«Lovecraft Country» bei HBO: Menschliche Monster… und andere

Rassismus und Horror: In jüngeren Jahren hat dieser ungewöhnliche Themenmix spätestens seit dem Kinofilm «Get Out» Konjunktur. Dessen Regisseur versucht sich nun an einer blutigen HBO-Serie.

Cast & Crew «Lovecraft Country»

  • Romanvorlage von Matt Ruff
  • Entwicklung: Misha Green
  • Darsteller: Jurnee Smollett, Jonathan Majors, Aunjanue Ellis, Courtney B. Vance u.a.
  • Ausf. Produzenten: Misha Green, J. J. Abrams, Jordan Peele u.a.
  • Produktion: Monkeypaw, Bad Robot, Warner Bros. TV für HBO
  • Episoden: 10 in S1 (je ca. 60 Min.)
Und am Anfang ist… Krieg. Wir sehen einen jungen Mann, er läuft durch die Schützengräben, über ihm tobt es. Und erkennt, gegen welchen Gegner es in diesem Krieg geht: Es geht gegen einen außerirdischen Gegner. Riesige Monster kämpfen gegen Menschen, UFOs beobachten die Szenerie, das Tentakelwesen Cthulhu taucht auf und schlachtet alles ab.

Und plötzlich ist dieser Traum vorbei; die eigentliche – zunächst viel gewöhnlichere – Story beginnt in HBOs «Lovecraft Country». Nicht umsonst werden wir Zuschauer direkt zu Beginn mit Chaos und Zerstörung konfrontiert: Denn in den kommenden gut 45 Minuten der Premierenfolge sieht so gar nichts nach Horror, Mystery oder Schrecken aus. Die Serie spielt in den USA der 1950er Jahre, genauer gesagt: im Süden der USA. Atticus, ein junger Schwarzer und Kriegsveteran, ist auf der Suche nach seinem Vater. Dieser hatte Atticus einen kryptischen Brief hinterlassen und verschwand plötzlich aus seiner Heimat. Atticus trommelt eine Mannschaft zusammen: seine alte Literaturclub-Freundin Letitia und seinen Onkel George. Das Ziel der Drei: Ardham, ein mysteriöser Ort im Süden der USA, den Atticus‘ Vater in seinem Brief erwähnt hatte.

Der eigentliche Horror für die Abenteurer liegt nicht im Übernatürlichen, sondern im ganz gewöhnlichen Alltag der USA: An jeder Ecke des Landes schlägt ihnen Rassismus entgegen. Ob an der Tankstelle, wo Weiße sich über sie lustig machen, in einem Diner von Weißen, der eine Verfolgungsjagd provoziert – oder an der Staatsgrenze, an der ein Sheriff seine Macht spielen lässt und mit Lynchjustiz droht, sollten die Schwarzen nicht innerhalb von neun Minuten die Grenze verlassen. Es beginnt eine weitere Verfolgungsjagd, bei der der Sheriff genau beobachtet, ob die Drei die Grenze auch rechtzeitig überqueren. Oder ob er zur Tat schreiten muss.

«Lovecraft Country» von HBO: Wenig subtiler Zweifach-Horror


Es ist ein regelrechter psychologischer Horror, der sich in diesem Alltagsrassismus zeigt. Sehr plakativ macht «Lovecraft Country» dies, so plakativ, als wollte man die Rassengesetze dieser damaligen Zeit jedem klar in Erinnerung rufen: auch den Weißen, auch den beispielsweise europäischen Zuschauern, die die Verhältnisse der damaligen USA nicht kennen. Bisweilen wirkt dies etwas zu deutlich und zu sehr wie eine Aneinanderreihung alltagsrassistischer Episoden. Es wird schnell klar, was Produzent Jordan Peele («Get Out») damit beabsichtigt: Er will nicht nur den übernatürlichen Horror zeigen, sondern auch den menschlichen Horror und die menschlichen Monster. Die Serie basiert ihrerseits auf dem gleichnamigen Roman, der ebenfalls brachial daherkam. Eine starke symbolische Message vermittelt «Lovecraft Country» so, aber in den ersten Episoden auch eine wenig subtile. Der Kinohit «Get Out» hat dies deutlich feinfühliger gemacht.

Zumal der echte Monster-Horror schon ab Episode zwei deutlich an Taktung zulegt – und an Blutvergießen. In all dem Kampf geht die Charakterentwicklung manchmal unter; wir lernen die Figurentiefe – für HBO-Verhältnisse – nur sehr langsam und behutsam kennen. Ob man der Serie aber wirklich fehlende Tiefe vorwerfen sollte, ist eine andere Frage: Schließlich hat sie ihre Wurzeln in den pulpigen Geschichten des Horror-Autors H.P. Lovecraft, der mehr auf Ikonographie setzte als auf Charakterzeichnung. Und genau eine solche Pulp-Geschichte will wohl auch «Lovecraft Country» erzählen: Die Kämpfe gegen das Übernatürliche sind großartig anzusehen, spannend und abwechslungsreich; die Story um die Suche nach Atticus‘ Vater bietet einen gelungenen roten Faden. Die Effekte sind beeindruckend und die Schauspieler spielen den zweigleisigen Horror ausdrucksstark mit.

Am Ende macht die Serie vieles richtig. Sie zeigt eine kritische Auseinandersetzung mit einem der bekanntesten Horror-Autor aller Zeiten, der besonders eines richtig gut konnte: unglaubliche Geschichten zu erzählen, in die man regelrecht eintaucht und die Zeit um sich herum vergisst. Genau das schafft auch «Lovecraft Country».

«Lovecraft Country» ist in Deutschland auf Abruf bei Sky Q, Sky Go und Sky Ticket zu sehen. Auf Sky Atlantic HD wird die Serie ab Freitag ausgestrahlt.
21.08.2020 09:15 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/120801