Die Kritiker: «Harter Brocken – Die Fälscherin»

Ein gestohlenes Gemälde, eine verbrecherische Künstlerin und kalabrische Mafiosi – das sind die Zutaten für den fünften Krimi der Reihe «Harter Brocken». Schlimmer aber stellt sich für Dorfsheriff Frank Koops die Tatsache dar, dass im Rahmen von Sparmaßnahmen seine kleine Polizeidienststelle geschlossen werden soll und ihm daher eine Ministerialbeamtin etwas sehr nah auf die Pelle rückt.

Stab

Regie: Anno Saul
Drehbuch. Holger Karsten Schmidt
Szenenbild: Fryderyk Swierczynski
Musik: Stepgan Massimo
Schnitt: Dirk Grau, Tobias Haas
Kamera: Martin L. Ludwig
Produzentin: Lynn Schmitz
Darsteller: Aljoscha Stadelmann, Moritz Führmann, Anna Fischer, Nadja Bobyleva, Anatole Taubmann, Stefano Cassetti, Emilio de Marchi, Katharina Heyer
Aljoscha Stadelmann ist die Idealbesetzung des Dorfsheriffs aus der niedersächsischen Provinz. Die Rolle des unterschätzten Kleinstadtpolizisten ist dem bulligen Schauspieler aus Wuppertal auf den Leib geschrieben. Da sitzt der anständige Gesetzeshüter vor seiner kleinen Wache, in Jeans gekleidet, das Hemd unvorschriftsmäßig weit geöffnet, genießt die Stille und die Langweile – und dann steht da plötzlich die übereifrige Ministerialbeamtin Kramer (Nadja Bobyleva) vor ihm. Mit unangenehmen Nachrichten. Seine Wache gilt als ineffektiv und überflüssig. Ein Polizist für ein Dorf am Ende der Welt? Nichts gegen St. Andreasberg, aber für die paar Knöllchen, die es von Zeit zu Zeit zu schreiben gibt, muss man keinen Polizeibeamten abstellen und eine eigene Wache aufrecht erhalten. Koops Tätigkeiten kann die Wache aus der Nachbargemeinde übernehmen. Sicher, noch ist die Auflösung des Reviers nicht beschlossene Sache, aber Hoffnungen auf einen Erhalt der Wache sollte er sich nicht machen. Immerhin hat er drei Tage Zeit, die forsche Beamtin zu überzeugen, dass sein Posten erhalten bleiben muss, denn so lange wird sie ihm nicht von der Seite weichen.

Die Nachricht, dass die Wache geschlossen werden soll, verbreitet sich in der Gemeinde wie ein Lauffeuer - und schon wird sich geprügelt und es gehen Anzeigen ein, dass sich die Balken biegen. Doch Frank Koops selbst offenbart der Ministerialbeamtin, dass dies alles nur eine Show ist, die die Dörfler für sie veranstalten, damit er bleiben kann. So aber will er seinen Job nicht retten und entsprechend genervt reagiert er auf seinen Freund Heiner (Moritz Führmann), der auch noch von einem Toten berichtet. Ein Leichenfund – das ist nun wirklich zu viel des Guten!

Jedoch: Dieser Leichenfund ist echt und bizarr. Ein Mann hängt an der Fassade eines großen Ferienhauses. Offenbar ist er vom Dach gestürzt, hat sich in seinem Halteseil verheddert und dabei sein Genick gebrochen. Koops entdeckt in der Brieftasche des Toten einen italienischen Pass. Die Mieterin des Hauses erscheint ihm derweil ob der Nachricht, dass an der Fassade ihres Hauses ein Toter hängt, ein wenig zu gefasst. Er bittet die attraktive Dame um ihren Pass und fotografiert diesen ab.

Auf dem Weg zurück zur Wache informiert er die ihn begleitende Ministerialbeamtin darüber, dass der Pass der Mieterin falsch sei. „Es gibt elf Merkmale, die einen Pass fälschungssicher machen sollen“, klärt er sie auf. Neun davon sind auf dem Pass perfekt nachgestellt worden, zwei nicht.

Integrer Dorfbulle
Das Unterlaufen der Erwartungen gehört zu den Stärken der Hauptfigur. Frank Koops wirkt nach außen hin wie ein etwas simpler Dorfpolizist, den man ans Ende der Welt versetzt hat, weil er für den Dienst in der Stadt oder einer größeren Wache nichts taugt. Sein schlunziges Auftreten, zu dem das Ignorieren von Kleidervorschriften gehört, der immer etwas ungepflegte Bart, seine Angewohnheit, Schriftkram, wann immer es geht zu vermeiden, sind Äußerlichkeiten und sicher einer gewissen Bequemlichkeit geschuldet. Wer jedoch von diesen Äußerlichkeiten auf seinen Verstand, seine Intelligenz und seinen Intellekt Rückschlüsse zieht, begeht einen schweren Fehler.

