und grüßen bis dahin freundlich!

Für den Verband der Deutschen Drehbuchautoren e. V. (VDD):
Prof. Peter Henning
Gf. Vorstand

Sebastian Andrae
Gf. Vorstand

Für Kontrakt 18 e.V. (K18):
Annette Hess
Vorstand

Volker A. Zahn
Vorstand
24.06.2021 12:45 Uhr  •  Veit-Luca Roth Kurz-URL: qmde.de/127653