Kiosk: Meine Schuld

Das Magazin ist „schonungslos ehrlich“ – und ist die Print-Antwort auf das Nachmittagsfernsehen der vergangenen Jahre.

Was früher noch selbstverständlich war - der Gang in den Beichtstuhl - ist heute der Gang in den Kiosk oder die Tankstelle um die Ecke. Zum Thema Selbstzermarterung und Erlösung gibt es seit einigen Jahren ein Magazin. "Meine Schuld", eine Veröffentlichung des Kelter Verlags, der sich auch sonst mit bedeutungsschweren Titeln trägt, beschäftigt sich nur mit diesem Thema. Denn irgendeiner oder irgendetwas ist ja am Ende immer schuld. Schuld am Klimawandel, Schuld an Corona, oder, oder. Und wenn es nicht die großen Dinge sind, dann findet so ziemlich jeder was im eigenen Leben: Schuld am "Liebesaus", Schuld, dass der Ehemann fremdgegangen ist.

Das Magazin versteht sich als voyeuristisches Forum für die Verzweifelten. So lautet schon der Untertitel: "Was Frauen berichten - schonungslos - indiskret". Genau das, was Sie vielleicht sogar Ihrer besten Freundin verschweigen würden aus Scham. Die Themen, die dieses empörende Beichtprotokoll in der Printausgabe liefert, bewegen sich im Rahmen von Vertraulichkeiten, Hilferufen, Familiendramen und Geständnissen aller Art.

Sie fühlen sich ertappt? Das war Absicht! Jeder hat doch ein paar Leichen im Familiendramenkeller verscharrt. Von der Kassiererin über den Geschäftsführer, von der Kindergärtnerin bis hin zur Aufsichtsratsvorsitzenden oder den Herrn Doktor. Das Magazin ist sozusagen das RTL-Nachmittagsfernsehen der vergangenen Jahre als Print-Format.

Identifikation entsteht da, wo wir tief in die Geschichten des Magazins eintauchen. Sie entsteht da, wo wir uns anhand der präsentierten Geständnisse selbst eingestehen, dass bei uns was schiefläuft. Zum Beispiel bei diesen Themen im aktuellen Heft vom 16. März 2021, das übrigens alle vier Wochen neu erscheint: Familienschicksal - "Jahrelang dachte ich, mein Kind sei tot". Die ganze Schmach unserer menschlichen Existenz führt uns die Rubrik "Ohne Gewissen" vor Augen. Thema im Monat März: "Ich betrog ihn mit meiner Jugendliebe". Auch Erotik darf natürlich nicht fehlen - doch weit gefehlt! Nicht in Form einer blumig ausgeschmückten erotischen Fantasie nach Groschenroman-Style, sondern für 2,50 Euro (so günstig ist Erlösung heute zu haben) aufgetischt als Schuldkomplex: "Ich kann nicht mehr - Mein Mann will ständig Sex".

Sie sind völlig erschöpft von so viel Geständnissen? Sie fragen sich, warum es so ein Magazin überhaupt gibt? Warum Sie es kaufen sollten? Die naheliegende Antwort ist sicherlich das Kreuzworträtsel. Wie? Sie finden Sudoku langweilig? Das macht nichts. Eventuell geben Sie es in dem Fall einfach ihrer Mutter weiter, mit der sich dann endlich das erste ehrliche Gespräch seit Jahren entwickeln wird. Denn das will dieses Magazin: Ihr Leben grundlegend verbessern.
27.03.2021 13:30 Uhr  •  Sebastian Schmitt Kurz-URL: qmde.de/125618