Koops ist gebildet und ein Mann mit einem Blick für Details. Sicher, er fühlt sich auf dem Dorf wohl und will nicht weg. Er ist aber auch integer genug die Ministerialbeamtin darüber aufzuklären, dass die plötzlich überall stattfindenden „Gesetzesverstöße“ nur eine Scharade darstellen: Das zeugt von einem starken Charakter. Zitiert Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt anfangs die schwedische Komödie «Kops», die 2003 zu einem Überraschungshit in den Kinos avancierte und von der Show einiger Polizisten in der schwedischen Provinz erzählt, die die Schließung ihrer Wache durch das Vortäuschen von allerlei Straftaten in ihrer friedlichen Gemeinde verhindern wollen, bricht die Story des ARD-Filmes diese Erwartungen – indem sich die Hauptfigur solch eines Spieles verweigert. Wenn die Wache bestehen bleiben soll, dann, weil dies eine Notwendigkeit darstellt, die in dem Moment eintritt, in dem ein Toter an der Fassade eines Ferienhauses hängt. Ein Toter, der bald schon drei kalabrische Mafiosi in den Harz lockt, die sich auf der Suche nach einer Kunstfälscherin befinden: Anna Sorenko (Katharina Heyer), die Frau mit dem gefälschten Pass.



Anna Sorenko ist eine durchaus faszinierende Figur. Als geniale Künstlerin ist sie in der Lage, auch anspruchsvollste Werke in atemberaubender Perfektion zu kopieren. Gleichzeitig aber hat sie letztlich Angst, etwas eigenes zu kreieren, da sie glaubt, die Perfektion der von ihr kopierten Meister doch nie erreichen zu können. Was sie in der Art deutet, dass sie durch ihren Dilettantismus letztlich deren Genie entehrt. Es ist nicht verwunderlich, dass Koops, der selbst ein Außenseiterdasein kultiviert, eine gewisse Sympathie für die Fälscherin und ihr etwas schräges Weltbild empfindet. Vor allem, da der Tod des Mannes an der Fassade offenbar tatsächlich ein Unfall gewesen ist. Der hat sie ausgespäht und ist unglücklich gestürzt. Natürlich aber hat sein Tod trotz allem mit ihrer Tätigkeit zu tun. Sie hat der Mafia ein Gemälde gestohlen. Was diese wenig entzückt.

Wenig entzückend ist leider aber auch die Mafia-Geschichte. In ihrer Umsetzung erinnert diese an eine Klamotte der 1970er Jahre. Wirklich gefährlich wirken die drei Mafiosi nie; treten sie auf, wirkt die Inszenierung nicht selten clownesk darum bemüht, ihre Gefährlichkeit durch situative Komik zu unterlaufen. Sie mögen nicht den drei Stooges gleich agieren, aber wirklich gefährlich oder gar abgründig wirken sie nie.

Den absoluten Tiefpunkt dieser Clownerei stellt das Zusammentreffen der drei Mafia-Mitglieder mit zwei Beamten des Landeskriminalamtes Niedersachsen dar. Koops alarmiert das LKA über das erwartete Eintreffen dreier italienischer Mafiakiller in der Provinz und kann der übergeordneten Landesbehörde sogar recht detaillierte Auskünfte über die Identität des Anführers liefern. Beim Versuch einer Verhaftung aber verhalten sich die zwei (!) Beamten nicht einfach dämlich. Sie agieren, als hätten sie gerade ein paar neunjährige Jungs beim Aufbrechen eines Kaugummiautomates auf frischer Tat ertappt. Dass einer der beiden dabei mit der Waffe herumfuchtelt wie ein betrunkener Möchtegernvorstadt-Cowboy, der am Rande eines Schrebergartenfestes nach dem Pinkeln in den Nachbarsbusch in eben jenem eine Pistole findet, diese aufhebt, in den Lauf guckt und einfach mal den Abzug zieht um zu gucken, was passiert, setzt der Groteske die Krone auf. Was die Regie geritten hat, dieses Zusammentreffen derart clownesk zu inszenieren, ist unerklärlich und stellt einen fürchterlichen Bruch innerhalb der lakonischen, sich aber ansonsten vollkommen ernst nehmenden Inszenierung des Kriminalstückes dar.

Diese eklatante Schwäche trübt den Gesamteindruck des Spielfilmes gewaltig und entwertet gar den starken Showdown, der es ordentlich krachen lässt und des Deutschen liebstes Sonntagsvergnügen, den «Tatort», im Vergleich recht bieder und beamtisch wirken lässt. Etwas mehr Ernsthaftigkeit und etwas weniger Clownerie – hätten diesem «Harten Brocken» wahrlich nicht geschadet.

«Harter Brocken» läuft am Donnerstag um 20.15 Uhr im Ersten.
16.12.2020 10:00 Uhr  •  Christian Lukas Kurz-URL: qmde.de/123551