Meret Becker über Corona-Maßnahmen im «Tatort»: ‚Ein Film ist immer auch ein Zeitdokument‘

Meret Becker erklärte im Quotenmeter-Interview, warum man die Corona-Maßnahmen im neuen Berliner «Tatort» vor der Kamera intergrierte, sprach über ihre Nachfolgerin sowie über die Unmoral des Kapitalismus.

Meret, vielen Dank für Ihre Zeit. Berlin und der Mietpreisdeckel, das war Ende April ein viel-diskutiertes Thema. Haben Sie eine Idee, wie man bezahlbaren Wohnraum für jede Gesellschaftsschicht zur Verfügung stellen kann?
Es gibt sicher Menschen, die das besser beantworten können. Aber ich habe tolle Projektvorschläge gesehen, in denen die Vielfalt Berlins berücksichtigt wird. Das heißt, dort wird darauf geachtet, Menschen mit unterschiedlich hohen Einkünften, Herkünften und Ansprüchen in einem ökologisch durchdachtem Wohnobjekt innerhalb des Stadtkerns unterzubringen und so, dass es dabei allen gut gehen kann. Ob das genügend lohnend ist, weiß ich nicht. Gewinnbringend scheint leider wichtiger zu sein als würdig oder schön. Es gibt bestimmte Dinge, da ist Kapitalismus eben höchst unmoralisch, wie zum Beispiel bei Wohnraum oder Ernährung, Gesundheit, Bildung, Politik, zum Teil Kleidung und in manchem mehr. Das gilt selbstverständlich nicht nur für Berlin.

Der neue Tatort «Die dritte Haut» greift genau dieses Thema auf. Die Drehbuchautorin Katrin Bühlig stellte sich die Frage, ob jemand für eine Wohnung töten würde. Geht das nicht zu weit?
Geht Töten nicht immer zu weit? Die Frage ist, was treibt einen Menschen dahin. Die Folgen und deren Ursache – wie bei einem guten Arzt.

In der Corona-Krise durften oder mussten viele Menschen ihre dritte Haut, also ihre eigenen vier Wände, so gut kennenlernen wie wohl nie zuvor. Sind Sie gerne zu Hause?
Ich bin gern zuhause und in der Natur. Aber mir fehlen die Bars, Restaurants, Kinos, Konzerte, Tanz, Varieté, Theater… Man muss wirklich kein Partytier sein, damit einem die Decke auf den Kopf fällt. Mir fällt sie noch relativ wenig drauf, weil ich immerhin drehen darf. Das war nach dem ersten Lockdown ein kleiner Kulturschock, so viele Menschen um einen rum.

Stichwort Corona-Krise: Der Film greift auch das Thema Corona auf, denn Sie ermittelten zusammen mit Ihrem Kollegen Mark Waschke ‚zu Covid-19-Zeiten‘, wie es in der Vorschau beschrieben wird. Wie äußert sich das in den Szenen?
Es wird recht beiläufig miterzählt. Einen ganzen Film mit Maske gibt es wohl jetzt auf der Berlinale, ich bin gespannt. Wir haben versucht ein Gleichgewicht zwischen ‚wir nehmen das absolut ernst‘ und ‚wir versuchen lesbare Gesichter zu zeigen‘ zu finden.

Viele Produktionen konnten nach Drehpausen mit Hygienekonzepten weiterdrehen, machten dies aber vor der Kamera nur in Ausnahmefällen publik. Die Begründung: Man produziere für die Zukunft, oder wolle den Zuschauer ablenken. Warum ging man nun einen anderen Weg?
In ein paar Jahren sind Filme mit Masken hoffentlich wieder seltsam anzusehen. Man kann aber auch sagen: Ein Film ist immer auch ein Zeitdokument, eine Momentaufnahme. Beides ist möglich und eine Entscheidung. Aus einer reinen Sicherheitsperspektive hätte man das auch ohne Masken hinbekommen. Wir werden ständig getestet, untersucht, laufen im Off mit Maske rum und leben auch privat mit dem Bewusstsein eine ganze Produktion gegebenenfalls lahmzulegen.

Nach ihrem 15. Film werden Sie den Berliner «Tatort» verlassen, ihre Lücke soll dann Corinna Harfouch füllen. Hatten Sie bereits Kontakt mit ihr?
Ich hatte mit Corinna schon viel Kontakt in meinem Leben. Einmal haben wir dieselbe Rolle in verschiedenen Zeiten gespielt, einmal war sie Kommissarin und ich Verdächtige, einmal waren wir Mutter und Tochter. Sie wird es, wie immer, brillant machen.

Zuletzt verfolgten den Berliner Tatort weit mehr als acht Millionen Zuschauer, vergangenes Frühjahr sogar mehr als neun Millionen. Ist man sich dem bewusst, wenn man in Wedding vor der Kamera steht?
Natürlich ist man sich über die Chance bewusst, viele Menschen mit einem Film zu erreichen. Man denkt nur nicht die ganze Zeit darüber nach. Kann man sich eh nicht vorstellen.

Die Zahlen sind gut, keine Frage, aber blickt man trotzdem ab und an neidisch nach Münster? Oder freut man sich eher für die Kollegen Axel Prahl und Jan Josef Liefers?
Ich persönlich gucke, dass ich meine Arbeit möglichst gut mache. Das reicht mir als Anspruch völlig. Vergleiche sind absurd und Quoten nicht wirklich meine Welt, auch wenn man sich über viele Zuschauer freut wie ein Schnee.

«Die dritte Haut» wurde als sogenanntes ‚Green Producing‘ entsprechend den offiziellen Nachhaltigkeitskriterien der ARD hergestellt. Wie konkret wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
Für Leute in der Küche war es sehr anspruchsvoll. Ein Team mit vegetarischem Essen bei Laune zu halten, ist immer noch eine Herausforderung. Generell ist es ein schöner Anfang und da geht noch was. Der Klimawandel ist wirklich ein eindrucksvolles Problem, dem größte Sorge zuteil sein gehört.

Welche Pläne haben Sie, wenn im kommenden Jahr ihre Zeit beim Tatort zu Ende ist? Gibt es schon spruchreife Projekte?
Auf jeden Fall freue ich mich endlich wieder Konzerte zu spielen!

Meret Becker ist am Sonntag, 6 Juni, ab 20:15 Uhr im «Tatort: Die Dritte Haut» im Ersten zu sehen.
05.06.2021 11:00 Uhr  •  Veit-Luca Roth Kurz-URL: qmde.de/127234